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Mit geschlossenen Augen lehnte ich an der Rückenlehne meines Sitzes.

Leise drangen die letzten Töne meines Lieblingsliedes an mein Ohr. Ich hatte es zuletzt mit Nick gehört und der Gedanke an ihn ließ mich leise seufzen.

Ich dachte an seine strahlend grünen Augen, bei denen man manchmal das Gefühl hatte, mit ihnen könnte er alles ergründen.

An seine schwarzen, fast schulterlangen, glatten Haare.

An sein Lächeln, für das er theoretisch einen Waffenschein verlangen könnte. Theoretisch. Praktisch eher weniger.

Und an ein Versprechen, dass er mich nie verlassen würde, weil er sich das weder traute - ich hatte noch immer nicht herausgefunden, was er damit meinte - und weil er viel zu stolz darauf war, dass ich ihm überhaupt eine Chance gab. Diese Ironie.

Ich schnaubte. Keiner von uns beiden hatte zu diesem Zeitpunkt, also etwa vor einem Monat, wissen können, dass gerade ich diejenige sein würde, die ihn verlassen würde.

Und wieder stieg Wut in mir auf. Wieso mussten sich meine Eltern genau jetzt scheiden lassen? Genau dann, wenn ich gerade glücklich war?

Nick war, abgesehen von meinen Eltern, der einzige gewesen, dem ich wirklich vertraut hatte. Der einzige, der es geschafft hatte, meine Verschlossenheit in irgendeiner Art und Weise zu besiegen.

Ich war schon immer eher einzelgängerisch gewesen. Und schon seit Kindergartenzeiten regte sich Mum darüber auf, dass ich einfach nie Freunde fand, weil ich viel zu verschlossen war.

Aber eigentlich war das gar nicht das Problem. Das eigentliche Problem war die Angst, diese Freunde irgendwann zu verlieren. Und Nick war das beste Beispiel.

Es war jetzt drei Wochen her, dass mir Mum und Dad die wunderbar erfreuliche Nachricht überbracht hatten, dass sie sich trennen würden. Und noch immer spürte ich den Schmerz und die Trauer.

Sie hatten sich geliebt. Sie hatten sich verdammt nochmal geliebt. Und das sollte einfach so vorbei sein? Einfach so? Noch so ein Beispiel dafür, dass man Personen, die man liebte, verlieren konnte.

Dad würde ausziehen, ich würde bei Mum bleiben, hatten sie gesagt. Dass ich weder Mum noch Dad verlieren wollte, hatten sie nicht beachtet.

Ihr Argument, dass ich ihn ja besuchen könnte, hatte ich nur mit einem Schnauben quittiert. Es wäre trotzdem nicht mehr so geworden wie früher.

Und jetzt würde das erst recht nicht mehr eintreffen.

Gedankenverloren spielte ich mit dem Ring an meinem Finger. Mum hatte mir erzählt, dass ich ihn seit der Geburt besaß. Warum hatte sie mir nie gesagt. Nie in den 16 Jahren meines Lebens.

Aber ich mochte den Ring. Er hatte etwas Vertrautes an sich. Ich strich über den blauen Edelstein. Ansonsten war der Ring silbern.

Wieder seufzte ich und vernahm die Stimme des Navigationsgerätes, welches Mum gerade mitteilte, dass sie nach 200 Metern links abbiegen musste.

Im Rückspiegel sah ich, wie Mum genervt die Augen verdrehte und musste gegen meinen Willen grinsen.

Sie hasste die Stimme und hatte mir schon mehrere Male versichert, dass sie den Sprecher irgendwann noch finden würde und ihn zwingen würde, anders zu sprechen. Und dass sie die Suche nur noch nicht begonnen hatte, weil sie viel zu faul dazu war.

„Biegen sie links ab", ratterte besagte Stimme erneut herunter und Mum funkelte das Gerät wütend aus ihren grauen Augen an.

„Ich hab's verstanden!", zischte sie, als würde es sie verstehen, doch es redete einfach ungerührt weiter, dass sie jetzt auf die Autobahn fahren sollte.

Mum knurrte nur und tat, wie geheißen, indem sie die Kurve etwas zu scharf nahm.

„Ups...", machte sie, als würde sie es irgendwie stören, doch ich wusste, dass es das nicht tat.

Kopfschüttelnd widmete ich mich wieder meiner Musik, die aus dem Handy drang, und schaltete auf ‚TNT' um. Schon wieder musste ich unwillkürlich grinsen. Das Lied war einfach genial.

„Lily? Hast du Hunger?", fragte Mum plötzlich und ich zuckte kurz zusammen. Dann bemerkte ich, dass wir an einem Rastplatz angekommen waren und sie den Wagen angehalten hatte.

„Ich hab Sandwiches gemacht. Willst du das mit Schinken oder das mit Salami?", fragte Mum mich wieder und sah mich durch den Rückspiegel an, während ich irgendwie versuchte, meine Kopfhörer aus den Ohren zu befördern, was sich mit einer Hand ziemlich schwierig herausstellte.

Irgendwann kam ich auf die glorreiche Idee, mein Handy doch einfach neben mich zu legen und stellte weise fest, dass es somit viel einfacher war.

„Schinken", murmelte ich schließlich und Mums Blick wich einem eindeutig überraschten, während sie mir wortlos eine Schachtel nach hinten reichte.

Kein Wunder, dass sie überrascht war. Schließlich hatte ich ziemlich lange nicht mit ihr oder Dad geredet und vermutlich hatte sie gar nicht erst mit einer Antwort gerechnet.

„Danke", sagte ich und nahm mir ein Sandwich heraus.

„Lily, du weißt, wir können noch einmal über die Trennung reden... Ich weiß, dass das schwer ist, aber...", fing Mum an und ich presste die Lippen aufeinander. Demonstrativ steckte ich mir wieder die Kopfhörer in die Ohren.

Gerne würde ich ihr sagen, dass es nicht daran lag. Dass ich inzwischen mit der Trennung klar kam.

Aber dann würde sie wissen wollen, was denn dann der Grund dafür war, dass ich nicht mit ihr redete. Und das wollte ich nicht riskieren.

Ich durfte es ihr nicht sagen. Sie würde mich für verrückt halten, für paranoid. Das tat ich ja selbst.

Und wie sollte ich überhaupt eine Sache erklären, die ich selbst nicht verstand?

Es war der Tag gewesen, an dem es mir meine Eltern gesagt hatten. Und doch fühlte es sich an, als wäre es gestern gewesen.

Noch immer hatte ich eine Gänsehaut, wenn ich nur daran dachte, wie jetzt auch.

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Hey ihr Bäume :D Omiicorn am Start ;D Ich hab dieses Kapitel wirklich nochmal grundlegend geändert und hoffe, dass es jetzt einigermaßen passt :D ^^    


Frozen Fire (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt