| 74 | 𝐌𝐢𝐥𝐞𝐬

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Ryan konnte sich nach wie vor nicht mit Conner anfreunden. Offenbar musste er noch immer an vergangene Vorfälle mit dem ebenfalls Grünäugigen denken. Vertrauen konnte ja auch nicht innerhalb weniger Sekunden entstehen, es würde Zeit brauchen.

Nur hatten wir diese nicht.

Uns lief die Zeit davon und wir mussten so schnell wie möglich miteinander klarkommen. Das war wahrscheinlich auch der einzige Grund, weswegen Ryan und Conner sich sichtlich Mühe gaben und konstruktive Ideen lieferten.

Eine Stunde später war dann alles offiziell. Die Gang hatte es erstaunlich gut aufgenommen und es war mehr als offensichtlich, dass Jacksons neu gewonnene Stärke ihnen gefiel und wieder für Ordnung sorgte.

„Ich kann echt nicht glauben, dass das alles geklappt hat", flüsterte Alec.

„Ich auch nicht." Zufrieden beobachtete ich Conner, der mit Matt und einigen anderen Hydra Mitgliedern Pläne schmiedete. Jackson meinte, dass wir das Endergebnis schon noch erfahren würden. Ich hingegen war einfach nur erleichtert.

Als es dann abends wurde, verabschiedeten sich die Meisten. Auch Conner und Alec fuhren nach Hause. Auf den Beta kam immerhin einiges an Arbeit zu, wenn er die Serpens umstrukturieren wollte.

„Miles!"

Sofort drehte ich mich um und keine Sekunde später kam die MV Agusta von Jackson vor mir zum Stehen. Beinahe wäre er mir über den Fuß gefahren! Verschmitzt grinste er mich an, da er keinen Helm aufhatte. Wie gut es tat, ihn wieder gutgelaunt zu sehen.

„Hol deinen Blueracer und komm mit!", befahl er freundlich.

Ich lachte und bestimmte, „Dann setz du aber nen Helm auf."

„Du gibst mir keine Befehle", erwiderte er und spielte mit dem Gas, wobei er so tat, als würde er mich doch noch umfahren.

Ich legte die Hände auf seine am Lenker und beugte mich runter. „Dann komm ich nicht mit."

„Ist ja gut", gab er sich geschlagen. Natürlich würde ich nie denken, dass ich ihm mal etwas vorschreiben konnte. Er war noch immer mein Chef und das durfte ich nicht vergessen! „Beeil dich aber."

Sofort nickte ich und lief an ihm vorbei, um meine R6 zu holen. Beim Vorbeigehen allerdings konnte ich es mir nicht verkneifen und ließ die Kupplung schnappen. Erschrocken keuchte er auf, als die Maschine nach vorne ging und ich hörte ihn hinter mir nur fluchen.

„Du Null!", schrie er mir hinterher. Ich lachte.

Wenig später fuhren wir nebeneinander durch San Diego. Zwar hatte der Schwarzhaarige mir nicht verraten, wohin wir fahren würden, aber ich konnte es mir denken. Er hatte auch nicht ohne Grund seine Lederkombi an.

Vorfreude machte sich in mir breit und meine Gedanken kreisten unaufhörlich um die Straßenrennen. Zu selten hatte ich bisher die Chance dazu und auch, wenn ich mich nicht mehr beweisen musste, so wollte ich einfach noch mehr Siege abräumen.

Übermütig überholte ich Jackson.

Dieser schüttelte nur den Kopf als ich in den Rückspiegel sah. Meine NOS Flasche war voll und bereit für ein Rennen. Doch die kurze Zeit der Unaufmerksamkeit, durch den Blick in den Rückspiegel reichte, um etwas von der Fahrbahn abzukommen. Als ich den Blick wieder nach vorne richtete und direkt in die Lichter eines LKW blickte, riss ich den Lenker wieder rum.

Somit entkam ich zwar dem Unfall, aber durch die viel zu hohe Geschwindigkeit und des plötzlichen Umlenkens, kam ich aus der darauffolgenden Kurve und mir wurde das Hinterrad weggezogen.

Im nächsten Moment spürte ich den Asphalt unter mir.

Mein Motorrad lag drei Meter neben mir auf der Straße, während ich auf dem Fußgängerweg gestrandet war. Panisch sah ich an mir herunter, doch ich schien nicht verletzt. Mir tat nur die Seite etwas weh. Aber ich blutete nicht, hatte mir hoffentlich auch nichts gebrochen und die Folgen des Unfalls waren vermutlich Prellungen.

Mit meinen Armen richtete ich mich etwas auf, doch als ich die ganzen Geräusche der anderen Autos hörte und mein Motorrad liegen sah, kamen die Erinnerungen des Unfalls zurück.

„Fuck! Miles? Gehts dir gut!?", vernahm ich eine Stimme neben mir und wenige Augenblicke später ließ sich Jackson neben mich fallen. Besorgt tastete er meinen Körper ab, doch er würde keine Verletzungen finden. „Hast du irgendwo Schmerzen?"

Eine Antwort konnte ich mir ersparen, den ich zischte auf, als er meine Seite berührte.

Ohne groß darüber nachzudenken, öffnete er meine Jacke und hob mein Shirt an. Die Gedanken über diese kuriose Situation ignorierte ich. Er wollte mir nur helfen. „Nur ne Prellung, Gott sei Dank!", stieß er erleichtert aus.

Doch ich reagierte nicht. Ich war in meiner eigenen Welt gefangen.

„Miles?"

Meine Atmung ging mal wieder schneller und ich fühlte die bekannte Enge im Brustbereich. Oh nein, bitte jetzt keinen Anfall! Ich registrierte gar nicht, dass Jackson mich zurück auf den Boden drückte und mir behutsam das Visier aufklappte.

„Du musst mir sagen, was los ist, sonst kann ich dir schlecht helfen, Kleiner", meinte Jackson unruhig. Dass er mich Kleiner nannte, nahm ich gar nicht richtig war.

Panisch schnappte ich nach Luft. Es war keine gute Idee auf dem Rücken zu liegen, zudem erschwerte der Helm mir das Atmen. Jackson selbst war seinen schon los und als ich mit meiner Hand am Verschluss herumfummelte, verstand er und zog ihn mir vorsichtig vom Kopf. Als ich den Vollhelm dann los war und meine Lunge bereits krampfte, bemerkte auch mein Gegenüber was abging.

„Ruhig atmen, alles ist gut", sagte er und umarmte mich, wobei er mich in eine bequeme sitzende Position brachte und ich mich somit an ihn lehnen konnte. Jackson strich mir über den Rücken und langsam bekam ich wieder etwas Luft.

Doch der Moment wurde durch die hupenden Autos zerstört, woraufhin Jackson zu meiner Maschine sah.

„Entschuldige, bin gleich wieder da", murmelte er und nur widerwillig ließ ich ihn los. Schwer atmend beobachtete ich, wie er zu meiner Yamaha ging, sie wieder anhob und anschließend an den Straßenrand rollte, damit der Verkehr weitergehen konnte. „Gehts wieder?", wollte er mit besorgter Miene wissen, als er sich wieder neben mich gleiten ließ.

Schluckend nickte ich.

„Gut, es wäre besser, wenn wir dich nach Hause fahren." Damit stand er auf und hielt mir die Hand hin.

Doch ich protestierte. „Nein! Wir fahren zum Straßenrennen... aber ich glaub du musst dir heute einen anderen Gegner suchen... ich setz heut mal aus."

„Miles!", schimpfte er mahnend. „Dich hat's grad aus der Kurve gehauen!"

„Ich bin nur ausgerutscht. Ich werde dich begleiten", entgegnete ich. Natürlich war mir klar, dass das Ganze hätte viel schlimmer ausgehen können. Die Prellung an der Flanke war nur ein Kratzer im Vergleich zu möglichen Verletzungen.

Erst dachte ich, dass Jackson mir widersprechen würde, doch er willigte ein. „Gut, aber du fährst heute kein Rennen mehr, Ryan wird dich nach Hause begleiten und wenn es dir schlechter geht, sagst du sofort Bescheid!"

Ich nickte.

Mein geliebtes Motorrad hatte von dem Sturz zum Glück nur ein paar Schrammen abbekommen. Die würde Matt schon wieder hinbekommen. Das war der Vorteil. Ich musste Reparaturen nicht zahlen. Jackson jedenfalls hatte darauf bestanden dieses Mal wieder hinter mir zu fahren, um sehen zu können, wenn etwas war.

Den Weg konnte ich mir schon irgendwie zusammenbasteln. Jedenfalls zeigte mir der Unfall, dass meine Anfälle längst nicht vorbei waren und nur einen Auslöser brauchten. Und es war nicht einfach in einer motorradfahrenden Gang diese Auslöser zu meiden.

RIDERS ~ Burn For ThisWhere stories live. Discover now