Chapter 15

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CHLOÉ

Es war bereits später Nachmittag, als ich mich so sehr langweilte, dass ich es nicht mehr in meinem Zimmer aushielt.

Prinzipiell hätte ich auch klingeln und Anna oder eine andere Dienerin nach Büchern fragen können, aber das war dann auch wieder zu langweilig für mich.

Außerdem wollte ich - wenn ich schon unfreiwillig hier war und wohl auch für längere Zeit hier bleiben musste - wissen, wo ich mich genau befand und vor Allem wie das Schloss aussah.

Vorsichtig schlüpfte ich in meine Ballerinas, die Anna mir zusammen mit den Kleidern gebracht hatte und verließ mein Zimmer.

Die Gänge ähnelten den altbekannten aus meinem Zuhause. Ab und zu öffnete ich eine Tür und spähte dahinter, immer auf der Hut, dass niemand sich in dem Raum befand. Aber mehr als Schlafzimmer hatte ich bis jetzt noch nicht gefunden.

Dann öffnete ich eine Tür, hinter der ein riesiger Raum verborgen war. Ein imposanter Flügel stand in der Mitte des Raumes. Hinter dem Flügel konnte man den Schlosspark durch die großen Fenster hindurch erkennen.

Vor dem Flügel wiederum waren Sitzgelegenheiten. Wahrscheinlich befand ich mich hier gerade in einem Salon. An den Wänden hingen wunderschöne Landschaftsgemälde. Monet, wie ich eindeutig erkennen konnte.

Puh. Zum Glück keine furchterregenden Ahnherren, die noch dazu - meistens - sehr hässlich waren.

An der linken Wand war eine große Flügeltür eingelassen. Neugierig wie ich war, trat ich auf die zu und öffnete sie vorsichtig.

Vor lauter Staunen und Begeisterung fiel mir glatt die Kinnlade herunter. Staunend trat ich in den Raum, der vielleicht sogar die unangefochtene Schneiderwerkstatt von Madame Collin vom Thron stoßen würde.

Ich befand mich in einer riesigen Bibliothek.

Meterhohe Regale, gefüllt mit Unmengen an Büchern, säumten den Raum, der sich riesengroß und auf zwei Etagen erstreckte. Große, mit Stuck und Blattgold umrandete Fresken zierten die Decke des lichtdurchfluteten Raumes.

Ehrfürchtig trat ich in die Mitte des Raumes und drehte mich einmal um meine eigene Achse. Dieser Raum war einfach nur wunderschön. Ein Meisterwerk, das seinesgleichen suchte.

Die Schlossbibliothek bei mir Zuhause war zwar ebenfalls schön, aber nichts im Vergleich zu dieser hier. Vor allem war unsere Bibliothek um einiges kleiner.

Immer noch mit Staunen und Ehrfurcht erfüllt, ging ich die großen Regale ab und strich federleicht und äußerst vorsichtig über die in Pergament eingeschlagenen Buchrücken.

Ich erkannte ein paar der Bücher, die mir Xerxes bei unserer ersten Begegnung vorgeschlagen und die ich nicht gekannt hatte.

Vorsichtig zog ich eines der Bücher aus.
Twelfth Night, Shakespeare. Vollkommen fasziniert fuhr ich mit meinem Finger über das Pergament.

»Conceal me what I am, and be my aid for such disguise as haply shall become the form of my intent.«, erklang eine tiefe Stimme, irgendwo aus dem Raum und ließ mich gewaltig zusammenzucken.

Hinter einem der Regale, so versteckt, dass ich ihn nicht hatte sehen können, trat Xerxes hervor. Wie üblich in einem dunklen Anzug und mit seiner Maske ausgestattet.

»Viola.«, fügte er leise und mit rauer Stimme hinzu, sobald er mich erreicht hatte und blieb einen Steinwurf von mir entfernt stehen. Ich stand stocksteif da und war wie erstarrt.

Mein Herz dagegen war leider noch putzmunter und hämmerte kräftig gegen meine Brust, so dass es mir fast schmerzte.

Xerxes Blick verfinsterte sich merklich, als er ihn über mich schweifen ließ und ein brennendes Gefühl auf meiner Haut hinterließ. Seine blauen Augen strahlten die - beinahe schon gewohnte - Eiseskälte aus.

»Was tust du hier, Chloé?«, sagte er nun in einem bedrohlichen Tonfall. »Du solltest nicht hier sein.«

»Mir war langweilig.«, sagte ich entschuldigend, da ich das Gefühl hatte, mich dringend erklären zu müssen.

»'Tschuldigung.«, nuschelte ich. Keinesfalls wollte ich Xerxes irgendwie provozieren. Da entschuldigte ich mich lieber.

Er hatte ohnehin recht. Ich hatte keine Erlaubnis erhalten, um in den Räumen schnüffeln zu dürfen. Ich würde es vermutlich auch nicht gerne sehen, wenn ein Fremder durch alle Räume meines Zuhauses wandern und Sachen anfassen würde.

Xerxes antwortete mir nicht. Stattdessen betrachtete er eingehend mein Gesicht, so, als würde er nach irgendeinem Hinweis suchen. Für was auch immer.
Dann blickte er auf das abgegriffene Buch und sein Blick wurde etwas weicher.

»Wenn du schon mal hier bist, kannst du das Buch mitnehmen.«, gestattete er mir mit einem spöttelnden Unterton.

Er trat auf mich zu. Nun waren wir uns so nah, dass ich die Wärme, die von seinem Körper ausging, ganz stark spüren konnte. Unsere Nasenspitzen berührten sich beinahe.

»Das nächste Mal allerdings, Chloé...«, begann er und wickelte sich eine Haarlocke um den Zeigefinger, die mir die ganze Zeit schon im Gesicht hing, bevor er sie mir sanft hinters Ohr strich.

»Das nächste Mal Chloé, wirst du mich um Erlaubnis bitten, bevor du herumstreifst. Nochmal werde ich nicht so kulant sein.«

Sofort nickte ich und senkte meinen Blick, bevor ich das Buch eingehend betrachtete. Sein angsteinflößender Blick jagte mir einen Schauer über den Rücken, verpasste meinen Mut einen gehörigen Dämpfer und ließ mich klein bei geben.

»Gut.«

Xerxes fasste mich am Kinn und hob es hoch, so dass ich gezwungen war ihm wieder in die Augen zu sehen. Ich musste schlucken und befeuchtete meine Lippen, was seinen Blick kurzzeitig auf diese lenkte.

Wir standen uns immer noch unglaublich nah. Nicht einmal ein dünnes Blatt Papier hätte Platz zwischen uns gefunden. Fast glaubte ich, dass mich Xerxes küssen wollte und mein Herz schlug bereits aufgeregt vor lauter Vorfreude.

Was für ein mieser Verräter, wollte ich an dieser Stelle angemerkt wissen.

Dann aber ließ Xerxes ruckartig mein Kinn los und trat einen großen Schritt zurück. Verwirrt sah ich ihn an. Seine Atmung hatte sich beschleunigt und ging etwas hektischer, als es zuvor der Fall gewesen war.

Wenigstens war ich nicht die Einzige hier im Raum, die beinahe hyperventilierte.

XerxesWhere stories live. Discover now