Kapitel 22

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Entschlossen drückte Geena auf den Klingelknopf.
Marko könnte sie nicht davon abhalten.
Sie war so wütend.
Wütend darüber, dass ein Nachfolger des gemeinen Reiters ihren Baron haben wollte.
Marko hatte sie zu der Straße gefahren in der er vor ein paar Stunden mit dem Sohn von Richard Wolkseif gesprochen hatte.
Geena wollte diesem Peter so schnell es ging Baron abkaufen und ihm vorallem einmal sehr deutlich ihre Meinung mitteilen.
Die Tür wurde von innen geöffnet und ein großer dürrer Mann ragte vor Geena in die Luft.
Er fuhr sich durch die kurzgeschorenen Haar und als er Marko entdeckte, stöhnte er auf.
„Sie schon wieder. Was-”
Doch weiter kam er nicht, denn Geena trat einen großen Schritt auf ihn zu und wollte ihn anschreien.
Doch ihr Herz schlug viel zu schnell in ihrer Brust und sie brachte kein einziges Wort heraus.
„Du bist also die Kleine, die sich um mein Pferd kümmert? Gut gemacht, aber jetzt hätte ich es gerne zurück. Glaub mir, es wir ihm oder ihr gut bei mir gehen. Er oder sie wird eine schöne Box bekommen und es wird wieder an Turnieren teilnehmen dürfen.”
Geena stand einfach nur vor ihm und starrte ihn an.
Tränen brannten in ihren Augen.
„Bringt ihr mich bitte zu meinem Pferd? Ich möchte es mir anschauen und morgen abholen.”, sagte Peter und Geena zu.
„Nein!”, schluchzte sie und funkelte diesen heuschreckenartigen Menschen an, „Er will nicht zurück! Es geht ihm gut bei uns! Reißen Sie ihn nicht wieder weg!”
Peter lachte hell und klirrend auf.
„Vergiss es, Mädchen, morgen ist er wieder bei mir. Und nun fahrt voraus, damit ich ihn anschauen kann.”
Marko nahm Geena bei den Schultern und schob sie vor sich her zum Auto.
„Wir können da wohl leider nichts mehr tun. Wir führen Sie zu Ihrem Pferd. Steigen Sie ein.”
Geena verstand Marko nicht.
Er hatte ihr doch versprochen, um Baron zu kämpfen und ihr zu helfen.
Warum gab er jetzt einfach so auf?
Sie schaute während der ganzen Fahrt nur aus dem Fenster und würdigte keinen der beiden Männer auch nur eines Blickes.
Kein Hund, kein Pferd, was war ihr neu aufgebautes Leben denn dann noch wert?
„Wir sind da”, verkündete Marko und stellte den Motor ab.
Geena stieg nicht aus.
Sie wollte nicht hören, was Peter über ihren Baron sprach.
Sie würde ihn nicht hergeben, auf gar keinen Fall!
Peter wollte an Baron herantreten, doch der Hengst sprang rückwärts und ließ ihn nicht an sich heran.
Geena sah es mit Genugtuung, wie Peter zurückschreckte.
Doch wenig später gaben er und Marko sich die Hand.
Sie hatten ein Geschäft gemacht.
Marko und der Mann stiegen wieder ein.
Peter wurde nach Hause gebracht.
Und Geena sprach kein einziges Wort mehr mit Marko.
Sie ließ ihn nicht näher als drei Meter an sich heran.
Sie war so unglaublich wütend.
Sie schmiedet einen Plan.
Wo musste sie hin, damit sie keiner wiederfand?
Wo konnte sie hinreisen, wo sie sicher war?
Und vorallem, wo konnte sie mit einem großen Pferd hinreisen?
Ihr Plan stand fast fest.
Sie würde heute Nacht mit Baron abhauen.
Egal wohin.
Hauptsache erstmal weg!
Heimlich nahm sie ein paar Brötchen und andere Essensreste mit auf ihr Zimmer, um dort einen Rucksack mit allem Nötigen zu packen.
Klamotten, ihr voll aufgeladenes Handy, Proviant und Verbandsmaterial flogen nacheinander in den Rucksack.
Brauchte sie Geld?
Bestimmt.
Aber wo war ihr Portemonnaie?
Sie konnte es nicht finden.
Sollte sie Marko etwas wegnehmen?
Natürlich nur geliehen...
Sie würde es ihm natürlich zurück geben.
Irgendwann...
Aber nein.
In ihrer Jackentasche fand sie noch einen zehn Euro Schein.
Die Umstellung auf das deutsche Geld fiel ihr immer noch schwer.
Schließlich war sie mit Dollar aufgewachsen.
Sie stopfte den Schein in den Rucksack und zog den Reißverschluss zu.
Sie würde Marko vorgaukeln bereits zu schlafen, denn die Tageszeit passte in etwa.
Wenn er dann auch eingeschlafen war, würde sie aufbrechen.
Und die Zügel?
Baron hatte sie zerfetzt.
Tat es ein Stück alte Wäscheleine?
Sie würden wohl improvisieren müssen.
Im Wohnzimmer holte sie die Wäscheleine aus dem Wandschrank.
„Was willst du denn damit?”
Marko, hinter der Theke, hatte Geena überhaupt nicht bemerkt.
„Basteln”, gab sie schnell zurück.
„Dann viel Spaß.”
Hoffentlich hatte er keinen Verdacht geschöpft.

Einige Stunden später war im Haus alles still.
Marko schlief tief und fest.
Geena konnte sein lautes Schnarchen bis in ihr Zimmer hören.
Mit einer Stirnlampe und dicken Klamotten bewaffnet schlich sie sich aus dem Haus.
Ohne Hund war der Weg zu Barons Koppel ziemlich einsam.
Überall knirschte und knackte es.
Wurde sie verfolgt?
Sie verfiel in den Laufschritt.
Bei dunkler Nacht wirkte jedes Geräusch unendlich laut.
Endlich kam sie an der Weide an.
Der Hengst stand regungslos in der Mitte der Weide und sah ihr entgegen.
Selbst er schien in der Dunkelheit wie ein Monster.
„Hey Großer. Ich bin's”, flüsterte Geena ihm zu.
Baron blieb misstrauisch, doch als Geena ihm ein paar Leckerlis zugesteckt und ihn gestreichelt hatte, war er ganz ruhig und ließ sich von ihr mit dem dreckverschmierten gelben Halfter aufzäumen.
Mit der Schere aus dem kleinen Verbandskasten schnitt Geena ein langes Stück der Wäscheleine ab und knotete es links und rechts gründlich fest.
Baron hatte sie Augen geschlossen.
Die helle Stirnlampe blendete ihn.
Geena betrachtete das große Pflaster auf seiner Brust.
Eigentlich durfte sie ihn jetzt nicht reiten.
Aber es ging ihm gut.
Sie würde ihn einfach nur Schritt gehen lassen, dann würde es sicher nicht schaden.
Sie führte ihn, wie beim letzten Mal auch, von der Koppel runter und ließ ihn neben dem Zaun anhalten.
Sie merkte sofort, dass er angespannt war.
Hoffentlich würde er nicht bocken...
Geena kletterte auf den Zaun und ihre Füße rutschten fast vom glitschigen Balken ab, als sie sich die Zügel zurecht legte.
Baron schnaubte unwillig.
Ihm dauerte es zu lange.
Geena packte entschlossen den weißen zotteligen Mähnenbüschel über Barons Widerrist und schwang sich auf den blanken Rücken.
Gerade noch konnte sie den Schwung abfangen, als der Hengst auch schon in großen Galoppsprüngen auf den Wald zuraste.
Das war es dann wohl mit Schritt reiten.
Scheinbar hatte er sich am Mittag nicht genug ausgetobt.
Seine kraftvollen Hufe wirbelten den Waldboden auf.
Verzweifelt nahm Geena die rauen Zügel kurz, um den Lipizzaner vor dem Radweg zumindest ein bisschen zu bremsen.
Sicherlich waren um diese Uhrzeit keine Radfahrer mehr unterwegs, aber es war sicherlich keine gute Idee im Jagdgalopp um die scharfe Kurve zu rasen.
Zumal Geena nicht einmal wusste wohin genau sie wollte.
Vielleicht hoch in die Berge?
Vielleicht gab es dort eine Höhle oder etwas in der Art.
Baron ließ sich zu einem holprigen Trab überreden, den Geena nur schwer aussitzen konnte.
Er bog von selber nach rechts auf den Radweg ab.
Die Straßenlaternen erleuteten den geschotterten Weg und zum Glück bemerkte der Hengst von selber, dass es hier nicht von Vorteil war, schnell zu laufen.
Er fiel in den Schritt.
Geena atmete auf und klopfte ihm den Hals.
Sogleich merkte sie wie er sich im Rücken anspannte.
Sie sah auf.
Ein Radfahrer war aus einer Seitenstraße herausgefahren gekommen.
Er schlenkerte und hatte große Mühe sein Fahrrad gerade auf dem Weg zu halten.
Geena sah sofort, dass er sturzbetrunken sein musste.
Baron wich weit aus und drückte sich nah am Rand des Weges.
Er trippelte unruhig und warf den Kopf hoch.
„Guläs Fert haste da!”, lallte der Mann und bremste sein Rad ab.
„Daf isch ma anfässn?”
Geena wurde es unwohl zu Mute.
„Lauf Großer, bloß weg hier!”, raunte sie Baron zu und gab die Hand vor.
Im gestreckten Galopp legten sie ein paar hundert Meter auf dem Grünstreifen zurück.
Der Mann rief ihnen irgendetwas hinterher, doch Geena versuchte es zu überhören.
Im Schritt ritten sie weiter.
Geena bemühte sich die befahrenen Wege zu meiden, denn eine Begegnung mit einem großen Auto würde bei Barons Nervosität sicherlich nicht gutgehen.

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