47 (Lesenacht: Kapitel 3/4)

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Ich konnte anscheinend auch anders. Das überraschte mich in diesem Moment selbst - ich wollte mir aber nichts anmerken lassen.

Meinem Patienten verging daraufhin das Grinsen und er kniff die Augen ein Stückchen zusammen, während ich siegessicher an ihm vorbeimarschierte.

Sicherlich hatte er mit einem verschämten Blick Richtung Boden gerechnet, doch ich hatte ihm das Gegenteil präsentiert. Normalerweise war ich nicht schüchtern, aber er hatte mich immer wieder dazu gebracht, mich in seiner Gegenwart doch so zu fühlen.

Verdattert blieb er noch einige Sekunden auf seinem Platz im Laub stehen, bevor ich hörte, dass er hinter mir her joggte und die Meter aufholte, die ich zwischen uns gebracht hatte.

„Ganz schön frech heute, Schwester Greenwood", kam dann von ihm, als er wieder neben mir auftauchte.

„Achja?", fragte ich und unterdrückte mein Dauergrinsen. „Ich habe hier das Sagen. Kommen Sie damit nicht klar, Herr Patient?", stieg ich mit ein und spürte, dass das Spiel in vollem Gange war.

„Ich weiß noch nicht ...", hauchte er mit rauer Stimme in meinen Nacken. „ ... es ist so neu, aber ich denke ... es gefällt mir."

Sein warmer Atem traf auf meine Haut und sorgte dafür, dass sich alle Härchen an meinem Körper aufstellten.

Ich blieb stehen, denn meine Beine fühlten sich augenblicklich an wie Pudding.

Mist! Das ging ja genau in die falsche Richtung...

Wo war denn auf einmal mein strotzendes Selbstbewusstsein hin?

Nun blieb auch er stehen und sein Blick verfing sich in meinem.

„Es gefällt mir ... sogar sehr."

Ohne den Augenkontakt zu unterbrechen ging er einen Schritt auf mich zu.

Überfordert wich ich zurück und spürte auf einmal den Stamm eines Baumes in meinem Rücken. Trotzdem kam er mir weiter näher, bis er seinen Kopf senken und auf mich herabblicken musste.

„Aber nicht nur das ..."

Er starrte mir tief in die Augen, während er seinen Arm links neben meinem Ohr an der alten Eiche abstützte und ich spürte, dass er mit seinem Körper meinen immer weiter an die Rinde drängte.

Schwer atmend rang ich nach Luft.
So hatte ich den Spielablauf nicht geplant.

Er war mir so nah, wie selten zuvor.

Ich fühlte seine feste Brust an mir, die ich Stunden zuvor noch komplett entblößt gesehen hatte. Das Bild flimmerte vor meinem geistigen Auge hin und her und ging mir nicht mehr aus meinem Kopf.

Und dann kam plötzlich ein Gefühl in mir auf, das ich schon jahrelang nicht mehr wahrgenommen hatte und mir schon fast fremd erschien.

Eine unglaubliche Hitze schoss mir in den Körper und ließ gewisse Stellen an ihm kribbeln.

Mein Hirn schien schlagartig wie leergefegt und ich verdrängte den Fakt, dass wir mitten im Wald standen. Ich dachte nur noch daran, dass ich seine Hände auf mir spüren wollte, während sich mein Puls verdoppelte und ich anfing zu schwitzen.

Sein Atem traf auf meine Haut und seine Körperwärme umhüllte mich wie ein Mantel.

Ich wusste, ich konnte das Spiel nicht gewinnen. Nicht heute und wahrscheinlich auch an keinem anderen Tag.

Mit den Fingern der Hand, die sich nicht am Stamm abstütze, griff er mein Kinn und hob es vorsichtig an, sodass wir uns direkt ansehen konnten und ich das Funkeln seiner Augen so intensiv wie noch nie wahrnahm.

Doch dann drehten wir unsere Köpfe hektisch von einander weg, denn plötzlich ertönte lautes Hundegebell von der anderen Seite des Waldweges. Mein Patient ließ ruckartig von mir ab und sofort vermisste ich seine Nähe.

Als auch noch das Klappern eines Fahrrades auf dem unebenen Untergrund zu hören war, schnappte er meine Hand und zog mich schnell hinter einen Berg aus gefällten Baumstämmen, der sich einige Meter weiter befand.

Wir hockten uns hin und horchten dem Geschehen auf der anderen Seite.

Das Gebell und das Klappern kamen immer näher und verschwanden dann so schnell sie gekommen waren auch wieder, als der Radler mit seinem Hund an uns vorbeifuhr und um die Kurve bog.

Unendlich froh darüber, dass er uns nicht bemerkt hatte und somit meinen Patienten auch nicht hätte identifizieren können, sah ich zu ihm.

Doch so glücklich wie ich wirkte er nicht, da er sein Gesicht schmerzerfüllt verzog, als ich es musterte.

Ich hätte es wissen müssen. In die Hocke zu gehen war alles andere als gut für ihn, nachdem ich gerade erst die Fäden gezogen hatte.

„Mist!"
Mitfühlend legte ich meine Hand auf seine Schulter.
„Komm, wir gehen nach Hause. Das war zu viel des Guten."

Er nickte und richtete sich dann so langsam wie er nur konnte wieder auf.

„Scheiße", fluchte er leise und fuhr sich mit der Hand über sein Gesicht.


Zögerlich gingen wir nebeneinander her und verloren dabei keinerlei Worte. Die Sonne hatte sich wieder verzogen und mittlerweile grauen Wolken Platz gemacht.

In meinem Kopf herrschte pures Chaos - wieder einmal. Ich fragte mich, ob dieses Spiel genauso für ihn wie für mich war und somit vielleicht auch einfach gar keins, oder, ob er der absolute Gamemaster war, der genau wusste, was er tun musste, um mich in seinen Händen zergehen zu lassen wie ein Stück Butter in der Sonne, ohne echte Emotionen dabei zu empfinden.

Denn anscheinend gab es nicht nur die liebevolle, warmherzige Seite an ihm, sondern auch noch weitere, die ich bisher nicht wirklich hatte erkennen können.
Aber es war ja auch normal, dass ein Mensch Facetten hatte und sich nicht an jedem Tag und in jeder Situation gleich benahm.

Ich hoffte nur, dass dieses Spiel am Ende nicht auf Kosten meiner Gefühle ging und ich haushoch verlieren würde.

🙈

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Criminal tension - Wie ich einem Straftäter verfielWhere stories live. Discover now