Verzeihen

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"Und du arbeitest jetzt daran, deinen Bruder auferstehen zu lassen?"

Henry wusste nicht wieso, aber Nicos dunkle Augen trösteten ihn. Ihm ging es deutlich besser hier im Freien mit weniger Menschen. Schon eine Weile spazierten sie durchs Camp und redeten.

Die Erinnerung an Sammy jedoch schmerzte. Während sie sich langsam dem Waldanfang näherten, dachte Henry über Nicos Frage nach. Es war lange her, seit dem er das letzte Mal versucht hatte, jemanden zurück zu holen.
Dann fiel ihm Oscar wieder ein. Als sie sich gestern begegnet waren... Henry schüttelte sich.

"Ja. Zumindest habe ich es schon versucht und bei Lina ist es mir tatsächlich gelungen. Aber sie ist nicht sie selbst. Vielleicht liegt es an der Zeit im Lotus Hotel, an den Göttern und vielleicht aber auch an mir." Henry versuchte, weniger bitter zu klingen. "Das beste ist, wenn ich es einfach lasse, glaube ich."

"Tote sollten ruhen ", stimmte Nico zu. "Selbst wenn wir sie vermissen. Es lohnt sich zu warten. Wir werden sie wieder treffen, sie alle, glaube mir." Oh, wie Henry aus diesen Sätzen heraus hörte, dass Nico auch jemanden verloren hatte.

So zu denken wie Nico erleichterte auf jeden Fall die düstere Zeit.
Er wollte Sammy ja wiedersehen. Sammy und er verdienten sich vielleicht noch einen Platz im Elysium, wer weiß. Die Chance bestand. Henry hoffte es.

Doch Oscar... Oscar vielleicht nicht. Er würde vermutlich als Geist hier weiter bleiben.

"Alle vielleicht nicht ", sagte Henry also leise.

Überrascht sah Nico ihn an. "Wer denn nicht?"

"Oscar."

Henry wusste nicht, was ihn da gepackt hatte, als Oscar ihm gegenüber stand. Der einfache Anblick vom Geist hatte ihn daran erinnert, dass Oscar kein durch und durch böser Mensch gewesen war. Sie sind einfach nur zu jung für all das gewesen.
Er verdankte Oscar, dass er wieder laufen konnte, hatte ihm Lieder gewidmet und wurde gut von ihm nach dem Tod von Sammy aufgefangen. Oscar war Henrys bester Freund gewesen, der ihm so viel über wahre Liebe beigebracht hatte. Hätte er nur nicht...

Seine Taten waren trotzdem unverzeihlich gewesen. Ohne Einverständnis jemanden küssen, einmal betrunken und einmal bei vollem Bewusstsein? Keine Akzeptanz für Abweisung? Nicht gut.
Viel schlimmer war aber, dass Henry dann paar Monate später Oscars Fehler wiederholte.
Er hätte ihn da in der Bibliothek nicht küssen dürfen. Henry wusste immer noch nicht, was damals in ihn gefahren war. Vielleicht auch ein Gott?
Zwar erinnerte Oscar sich nicht mehr daran, aber Henry würde Oscars Gesichtsausdruck nie wieder loslassen. Kein Ja, dann keine Berührung. Beide hatten das nun gelernt.

Und dann...
Etwas aus Oscars Vergangenheit, das Henry auch noch wurmte: Er war Todesser danach gewesen und hat dafür sogar gemordet. Eine ganze Muggelfamilie. Er hat gesagt, er hätte unter dem Imperius-Fluch gestanden. Das konnte man jetzt natürlich nicht mehr beweisen. Und Todesser war er ja trotzdem freiwillig gewesen.

Das alles erzählte Henry Nico.

Mit glitzernden Augen hatte Nico ihm gelauscht. Bei anderen hätte Henry das gruselig gefunden, doch bei Nico machte es ihm nichts aus. Nico und er waren sich irgendwie ähnlich...
Nicos anschließende Frage ging Henry dann direkt durch Mark und Bein.
"Du hast viel Kontakt mit Tod, oder? Deswegen kannst du auch nicht von Oscar lassen. Du denkst, mein Vater lässt sich besiegen, hm?"

Es klang zuerst wie eine Drohung, doch dann senkte Nico seine Stimme und sagte sanft: "Das gefällt mir. Dass du den Tod nur als eine Herausforderung siehst. Ich habe gemerkt, dass du sehr viel mit Tod zu tun hast. Es macht dich irgendwie... anziehend. Verstehst du? Im Sinne von... ach egal."

||Nico Di Angelos MissionWhere stories live. Discover now