Chapter 24

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CHLOÉ

Mit verschränkten Armen stand ich vor meinem Fenster und starrte mit leerer Miene aus diesem hinaus.

Der Schlosspark war in geheimnisvolles Mondlicht getaucht. Vollmond. Unwillkürlich schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen, als ich an meine letzte Vollmondnacht denken musste.

Insbesondere an die Begegnung, die sie damals mit sich gebracht hatte.

Irgendwie sehnte ich mich an diese Zeit zurück. Alles war so sorglos gewesen. Ich musste nicht meine Eltern verdächtigen, dass sie mich im Stich gelassen hatten. Mal abgesehen davon, dass ich mir sowas noch nicht mal im Ansatz hätte vorstellen können.

Besonders mein Aufenthalt im Verließ von Xerxes erschien mir plötzlich regelrecht surreal.

Ebenfalls nicht mal im Ansatz hätte ich mir vorstellen können, dass ich binnen kürzester Zeit jemanden so mit Haut und Haaren verfallen könnte, wie ich ihm - Xerxes - verfallen war.

Zeiten änderten sich.
Das spürte ich am eigenen Körper.
Trotzdem würde ich ohne mit der Wimper zu zucken meinen ganzen Besitz hergeben, nur um wieder in eine sorglose Zeit zu gelangen.

»Mann, ist das Leben anstrengend.«, murmelte ich. Natürlich wusste ich, dass meine Probleme unwichtig waren, im Gegensatz zu anderer Leute Problemen.

Ich musste immerhin nicht körperlich arbeiten, ich hatte genügend Essen um über die Runden zu kommen und auch an Gold mangelte es unserer Schatzkammer weniger.

Trotzdem: Ich sehnte mich nach einem Leben mit weniger Problemen. Mit einer ehrlichen und liebevollen Familie, einem tollen Partner, der nicht sein Gesicht verbarg und alles über sein Leben verheimlichte. Und der mich schon gar nicht gefangen hielt oder gehalten hatte.

Gerade als ich mich vom Fenster abwenden wollte, um endlich schlafen zu gehen - die Turmuhr hatte bereits Mitternacht geschlagen -, nahm ich im Augenwinkel eine Bewegung in mitten des Schlossparks wahr.

Sofort drehte ich mich wieder zurück zum Fenster und starrte angestrengt in die Dunkelheit hinaus. Schlagartig war ich hellwach. Anscheinend hatte ich Talent dafür mir selber den Schlaf zu vermiesen.

Trotz des Mondlichtes hatte ich Schwierigkeiten etwas zu erkennen. Mein Atem ging flach, als sich plötzlich eine dunkel gekleidete Gestalt aus dem Schatten schälte.

In einer Kurzschlusshandlung wandte ich mich vom Fenster ab, hechtete durch den Raum, schnappte mir einen brennende Kerze, riss meine Zimmertür auf und stürzte in den langen und vor allem kalten Korridor, den ich möglichst leise und dennoch schnell entlanglief.

Atemlos blieb ich vor den großen Terrassentüren meines Zuhauses stehen. Eine seltsame Unsicherheit breitete sich in mir aus und ich spürte, wie mich der Mut verließ.

Immerhin konnte ich nicht wissen, wer sich da tatsächlich zu nächtlicher Stunde im Schlosspark herumtrieb.

Was war, wenn es jemand mit unguten Absichten war?

»Immer positiv denken, Chloé.«, ermahnte ich mich selber. Dann warf ich mich gegen die schwere Tür und schob sie auf.

Rausgegangen zu sein bereute ich spätestens in dem Moment, als mich ein kühler Windstoß traf.

Obwohl wir eigentlich Sommer hatten, erschien mir diese Nacht seltsam kalt. Ich schob den Ärmel meines geliehenen Kleides etwas zurück und erkannte Gänsehaut auf meinen Armen.

Apropos geliehen: Ich musste Anna bei Gelegenheit das Kleid wieder zukommen lassen.

Ich verharrte auf der Stelle, als ich ganz in der Nähe ein leises Knacken und Rascheln vernahm. Vorsichtig drehte ich meinen Kopf in alle Richtungen. Vor mir befand sich die Eiche.
Die Schaukel bewegte sich leicht durch den Wind.

Wieder vernahm ich das Knacken von Ästen. Es klang so, als würde jemand drauftreten und unbedingt bemerkt werden.

»Hallo?«, rief ich mit zittriger Stimme in die Nacht. Keine Antwort. Nur ein weiteres Knacken eines Astes war ganz in meiner Nähe zu hören.

»Hallo?«, rief ich nochmal, diesmal klang meine Stimme zum Glück normal und stark.

»Es war, als hätt' der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt'.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis' die Wälder,
So sternklar war die Nacht.«, ertönte plötzlich eine Stimme hinter der großen Eiche.

»Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.«, beendete die Stimme und ich unisono das Gedicht.

[Joseph von Eichendorff; Mondnacht]

Ich würde die Stimme überall erkennen. Der raue und tiefe Klang war einfach unverkennbar.
Mein Herzschlag beruhigte sich augenblicklich. Nur um sich gleich darauf wieder zu beschleunigen, als die Worte langsam bei mir ankamen.

Hinter der großen Eiche mit meiner Schaukel, trat Xerxes hervor. Seine samtene Maske, die mir inzwischen so vertraut war wie mein eigenes Spiegelbild, wurde vom Mondlicht und der Kerze in meiner Hand beschienen.

Wie auf magische Weise schien sie zu glitzern.

Wie ferngesteuert näherte ich mich ihm. So als wäre ich ein Magnet, der angezogen werden würde.
Zwei Schritte vor ihm blieb ich schließlich etwas zögerlich stehen. Mein Mut sank wieder etwas.

Mein Gegenüber schien das zu bemerken, denn mit einem großen Schritt hatte er die Lücke zwischen uns gefüllt.

Ehe ich wusste wie mir geschah, spürte ich auch schon zwei warme Hände, die mein Gesicht umfassten und traumhaft weiche Lippen, die so wunderbar auf meine passten.

Ich erwiderte den Kuss, der ganz sanft und behutsam begann, während ich meinerseits meine Arme um seinen Hals schlang und in seinem seidenen Haar vergrub.

Er zog mich näher zu sich und ich schmiegte mich an seine Brust, als der Kuss schließlich heftiger wurde.

Ruckartig ließ er mich los und wir schnappten fast gleichzeitig nach Luft.

Automatisch musste ich lächeln. Ein dämliches, liebestrunkenes Lächeln. Mein Herz sprang in meiner Brust auf und ab, als ich sah, dass der Prinz mir gegenüber es erwiderte.

Auch wenn es seine Augen nicht erreichte.

XerxesWhere stories live. Discover now