Chapter 19

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XERXES

»Du bist so schön.«

»Ich habe gesagt, dass du schön bist.«

»Dann erkläre es mir.«

Ich lehnte am der kühlen Steinmauer des Kellers. Eigentlich hätte ich in mein Zimmer gehen können, aber ich wollte niemanden sehen und mir war klar, dass Chloé zuerst in mein Zimmer gehen würde. Oder zumindest jemanden dahin schickte.

Neben mir hingen zahlreiche Waffen von den Wänden herunter, doch heute reizte mich keine Einzige.

Normalerweise würde ich schon längst mit einer der Waffen mitten im Raum stehen und mich mit einem untalentierten Diener oder einem etwas talentierterem Ritter duellieren.
Wie gesagt: Normalerweise.

Die Worte von Chloé schwirrten noch immer in meinem Kopf umher und beherrschten meine Gedanken. Egal wie sehr ich versuchte meine Gedanken auf etwas anderes zu lenken; es klappte mitnichten.

Noch dazu verursachten ihre Worte ein Gefühlschaos in meinem Körper, das ich schon lange nicht mehr und deswegen fast vergessen hatte.

Natürlich hatte ich sie lange Zeit heimlich beobachtet, aber es war mehr das stille Verlangen nach etwas, was ich nicht haben konnte und keineswegs vergleichbar mit der jetzigen Situation.

Etwas sehnsüchtig dachte ich an die Zeiten zurück, in denen mir jedes Mädchen egal war. Besonders die Mädchen wie Chloé eines war. Aber jetzt? Ich konnte sie nicht mehr so sehen, wie es einmal der Fall war.

Alles was ich jetzt in ihr sah war eine Zukunft.
Obwohl ich mich fragte, wie diese aussehen sollte.

Ich rieb mir mit der flachen Hand übers Gesicht und seufzte. Meine Maske steckte gut verstaut in meinem Jackett. Hier unten kam nie jemand hin oder zumindest sehr selten, außerdem hing hier zu meinem Glück kein einziger Spiegel.

Abgesehen natürlich von den blankgewetzten Klingen der Schwerter, die mindestens genauso gut waren wie ein tatsächlicher Spiegel.

Ich versuchte jeden Blick auf die Klingen zu vermeiden. Ich wollte mein Gesicht nicht sehen. Nicht an den Makel erinnert werden, der mich bis an mein Lebensende verfolgen würde. Dank einer einzigen Person.

Einer einzigen Person, die ich mehr verabscheute als mein ganzes Leben. Es klang hart, aber es war verdient. Zumindest in meinen Augen.

Irgendein Teil meines Körpers fühlte sich schlecht.
Ein alltägliches Gefühl, doch heute lag es nicht ausschließlich an der Person, die ich so sehr hasste, dass es schon fast wehtat.

Ich hatte Chloé einfach so stehen lassen, nach dem ich sie mit einer einfachen Antwort à la »Ich kann nicht.«, abgespeist hatte.

Ihr verletzter Gesichtsausdruck würde mich wahrscheinlich noch für mehrere Nächte bis in meine verwirrenden Träume verfolgen. Falls ich überhaupt zum Schlafen kommen sollte.

Wie aufs Stichwort begann ich zu gähnen und verspürte die Müdigkeit mit ungekannter Stärke.

Die halbe Stunde Schlaf, die ich mir in Chloé's Anwesenheit gegönnt hatte, schien nicht ausreichend zu sein. Wundern tat es mich nicht.

Eigentlich müsste ich täglich zumindest sieben Stunden schlafen. Eigentlich. In der Realität hatte ich für mehrere Tage kaum oder gar keinen Schlaf abbekommen.

Aber ein Königreich regierte sich nicht von alleine.

Und meinen Bruder musste ich ja auch noch in den Kerker werfen lassen. Hoffentlich würde er dort bis zur Hinrichtung schon mal verrotten.

Ich starrte auf die gegenüberliegende Wand und versuchte krampfhaft die Augen offen zu halten.

Hier unten würde ich mit Sicherheit nicht gut schlafen können. Mein Körper schien das etwas anders zu sehen als mein Kopf.

Kraftlos rutschte ich an der Wand herab und landete nicht gerade sanft auf dem kalten Steinboden und schaffte es gerade noch so meine Maske wieder aufzusetzen - wer weiß wer hereinkam, wenn ich schlief -, bevor mir die Augen zufielen und ich in einen tiefen Schlaf glitt.

*

Ich sah mich um.

Der Ort, an dem ich mich befand war mir vollkommen fremd. Keine Menschenseele war zu sehen, als ich mich in alle Richtungen drehte und Ausschau hielt.

Ich stand auf einer großen grünen Wiese.

Nicht nur, dass ich keine Menschenseele entdecken konnte, nein. Auch nach jedem Baum oder Strauch suchte ich vergeblich. Selbst Blumen waren hier nicht zu finden. Es war einfach eine kahle Wiese.

Der Himmel war bewölkt und ein angenehm warmes Lüftchen streifte mich. Automatisch fasste ich mir ins Gesicht und stellte etwas erschrocken fest, dass ich meine Maske nicht trug.

»Ich habe mich schon gefragt, wann du mich endlich besuchen kommst.«

Ich fuhr herum.

Vor mir stand eine junge Frau. Sie lächelte mir freundlich und voller Lebensfreude zu, während ein Windstoß ihre langen, schwarzen Haare durcheinanderbrachte. Sie kam mir schmerzlich vertraut vor, aber ich konnte es nicht einordnen.

»Wer bist du?«

In ihrem Blick flackerte etwas, aber sie hielt an ihrem freundlichen Lächeln fest. Erst jetzt fielen mir ihre eisblauen Augen auf, die als Ozean durchgehen konnten und die mir besonders bekannt vorkamen.

»Ich bin deine Mutter, Nicholas.«

*

Erschrocken setze ich mich auf.
Mein Herz schlug schnell. Viel zu schnell.
Der Schweiß stand mir auf der Stirn.

Jetzt wusste ich wieder, warum ich nicht schlafen wollte.

Ein seltsames Gefühl breitete sich in meinem Körper aus. Egal wie sehr ich versuchte es einzuordnen, es misslang mir kläglich.

Etwas verwundert sah ich an mir herab und auf meine Hände, die leicht zitterten.

Ich hatte im Traum mit meiner toten Mutter geredet.
Entweder wurde ich verrückt oder war es schon.
Immer wieder schwirrten Fetzen aus unserem Gespräch durch meinen Kopf.

»Warum trägst du diese Maske? Zeig der Welt dein Gesicht, Nicholas. Du musst dich nicht schlecht fühlen. Es war nie deine Schuld. Wenn jemand daran Schuld hat, dann ich und besonders dein Vater.«

»Sei nicht zu kritisch mit dir selbst. Du hast viele Talente und Leute um dich, die an dich und diese Talente glauben.«

Ich wollte ihr nur zu gerne glauben, aber es gelang mir nicht. Voller Unglauben blieb ich für ein paar Minuten sitzen.

Als ich aus der Waffenkammer trat, fand ich die Diener in heller Aufregung vor. Ich erkannte Anna, die auf mich zutrat und einen Knicks ausführte.

»Mein Prinz?«
»Was ist hier los?«, fuhr ich sie an.

XerxesWhere stories live. Discover now