Kill The Director ~ The Wombats

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"Hi", kommt mir mit heller klingender Stimme als ich eigentlich habe heraus.
Dabei habe ich gerade schon Hallo gesagt gehabt. Ich bin so ein Idiot.
Am liebsten würde ich das Gespräch unterbinden, bevor es noch unangenehmer wird. Kann man das überhaupt Gespräch nennen?

Ein Teil von mir hofft ungemein, dass sie hier nur jemanden besucht hat, sodass ich ihr wenigstens nicht ständig begegnen muss. Ich möchte gar nicht wissen, was sie von mir denken mag.

Ausgerechnet jetzt muss mir auch noch einfallen, wie ich meine Haare trage, was mich noch erbärmlicher fühlen lässt.
Hinten habe ich einen lockeren Zopf und den langen Pony, der mein halbes Gesicht verdecken sollte, habe ich mir mit einer Spange nach hinten geklemmt.
Die Sicht auf meine Narbe ist vollkommen frei.

Ich spüre förmlich wie meine Wangen rot anlaufen.
"Ja, ich eh.. wohne hier jetzt. Also nicht hier hier.. sondern eine Etage weiter oben", stammel ich vor mich hin.

Steif schaut sie mich an. Ihre dunklen Augen durchbohren mich sinnbildlich.
"Hi", presst sie schließlich aus sich heraus. Erfreut scheint sie auf jeden Fall nicht.

"Wie heißt du denn? Heute in der Stadt hast du gar nicht geantwortet", während ich das herausfinden möchte, ertaste ich unauffällig mit meinen Fingern die Haarspange und nehme sie heraus, damit meine Narbe nicht mehr sichtbar ist.

"Was ist das für eine Narbe?", entweicht sie meiner Frage mit einer Gegenfrage.
Wahrscheinlich war meine Aktion doch nicht so unauffällig wie angenommen.
Doch auf diesen Moment habe ich mich mein ganzes Leben lang vorbereitet- odet zumindest seitdem ich 17 bin.

"Papierschnitt", erwider ich mit immenser Sicherheit in meiner Stimme.

Für einen Moment glotzt sie mir baff ins Gesicht, muss dann aber leise lachen.
Yaaas! Ich wusste doch, dass ich ein Comedy Genius bin.
"Und jetzt for real?", will sie halb kichernd wissen. Die Atmosphäre fühlt sich schon bedeutend weniger angespannt an.

"Ich habe Gemüse geschnitten", antworte ich trocken, wohl merkend, dass die Wahrheit genauso unglaubwürdig klingt.
Wieder lacht sie ein wenig.
"Das war kein Witz", stelle ich klar. "Ich habe wirklich Gemüse geschnitten. Ich habe selbst keine Ahnung wie, aber-"

Diesmal bricht sie in richtiges Gelächter aus. Ich freue mich darüber. Auch wenn es mich persönlich mit Scham erfüllt, bin ich froh, dass sie sich weniger unkomfortabel fühlt, zumal ich denke, dass sie selten so laut lacht.

"Jetzt wirklich?", hakt sie nochmal nach.
Ich nicke.
"Ja, ja wirklich."

"Ich war 17", füge ich extra hinzu, weil ich weiß, dass es die ganze Geschichte noch komischer macht.
Sie presst die Lippen aufeinander, um nicht loszuprusten.
Falls ich je einen Icebreaker brauchen sollte, werde ich wieder meine lächerliche Narbe verwenden.

"Ich weiß übrigens, warum du mich an wen erinnerst. Es sind die Haare", erwähnt sie aus dem Nichts. Ihre Nasenflügel weiten sich ein wenig. Sofort ist die Stimmung wieder im Keller. Ich frage mich insgeheim, wer diese Person war und was sie getan haben muss, damit sie so reagiert.
Das frage ich sie jedoch besser nicht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nicht bereit ist darüber mit mir zu reden.

Ich packe meinen Pony und klemme ihn wieder mit der Spange fest.
"Besser?", frage ich sie.
Mit einem Kopfnicken antwortet sie mir.
"Ich hätte wirklich nicht erwartet, dass du gleich zwei Personen kennst, die so schreckliche Haarschnitte haben", witzele ich, aber darüber kann sie wohl eher nicht lachen.

"Ich muss dann mal los. Ich sollte noch schnell was besorgen", probiert sie der Konversation zu entfliehen.

"Du brauchst aber nicht zufälligerweise Klopapier, oder?" Vielleicht habe ich ja Glück und ihr fehlt genau das.
"Was? Warum sollte..?" Perplex schaut sie mich an.
Well.. Einen Versuch war es wert. So wie es aussieht werden noch eine ganze Weile 8 ungeöffnete Packungen Klopapier bei mir rumliegen.

"Tja, dann wohl bis irgendwann", verabschiede ich mich von ihr.
Das lässt sie sich nicht zweimal sagen. Ohne zu Zögern läuft sie an mir vorbei.
"Warte!", fordere ich sie auf, als sie gerade die erste Sufe erreicht hat. "Wie heißt du denn jetzt?"

Sie dreht ihren Kopf leicht zu mir hin, doch statt zu antworten lächelt sie nur. Dann geht sie schnurstracks weiter.

"Bis bald, Julieta", rufe ich ihr hinterher. Wenn sie mir ihren Namen nicht sagt, muss ich ihn wohl erraten.

Ein wenig später befinde ich mich wieder in meiner Wohnung. Ich bin dabei mir im Badezimmer die Hände zu waschen, als mein Blick auf einen kleinen, offenen, aber noch unausgepackten Karton fällt. Ganz oben liegt meine Schere. Es ist extra eine Schere fürs Haareschneiden. Ich habe schon länger überlegt, ob ich es wagen sollte, da ich seit einer Weile nicht mehr zufrieden bin.

Ich greife nach der Schere. Das heute war der letzte Grund, der mir gefehlt hat, um es zu tun.
Es wäre nicht einmal das erste Mal und viel schlimmer kann es eh nicht werden.

Ich halte mir die Schere an meinen Pony und schließe die Augen. Ich hätte fast zum ersten Schnitt angesetzt, ehe mir zum Glück noch eingefallen ist, dass das Prinzip 'Augen zu und durch' nicht fürs Haareschneiden gilt.

Bevor ich wirklich anfange, hole ich schnell mein Handy und meine Musikbox und starte meine Playlist. Das erste Lied, das ertönt, ist "Kill the Director" von The Wombats und dabei belasse ich es auch.

Diesmal setze ich mit geöffneten Augen zum ersten Schnitt an. Ich hole tief Luft.
Es sind nur Haare.
Die wachsen wieder und im Notfall ist ein Buzzcut auch noch möglich.

Und Schnipp!
Ein paar Strähnen Haare fallen direkt ins Waschbecken. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.

Ungefähr eine Stunde später bin ich fertig beziehungsweise wage es nicht, noch weiter zu machen. Ich durchwuschel meinen Haare und schaue mich selbst im Spiegel an. Ich finde es jedesmal merkwürdig meine Reflexion zu sehen, da ich mich nicht mit meinem Aussehen identifizieren kann, aber diesmal ist es besonders weird.
Objektiv gesehen sieht es gar nicht so schlecht aus.. glaube ich zumindest. Ich weise gewisse Ähnlichkeiten zu den E-boys auf Tiktok auf, was aber nicht wirklich was Schlechtes ist.
Persönlich lege ich auch keinen großen Wert auf meine Frisur. Ich möchte nur nicht als negativ wahrgenommen werden.

Nur der Fakt, dass ich meine Narbe nicht mehr hinter einem Vorhang aus Haaren verstecken kann, gefällt mir nicht.

Ich habe ihn gezeichnet °^°

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Ich habe ihn gezeichnet °^°

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