Am liebsten würde ich zu ihm rennen und seine ekeligen Griffel von meiner Freundin nehmen, aber ich kann mich nicht bewegen. Mabels Worte haben mich nämlich zu Eis erstarren lassen.

„Solltest du nichts ändern, war es das mit uns!"

Ein bitterer Beigeschmack breitet sich auf meiner Zunge aus. Ich möchte Mabel auf keinen Fall verlieren, doch allem Anschein nach habe ich das schon längst. Schuld daran trage allerdings nicht ich, sondern Lee.

Bin ich etwa der Einzige, der sieht, was für ein falsches Spiel mein Cousin spielt?

Eine Träne, gefüllt mit Kummer und Herzschmerz, rinnt über meine Wange, als Mabel, Lee und Noah aus meinem Sichtfeld verschwinden. Zurück bleiben die Passanten um mich herum, die aufgeregt durcheinanderreden, und ich.

Es dauert eine Weile, bis ich mich aus meiner Schockstarre lösen kann und in Richtung Bahnhofskiosk laufe.

Eigentlich muss ich in einer Stunde in der Schwimmhalle sein, um mich auf meinen Wettkampf vorzubereiten, doch ich habe keine Lust, mich mit meinen Gegnern zu messen. Aktuell möchte ich einfach nur allein sein.

Der Schmerz in meinem Herzen betäubt mich und lässt mich so einsam fühlen, wie schon lange nicht mehr.

Plötzlich ist mir alles egal. Ich möchte nur noch, dass dieser Schmerz nachlässt.

„Hallo. Eine Flasche Wodka, bitte", teile ich dem alten Kioskbesitzer mit. Kurz mustert mich dieser mit gerunzelter Stirn und misstrauischem Blick, doch schließlich gibt er mir, wonach ich verlange. „Scheiß Tag gehabt, Kleiner?", möchte er wissen, während ich ihm einen Geldschein zuschiebe.

„Wohl eher scheiß Monate", korrigiere ich ihn verächtlich.

Mit der Flasche Alkohol in der Hand mache ich mich letztlich auf den Weg in den Stadtpark. Dort angekommen verscheuche ich ein turtelndes Liebespaar von einer Bank, um mich selbst daraufsetzen zu können.

Sofort nehme ich zwei tiefe Schlucke von dem Wodka und genieße die brennende Hitze, die meinen Rachen hinabrinnt.

Wie erhofft, betäubt der Alkohol meinen Schmerz.

Das ist auch der Grund, weshalb ich die Flasche erneut zu meinen Lippen führe und gierig die glasige Flüssigkeit trinke.

Normalerweise bin ich kein Fan davon, Alkohol in großen Mengen zu konsumieren, doch in diesem Moment hilft es mir dabei, nicht an Mabel und Lee denken zu müssen.

Immer mehr Wodka rinnt meinen Rachen hinab und immer mehr Nebel bildet sich in meinem Kopf.

Irgendwann bin ich so betrunken, dass mir die Flasche aus den Händen gleitet und sie klirrend auf dem Boden zerspringt. „Scheiße!", fluche ich verärgert. Ich brauche mehr von diesem Wunderzeugs!

Auf wackeligen Beinen erhebe ich mich von der Parkbank, nur um gleich darauf das Gleichgewicht zu verlieren und hinzufallen. Dabei schlage ich mir zwar den Hinterkopf an der Bank an, doch so etwas wie Schmerz empfinde ich nicht. Stattdessen ist da bloß dieses Taubheitsgefühl, welches mich zum Lächeln verleitet.

Es fühlt sich gut an, nichts zu fühlen.

„Brauchst du Hilfe?" Ein kleines Mädchen mit roten Locken, grünen Augen und Sommersprossen auf der Nase steht plötzlich über mir. Unsicher, aber dennoch entschlossen streckt sie mir ihre Hand entgegen.

„Mabel?", frage ich sie hoffnungsvoll.

Sie sieht genauso wie meine Freundin aus – nur ein paar Jahre jünger.

„Ich-Ich bin nicht Mabel", stammelt das kleine Mädchen verwirrt. „Soll ich sie denn für dich anrufen?" Mittlerweile hockt die Rothaarige neben mir auf dem Boden, um mir besser in die Augen schauen zu können. „Hast du dein Handy dabei? Dann kann ich gucken, ob ich eine Mabel in deiner Kontaktliste finde."

Wenn Sonne und Regen aufeinandertreffenWhere stories live. Discover now