"Hast du dir das Mädel mal genau angeschaut!? "

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Als die Drei kurze Zeit später den Proberaum von Silbermond, oder besser gesagt die Wohnung mit integriertem Proberaum, betreten, traut Ella ihren Augen kaum. Vor Staunen klappt ihr Mund auf und ein wunderschöner Glanz erscheint in ihren Augen. Sie lässt ihren Blick durch die stilvolle Einrichtung und über die, interessant miteinander verbundenen, Kabel schweifen und bleibt schließlich an den vielen verschiedenen Instrumenten im Raum hängen. Ihre Begeisterung steckt an- auch wenn Louis nicht über die Inneneinrichtung des Proberaums, sondern viel mehr über die Schönheit des Mädchens neben sich staunt. Thomas bleibt diese Reaktion seines Sohnes natürlich nicht verborgen und nimmt sie lächelnd zur Kenntnis. Verliebtsein ist einfach das schönste und berauschendste Gefühl, das es gibt!

"So ihr Beiden! Ich möchte euch ungern stören, aber wenn Ella morgen nicht mit einer fetten Erkältung im Bett liegen möchte, sollte sie sich dringend trockene Kleidung anziehen. Louis, zeig ihr doch mal Mamas Kleiderschrank!". Louis führt Ella in den Nebenraum, in dem sich die verschiedensten Kleidungsstücke sammeln. Ella entscheidet sich nach kurzer Überforderung letztendlich für eine schwarze Jeans, einen gelben Sweater von "Homeboy" und ebenfalls schwarze Turnschuhe. Auch Socken und eine kleinere Unterhose findet sie in der Schublade des riesengroßen Schrankes. Bei den BHs gibt es allerdings ein Problem- denn an die Oberweite von Steff kommt sie lange nicht ran! Aber da der Sweater locker genug sitzt, wird das für das eine Mal auch ohne gehen. "Da hinten ist ein kleines Bad. Du kannst gerne auch erst einmal kurz unter die heiße Dusche, um dich aufzuwärmen! Handtücher liegen im Regal- wenn du reinkommst gleich links und Shampoo und Duschgel stehen bereits in der Dusche." "Danke Louis! Das ist so lieb von euch!". "Nun hör auf dich dauernd zu bedanken und geh dich endlich aufwärmen!". Lächelnd schiebt er Ella in Richtung der Badezimmertür.

Als Louis zurück zu seinem Vater in den Proberaum kommt, sitzt dieser schon mit einem vielsagenden Grinsen im Gesicht auf einem der Barhocker. "Die gefällt dir richtig gut oder?". Louis Wangen färben sich augenblicklich in ein helles Rosa- ein bisschen peinlich ist es ihm schon, dass es wohl so offensichtlich ist. "Fällt es so stark auf?" stellt er deshalb unsicher die Gegenfrage. "Naja mein Sohn, ich kenne dich seit 17 Jahren und bemerke so etwas direkt. Das ist wohl der Vaterinstinkt. Sie scheint dir unglaublich gut zu tun und eure Vertrautheit ist wirklich der Wahnsinn, als würdet ihr euch schon ewig kennen!". "Das ist ja das Komische! Wir kennen uns erst seit etwa einem Monat- wie kann das sein?!". "Ich würde sagen, das ist pures Schicksal!". "Und doch ändert es nichts an der Situation, dass sie für mich nicht dasselbe empfindet, wie ich für sie. Vermutlich bin ich für sie wie ein großer Bruder, der sie beschützt. Aber nichts weiter...". Niedergeschlagen lässt sich auch Louis nun auf einen der Barhocker fallen. "Louis! Jetzt hör mir mal zu! Egal, was du dir da gerade einredest- sie findet dich genauso toll, wie du sie! Hast du mal ihre Blicke gesehen, wenn du sprichst oder die vielen unauffälligen Berührungen die scheinbar zufällig passieren? Ihr vollendet eure Sätze und sprecht gleichzeitig den gleichen Gedanken aus! Das ist nicht nur freundschaftlich! Glaub mir! Deine Mama war damals genauso! Und ich habe es einfach erst viel zu spät kapiert! Kämpfe um sie, es wird sich lohnen!". "Danke, Papa! Du bist echt der Beste!". Dieses Gespräch hat Louis so viel neue Kraft und Zuversicht gegeben, dass er sich direkt für morgen ein Gespräch mit Ella vornimmt, in dem sie endlich mal darüber sprechen sollten, was das zwischen ihnen eigentlich ist. Beflügelt von dieser neuen Energie, malt er sich die schönsten Zukunftsszenarien aus und träumt vor sich hin. Zumindest so lange, bis Ella aus dem Bad zurückkommt und sich mit ihm und Thomas über die Musik unterhält.

Gerade geht es um Gitarrenakkorde, als sie hören, wie die Tür aufgeschlossen wird. Keine fünf Sekunden später steht Steff auch schon im Raum, sichtlich überrascht von dem schlanken Mädchen, das mit dem Rücken zu ihr sitzt. "Na? Wer leistet uns denn heute Gesellscha ... ?". Als Ella sich umdreht, bleiben Steff augenblicklich die Worte im Hals stecken. Vor ihr steht das Ebenbild von Yvonne. Genauso hübsch und genauso unschuldig wie ihre Mutter! Das kann nicht sein- nicht jetzt und nicht schon wieder! Warum taucht diese Frau immer in den ungünstigsten Momenten in meinem Leben auf! Aber vielleicht täusche ich mich ja auch nur... aber das wäre schon ein heftiger Zufall! Ich muss mir sicher sein...

"Wer bist du denn?!" fragt Steff deshalb völlig geschockt und wenig einfühlsam. Dabei scannt sie Ellas Körper mit einem argwöhnischen Blick einmal komplett von unten nach oben. Ella fühlt sich dabei sichtlich unwohl und schafft erst zu antworten, als Steff ihre Frage mit deutlichem Nachdruck wiederholt. "Äh ich bin Ella...". "Ella also.... und weiter?!". Völlig eingeschüchtert gibt diese ein stotterndes "Äh... ehm ... Wnuk... Ella Wnuk ..." von sich. Scheiße! Sie ist es wirklich! Sofort verdunkeln sich die Augen von Steff und verformen sich zu gefährlich engen Schlitzen. Nein! Ich möchte das auf keinen Fall noch einmal durchleben! Ich muss dem hier sofort ein Ende setzen! "Ahja! Und das erlaubt dir einfach hier so reinzuschneinen, offensichtlich meine Kleidung zu tragen, ohne vorher nachzufragen und dich vermutlich auch noch an meinen Sohn ranzuschmeißen, nur um bekannt zu werden?!". Fassungslos und völlig geschockt starren alle Anwesenden die komplett neben sich stehende Steff an. "Mama! Stopp! Hör auf damit, das stimmt doch alles überhaupt gar nicht! Ich habe sie hierher mitgebracht und...". "Das ist mir völlig egal, Louis! Sie hat hier nichts verloren! Sie...". Bevor Steff ihren Satz beenden kann, schreitet Thomas ein und zieht seine Freundin unsanft zur Seite. "Alter Steff! Gehts noch!? Was ist denn mit dir los?! Wie kannst du dieses Mädchen nur so angehen!". Ihre Lippen beginnen zu beben, ihr Brustkorb hebt und senkt sich immer schneller und laut schluchzend sackt sie schließlich in Thomas Arme zusammen. "Thomas, ich weiß auch nicht! Ich... sie ..."

"Ella, warte doch! Bitte! Sie hat das nicht so gemeint! Bleib hier verdammt!". Mit einem lauten Knall fällt die Tür ins Schloss und für Ella gibt es kein Halten mehr. Steff hatte sie in all ihren, so mühsam verdrängten Zweifeln, bestätigt! Sie ist Nichts wert! Und vor allem nicht gut genug für Louis! Sie macht immer nur alles kaputt! Was hatte sie sich da nur die ganze Zeit eingeredet!? Von ihren Schuldgefühlen, enormen Selbsthass und unendlicher Leere in ihrem Innern getrieben, rennt Ella scheinbar ziellos durch Berlin. Sie will einfach nur weg! Weg von all ihren Problemen und ihren scheiß Gefühlen zu Louis!

Louis kann seine Tränen nicht länger zurückhalten. "Ist das dein verdammter Ernst, Mama?! Was sollte das? Toll gemacht! Danke auch!". So schnell ihn seine Beine tragen können rennt er nach draußen. Sucht stundenlang an jeder Ecke, in jedem Winkel und an hunderten Bushaltestelle nach Ella, doch alles vergeblich. Völlig entkräftet und mit den Nerven am Ende, lässt er sich an der grünen Hauswand eines hässlichen Mehrfamilienhauses hinunterrutschen. Das ist alles meine Schuld! Wenn ihr jetzt was passiert, kann ich mir das nie verzeihen! Ich liebe sie doch!

Währenddessen hat der völlig verstörte Thomas alle Hände voll damit zu tun, Steff einerseits zu beruhigen und andererseits herauszufinden, was diese Aktion gerade sollte. "Steff, was ist nur in dich gefahren!? Du bist doch sonst nicht so- ganz im Gegenteil! Du kannst doch nicht so mit der Freundin deines Sohnes umgehen! Sie ist ihm echt wichtig!". "Ich weiß doch auch nicht, was da gerade mit mir los war! Ich erkenne mich selbst kaum wieder! Aber sie hat einfach alle alten Wunden wieder aufgerissen...". "Häh? Welche Wunden? Du kennst das Mädchen doch gar nicht! Steff, ich versteh nur Bahnhof!". "Sag mal, Thomas! Hast du Tomaten auf den Augen?! Hast du dir das Mädel mal genau angeschaut?!". Erneut bricht Steff in Tränen aus und sucht Halt an den starken Schultern ihres Partners, dem langsam aber sicher ein Licht aufzugehen scheint.

Mittlerweile dämmert es draußen bereits und Louis hat Ella immer noch nicht finden können. Das kann doch nicht sein! Irgendwo muss sie doch stecken! Plötzlich trifft es ihn wie ein Blitzschlag. Natürlich! Es gibt nur einen einzigen Ort, an dem Ella all ihre Gefühle zulassen und rauslassen kann! Und der ist selbst um diese Uhrzeit für sie zugänglich! Wieso bin ich da nicht gleich draufgekommen?! Ohne auch nur eine weitere Minute zu verschwenden, biegt Louis in den kleinen Weg ein, der ihn direkt zur Schule führt.

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