"Was willst du denn von der!?"

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Die nächsten Schulwochen vergehen wie im Flug und beide Jugendliche haben alle Hände voll mit sich selbst und all den Dingen des Alltags zu tun. Doch während sich Louis langsam aber sicher den Abiturstoff zu Gemüte führt und die Pausen gerne auf der Terrasse für die Oberstufe, umringt von den beliebtesten Schülern der Schule, verbringt, hat Ella mit ganz anderen Problemen zu kämpfen.

Sie sitzt in ihren Pausen immer allein auf der Bank nahe der Eingangstür und findet einfach keinen Anschluss in ihrer Stufe. Von ihren MitschülerInnen wird sie, seitdem sie sich der Klasse vorstellen sollte und sich dabei bis auf die Knochen blamiert hat, nur belächelt. Zu ihrem Glück hat noch Niemand herausgefunden, dass sie die Tochter von Yvonne Catterfeld ist. Das wäre dann wohl ihr endgültiges Todesurteil und all das, was sie in Erfurt hinter sich gelassen hat, würde hier gnadenlos wieder von vorne beginnen. Das Gefühl des Nicht- Dazugehörens macht Ella innerlich kaputt und ihre Gedanken fahren den ganzen Tag Achterbahn. Auf die Schule kann sie sich so auch nicht konzentrieren. Dauerhaft kreisen ihre Gedanken darum, was nur so falsch an ihr ist, dass sich keiner mit ihr abgeben möchte. Na gut außer Einer, dem sie in jeder Pause sehnsüchtige Blicke zuwirft.

Was würde sie nur dafür geben, einmal in ihrem Leben so angenommen zu werden, wie es Louis wird. Ihr einziger Halt und Anker sind die Gespräche mit diesem Jungen. Das Vertrauen zueinander und die Liebe zur Musik scheint sie immer weiter zusammen zu schweißen und stellen den einzigen Lichtblick in ihrem sonst so tristen Leben dar. Wem soll sie sich denn auch sonst anvertrauen?! Ihr Vater hat sie verlassen und ihre Mutter möchte sie mit ihren Problemen nicht zusätzlich belasten. Die hat schon genug mit ihren eigenen inneren Dämonen zu kämpfen, da braucht sie nicht auch noch zusätzlich die ihrer Tochter. Und dann wäre da noch die Sache mit der Liebe oder der Freundschaft oder was auch immer das zwischen Louis und ihr ist. Es ist doch nicht normal, dass sich bei jeder der vielen zufälligen Berührungen ihrer Körper, ein heftiges Kribbeln in all ihre Gliedern ausbreitet. Und den intensiven Blickkontakt zwischen ihnen, kann sie auch nicht mehr leugnen. Wobei vielleicht bildet sie sich das selbst ja alles nur ein. Denn Louis sendet keinerlei Signale in diese Richtung. Was möchte er denn auch von einer 14-jährigen, die zudem noch einen Knacks weg hat!? Auf keinen Fall möchte sie diese besondere Freundschaft wegen irgendwelchen Hirngespinsten und fehlzündenden Synapsen ihrerseits aufs Spiel setzen- viel zu wertvoll ist ihr die gemeinsame Zeit!

Wobei, wenn sie genauer darüber nachdenkt, hatte selbst Louis in den letzten Monaten kaum mehr Zeit für sie. Klar, er steckt gerade mitten in der Abiturvorbereitung und, dass er einen guten Abschluss schaffen möchte, kann sie ihm wirklich nicht vorwerfen! Und doch wünscht sie sich nichts sehnlicher, als ihm ihr Herz ausschütten zu können. Sich all den Frust und Schmerz der letzten Zeit oder vielleicht auch der letzten Jahre von der Seele zu reden und Jemanden zu haben, der ihr zuhört und für sie da ist. Einfach Zeit mit einem der einzigen Menschen zu verbringen, dem sie wirklich wichtig ist. Aber ist sie ihm das überhaupt? Vielleicht ist sie ihm mit der Zeit auch lästig geworden und er ist einfach zu sozial um ihr das zu sagen. Vielleicht will er ja gar keine Zeit mehr mit ihr verbringen. Doch kann das wirklich sein?!

Ella weiß überhaupt gar Nichts mehr und wie so häufig in den letzten Wochen, bereiten diese Gedanken und das extreme Gefühlschaos in ihrem Inneren, ihr unglaubliche Kopfschmerzen. Stumm wischt sie sich die heruntertropfenden Tränen aus dem Gesicht, schnappt ihren Rucksack und steuert geradewegs auf den Proberaum zu. Louis hat heute sowieso keine Zeit, demnach wird sie hier auch Keiner stören, wenn sie versucht sich irgendwie selbst zu therapieren- in Form von Musik und Songs schreiben. Irgendwie muss sie diese verkorkste Situation hier ja in Worte fassen und wenn sie schon Niemanden wirklich zum Reden hat, dann wenigstens auf dem Papier. Anders wüsste sie sich so langsam einfach nicht mehr zu helfen.

Doch anders als Ella annimmt, entgehen Louis ihre Blicke in den Pausen nie. Der traurige Ausdruck in ihren Augen, lässt sein Herz jedes Mal aufs Neue schmerzen. Zu gern würde er ihr helfen, doch weiß einfach nicht wie. Viele Nächte hat er sich schon Gedanken um dieses wunderschöne Mädchen gemacht. Das Mädchen, das nicht nur ein bildschönes Aussehen, sondern auch ein Charakter aus Gold hat. Warum das Niemand, außer ihm, zu sehen scheint, ist ihm ein Rätsel. Sie ist so einzigartig und unfassbar talentiert, irgendwie muss das doch die ganze Welt erfahren! Er nimmt sich fest vor, wieder mehr Zeit mit Ella zu verbringen, ob bei gemeinsamen Musiksessions im Proberaum oder auch privat. Das kam in letzter Zeit nämlich definitiv zu kurz! Und viel zu sehr vermisst er ihre strahlenden Augen, wenn sie ein Instrument in der Hand hält oder ihren verlegenen Blick, wenn er sie etwas zu lange anschaut. Aber er kann einfach nicht anders! Dieses Mädchen hat ihn, von der ersten Sekunde an, in ihren Bann gezogen und er möchte sie nie wieder missen! Und noch weniger möchte er sie traurig sehen. Er wird ihr aus ihrem Loch heraushelfen, koste es, was es wolle!

.....

Als er am nächsten Morgen die Mensa betritt, bleibt ihm jedoch beinahe das Herz stehen. Eine riesige Traube an SchülerInnen aller Klassenstufen hat sich um eine Person in der Mitte versammelt. Alle zeigen wie wild auf das völlig eingeschüchterte Mädchen, lachen sie aus oder werfen ihr die wildesten Kommentare an den Kopf. Als Louis erkennt, dass es sich bei diesem Mädchen um keine geringere als seine beste Freundin handelt, kann er sich keine Sekunde länger zurückhalten. Das geht einfach zu weit!

Entschlossen bannt er sich seinen Weg durch die Menschenansammlung hindurch, bis er direkt vor Ella zum Stehen kommt und die neuste verbale Attacke hautnah miterlebt.
"Alter, du siehst aus wie diese olle Sängerin, die sich von Bohlen hat kaufen lassen! Du kannst doch bestimmt auch nur so ohrenbetäubend rumjaulen, sofern du überhaupt mal deinen Mund aufbekommen solltest!". Ella will sich gegen diese völlig absurden Behauptungen wehren, doch sie schafft es, mal wieder, nicht auch nur irgendeinen Ton herauszubringen. Ihren Mund öffnet sie nur, um im nächsten Moment die Lippen wieder aufeinander zu pressen." Aww, unser stummer Fisch hat wohl zu viel heiße Luft eingeatmet. Aber hey das macht Nichts! Du hast bestimmt ganz andere Qualitäten, nicht wahr Süße?". Ella steht zitternd und tränenüberströmt noch immer regungslos an ihrem Platz, nicht in der Lage sich irgendwie gegen das zu wehren, was direkt auf diese widerwärtige Aussage folgt. Der schmierige Typ, der sich als Louis Klassenkamerad Kiran entpuppt, streckt seine riesengroßen Pranken in Richtung Ellas Brüste aus.

Doch kurz bevor er zupacken kann geht Louis geistesgegenwärtig dazwischen. Mit einem heftigen Faustschlag befördert er Kiran zu Boden, nur um sofort die komplett verstörte Ella in seine Arme zu ziehen. Das Gesehene scheint bei ihm die Vernunft und Gedanken an zukünftige Konsequenzen vollkommen ausgeschaltet zu haben und lässt ihn sofort aus dem Affekt heraus handeln. "Sagt mal geht's eigentlich noch?! Sie hat euch nichts getan! Wie kann man einen Menschen nur so widerlich behandeln?! Sie hat mehr drauf als ihr alle zusammen! Und vor allem hat sie etwas, das keiner von euch Bastards besitzt: nämlich ein riesengroßes Herz!". Wütend lässt Louis seinen Blick durch die Menge wandern und bleibt schließlich an Kiran haften.

"Und du lässt gefälligst deine dreckigen Finger von ihr! Hast du mich verstanden?! Lass sie ein für alle Mal in Ruhe! Sie gehört zu mir! Ist das klar?!". Um seine Aussage noch zusätzlich zu verdeutlichen, drückt er der, nach wie vor unter Schock stehenden Ella, einen liebevollen Kuss auf die Stirn. Noch immer hält er sie dabei schützend in seinen starken Armen.

"Alter Louis! Bist du jetzt eigentlich total durchgeknallt?! Was willst du denn von DER!? Du kannst Jede haben und nimmst SIE?! Diese hässliche Bitch?!".
Ella, in deren Körper endlich wieder Leben gekommen ist, hält das Ganze nicht mehr aus und kann noch weniger ertragen, dass sie Louis mit sich in den Abgrund reißt. Mit letzter Kraft befreit sie sich aus seinen Armen und rennt schwankend aus dem Schulgebäude, nur um nach den ersten einhundert Metern auf den harten Asphalt aufzuschlagen.

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