Chapter 10

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CHLOÉ

Ruckartig sah ich zur Tür meines Verlieses.
Dort stand jemand.

Mit einem mühsam unterdrückten Aufschrei, stand ich auf und tapste vorsichtig und mit zittrigen Beinen in Richtung Gitter. Ich wollte wissen wer da stand und mich beobachtete.

Als schließlich nur noch das Gitter zwischen uns beiden war, sah ich auf. Die Fackeln erhellten das Gesicht meines Beobachters. Oder zumindest die Stelle wo üblicherweise das Gesicht war.

Ich blickte in ozeanblaue Augen.

Und in ein Gesicht, was von einer schwarzen, samtenen Maske fast vollständig verdeckt war.

Xerxes.

Obwohl es mir längst klar war, packte mein Herz Furcht und Unglaube gleichzeitig packten und ich versuchte mühsam das Gleichgewicht zu behalten.
Jetzt war es vorbei.

Tausend Gedanken schwirrten durch meinen Kopf und ich konnte das Gefühl nur schwerlich beschreiben, was ich im Moment verspürte.

Ich fühlte mich verraten und voller Angst. Mehr als das.

Für einen kurzen Moment blickten wir uns gleichermaßen verblüfft in die Augen. Seine waren wie üblich kalte und verschlossene Saphire, während er in meinen wahrscheinlich jede noch so kleine Gefühlsregung erkennen konnte.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals als sich unsere Blicke begegneten.

»Du...«, murmelte ich. Ich hätte gerne so viel mehr gesagt, doch meine Stimme versagte.

Kurzzeitig wurde sein Blick weich und der kalte Ausdruck wich dem Feuer, was ich schon mal bewundern durfte, doch dann wandte er sein von der Maske verborgenes Gesicht ab und wich meinem Blick aus.

Mein Gefühl verraten worden zu sein, änderte sich plötzlich in blinde Wut.

Er war der Grund, warum ich überhaupt hier war und vielleicht mein Lebtag meine Familie nicht wiedersehen würde. Oder sogar bald sterben müsste. Ich schluckte die Wut runter. Vielleicht konnte er mir wenigstens Antworten geben.

Also startete ich einen neuen Anlauf.

»Warum bin ich hier?«, fragte ich leise, während mir die Stimme erneut fast versagte.

Mein Herz schlug inzwischen so schnell und laut, dass ich mir fast sicher war, dass es jedes Sekunde stehen bleiben würde und dass es mein Gegenüber hören könnte.

»Lass deine Wut nicht an mir aus, Lux. Ich bin nicht dein Feind.«, sagte er kalt.

»Aber... wer ist es dann?«, fragte ich mit heiserer Stimme. Doch von ihm kam keine Reaktion. Er hatte mir inzwischen den Rücken zugewendet und ich konnte sehen, dass seine Hände zu Fäusten geballt waren.

»Meine Eltern werden mich bald retten.«, startete ich einen zweiten Versuch. Meine Stimme war inzwischen nur noch ein Krächzen. Trotzdem versuchte ich möglichst sicher zu klingen.

Er drehte sich abrupt um.
In seinen Augen blitzte etwas wie Schuld auf. Doch er drehte seinen Kopf nach rechts und ich hatte keine Chance mehr zu ergründen, ob tatsächlich Schuld in seinem Blick lag.

Ich glaubte seinen Blick aus seinem Augenwinkel auf mir gespürt zu haben, doch dieses Gefühl war so schnell wieder weg, wie es gekommen war.

Endlich antwortete er und seine Stimme ließ mich augenblicklich frösteln, so kalt klang sie plötzlich.
»Das werde ich zu verhindern wissen.«

Ich schreckte wie geschlagen zurück.
Was war nur so plötzlich in ihn gefahren?

Wieder rief ich mir die rauen Gespräche hier unten ins Gedächtnis und die Ratschläge der Soldaten, die mich so umsichtig hierhergebracht hatten. Ich hatte es mit einem Monster zu tun. Einem kalten Wesen, das herzlos agierte.

Er drehte sich um und sah mir kurz in die Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich Schmerz und erneut Schuld in seinen Augen zu erkennen. Aber bevor ich der Sache näher auf den Grund gehen konnte, hatte er seinen Blick wieder abgewendet.

Prompt kehrte die Wut in meinen Körper zurück. Wieso sah er mich nicht an?
»Wieso wendest du die ganze Zeit deinen Blick ab?«, fragte ich mit leiser, kratziger Stimme. »Sehe ich so schrecklich aus?«

Er zuckte zusammen und schien zu einer Erklärung ansetzen zu wollen, als ihn eine Stimme unterbrach.

»Mein Prinz, stört Sie dieses Weibsbild?«
Perplex klappte mein Mund auf. Zu meiner großen Überraschung, schien in dem Prinzen ein Wandel vorzugehen.

Er schnellte vor und presste den anderen Mann an die Wand neben meinem Verlies. Erschrocken schrie ich auf. Ein rauer und erstickter Schrei kam über meine Lippen.

»Ich wünsche nicht, dass Sie in einem solchen Ton über die Prinzessin Chloé von Lux sprechen. Haben Sie das verstanden?«, in seinem Ton klang unglaubliche Wut und Hass wider.

Lediglich der Unterton mit dem er meinen Namen aussprach war sanft und kam einer Berührung gleich.

Ich konnte nicht sehen, was der andere Mann tat - wahrscheinlich nickte er rasch -, denn wenig später ließ der Prinz von ihm ab. In Windeseile war der andere Mann verschwunden.

Vollkommen unbeeindruckt klopfte sich mein Gegenüber den schwarzen Anzug ab. Ohne mich eines Blickes zu würdigen ging er ebenfalls.

»Ich werde dafür sorgen, dass man dir was anständiges bringt. Wir wollen ja nicht, dass unsere Hoheit verhungert oder erfriert.«, erklang seine Stimme noch, triefend vor Sarkasmus, dann war er vollständig aus meinem Blickfeld verschwunden.

*

Tatsächlich hatte er sein Wort, wider Erwarten, gehalten und kurze Zeit später kamen drei Soldaten zu mir in die Zelle, die wenig begeistert dreinsahen, die mir aber Essen, ein neues Kleid und eine dickere Decke brachten.

Auch wenn das Essen weit weg von meinen gewöhnlichen Standards war, ich hatte seit Tagen nichts ordentliches mehr gegessen und verkniff mir deshalb jegliche Zimperlichkeiten.

Während ich beim essen war, in meine dicke Decke gehüllt, grübelte ich über meine erneute Begegnung mit Xerxes nach.

War er tatsächlich nicht mein Feind? Aber wenn er nicht, wer dann? War das seine Intention gewesen, als er mir gesagt hatte, dass wir uns bald wiedersehen würden?

Mich hier unten festzuhalten und mich womöglich als Druckmittel zu verwenden? Was würde er nun, da er mich hatte, mit mir anstellen?

Was mich eher grübeln ließ, war die Tatsache, dass er mich nicht richtig ansehen konnte, als würde er sich schuldig fühlen, für das was mir angetan worden ist. Was er aber angeordnet hatte, wohl gemerkt!

Mitten in meinen Überlegungen überfiel mich eine plötzliche Müdigkeit. Bevor mir die Augen zufielen und ich ins Land der Träume eintauchte, kam es mir so vor, als würde sich jemand mit breiten Schultern vor die Gittertür stellen.

Aber da war ich bereits im Land der Träume versunken.

XerxesWhere stories live. Discover now