Kapitel 20

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Langsam rutschte sie von seinem Rücken hinunter.
Ihre Knie waren weich wie Wackelpudding und sie musste sich in Barons Mähne festkrallen, um nicht zu Boden zu sinken.
Ihr Herz schlug Purzelbäune vor Glück.
Dieser Ritt war einfach überirdisch gewesen.
Sein schwungvoller Galopp.
Die Freiheit.
Dieses Gefühl.
Geena hatte es so vermisst.
Und nun war es wieder da.
Sie streichelte dem Hengst über den Hals und die Brust.
Er schnaubte ihr sanft ins Gesicht.
Überglücklich schloss sie ihre Arme um den kräftigen Hals und kraulte ihm den Widerrist.
So standen sie da.
Vereint.
Verbunden.
Glücklich.
Bis es plötzlich hinter ihnen knackte.
Baron riss den Kopf hoch und Geenas Finger gelitten aus seiner Mähne und sie drehte sich erschrocken um.
Gerade noch sah sie einen dunklen Pullover und die Stange eines Fahrrades aufblitzen, bevor Baron wie von allen guten Gefühlen und Vertrauen verlassen auf die Hinterbeine stieg und ihr eines seiner Vorderbeine in den Magen rammte.
Geena blieb die Luft weg und sie krümmte sich.
Keuchend sah sie Baron hinterher, der mit großen Sprüngen aus ihrem Sichtfeld verschwand.
„Nein, blieb hier”, röchelte sie und versuchte sich nach Atem ringend aufzurichten.
Ihr Herz hämmerte wie wild vor Angst.
War Baron nun endgültig weg?
„Baron!”, rief sie mit schriller Stimme und blickte hektisch um sich.
Wo war er bloß?
„BARON!”
Sie hörte ein lautes entsetztes Wiehern und rannte los.
Sie rief wieder und wieder seinen Namen.
Da blitzte etwas Weißen auf.
Sie rannte durch das Unterholz des Waldes.
„Oh nein!”, schrie sie erschrocken und schlug die Hände vor das Gesicht.
Vor ihr lag der um sich schlagende Hengst an Boden.
Seine Brust war mit grellrotem Blut bedeckt und er wieherte verzweifelt.
Geena sprach liebevoll auf ihn ein, doch ihre Stimme zitterte zu sehr, um Baron zu beruhigen.
Er versuchte sich aufzurappeln und wühlte dabei Unmengen an Erde auf.
Als er stand, sah Geena es.
An seiner Schulter klaffte eine riesige, extrem blutende Wunde, die mit Erde und Blättern verklebt war.
Die Zügel baumelten zerrissen vom völlig verschmutzen Halfter herunter.
Geena trat vorsichtig an den Hengst heran und griff eins der Zügelenden, um den verdreckten Lipizzaner in Sicherheit zu bringen.
Baron schnaubte aufgeregt und zitterte am ganzen Körper.
Das Blut tropfte auf den Boden und hinterließ Flecken in der dunklen Erde.
Geena führte den Hengst langsam zurück auf seine Weide und versuchte dann sofort Marko anzurufen.
Es klingte einmal.
Zweimal.
Dreimal.
Nimm endlich ab, dachte Geena verzweifelt.
Doch Marko nahm nicht ab.
Was sollte sie jetzt nur machen?
Sie musste die Wunde versorgen, sonst würde sie sich entzünden.
Entschlossen zog sie ihren Mantel und ihren Pullover aus, streifte das T-Shirt über den Kopf und riss es in vier Teile.
Schnelk schlüpfte sie in den Mantel und zerrte Baron hinter sich her zu den großen Wassereimee, den Marko und sie mühevoll auf die Weide gebracht hatten.
Sie tauchte einen Fetzen ihres Shirts in das eiskalte Wasser und begann vorsichtig die Wunde zu säubern.
Baron wehrte sich und ging rückwärts.
Sicherlich brannte es höllisch.
Doch das musste nun sein.
Geena säuberte und säuberte den verdreckten Körper des Lipizzaners.
Immer noch rann das Blut aus der Wunde heraus.
Sie hatte keine Ahnung, wie man einen Druckverband machte, doch irgendwie musste sie die Blutung stoppen.
Baron tänzelte herum und wieherte qualvoll.
Er hatte große Schmerzen.
Geena nahm die restlichen Fetzen ihres T-Shirts zu einem dicken Knäul zusammen und legte es auf die Wunde.

Notdürftig versuchte sie es mit ihrem Pullover zu befestigten und knotete die Ärmel zusammen.
Natürlich hielt das Gebilde nicht.
Da entdeckte Geena das rot-weiße Absperrband.
Sie riss und zerrte daran, bis sie ein langes Stück in der Hand hielt.
Baron war nicht stehengeblieben und sie musste ihn wieder einfangen.
Ihr T-Shirt Knäul lag blutdurchtränkt am Boden, doch sie hatte jetzt nichts anderes.
Sie drückte es wieder auf die Wunde, legte den Pullover darüber und knotete das Absperrband überall an Baron fest, wo es hielt.
Keine Frage, dass der Hengst sich nun nicht mehr bewegen könnte und das ganz und gar nicht toll fand.
Mit der einen Hand versuchte Geena den zappelnden Lipizzaner zu halten, mit der anderen wählte sie sie um die zehn Male Markos Nummer auf ihrem Handy.
Und endlich nahm er ab.
„Geena, was ist denn? Ich stecke gerade mitten in der Verhandlung mit dem Sohn des Besitzers.”, sagte er leise in sein Telefon.
„Marko, du musst jetzt sofort kommen! Baron ist -”
Ein Knirschen und Knacken unterbrach sie.
Die Verbindung war abgerissen.
Geena starrte ihr Telefon an.
Der Bildschirm war schwarz.
Der Akku war leer.
„Verdammt!”, rief Geena und Tränen liefen ihr die Wangen hinunter.
Baron hörte urplötzlich auf zu toben und sich zu wehren.
Er stand still und drehte den Kopf zu Geena.
Sie schniefte und wischte sich die Tränen ab.
Er rieb seinen Kopf an ihrem Arm.
Er wollte sie trösten.
Von Weinkrämpfen geschüttelt strich sie ihm über die Stirn.
Er war einfach alles zu viel.
Sie vermisste ihre Mutter plötzlich so schrecklich, dass er ihr den Boden unter den Füßen wegzog.
Sie fiel ins Gras und schluchzte auf.
Baron stand da und war sichtlich verwirrt.

Er verstand das alles nicht.
Er war doch der Jenige, der unter großen Schmerzen litt und sich wegen dieses doofen Plastikbandes nicht bewegen konnte.
Er wollte weinen.
Doch als Pferd funktionierte das nicht, das hatte er schon mehr als einmal zur Kenntnis genommen.
Gerade eben war doch alles noch so schön gewesen.
Dieses Geräusch hinter ihm hatte ihn so scheußlich erschreckt, dass bei ihm alle Lampen durchgebrannt waren.
Wäre er doch bloß nicht ausgerutscht und auf diesen Stein gefallen...
Und wo war eigentlich dieser andere Typ?
Dieser Verband war unter seiner Würde.
Er drückte und brannte.
Und jetzt lag dieses Mädchen heulend im Gras.
Er wusste selber nicht, was er tun sollte, doch diese Geena nun ebenfalls völlig hilflos zu sehen, verwirrte ihn völlig.

Eine Hand legte sich sanft auf Geenas Schulter und begann sie zu streicheln.
Sie schreckte auf und nahm verschwommen Markos Gesichtszüge wahr.
Sie war so unglaublich verzweifelt.
Zögernd schloss Marko sie in die Arme.
Unter Schluchzern erzählte sie ihm von dem Ausritt und wie schön es gewesen war, wie Baron plötzlich durchgedreht war und wie sie ihn verletzt gefunden hatte.
„Und du warst nicht zu erreichen!”, wimmerte sie.
„Geena, es tut mir unglaublich doll leid. Ich versorge jetzt Baron und dann erzähle ich dir, warum ich nicht zu erreichen war. Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht.”

Marvelous Future - Ich passe auf dich aufWo Geschichten leben. Entdecke jetzt