| 63 | 𝐌𝐢𝐥𝐞𝐬

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Ich öffnete gerade die Tür zu unserer gemeinsamen Wohnung, als mir ein stechender Geruch in die Nase stieg. Irgendein Frauenparfüm. Irritiert runzelte ich die Stirn und betrat die Wohnstube.

„Hey Miles!", begrüßte mich Ryan so gleich, der glücklich aufsprang und mich umarmte. „Kochst du?", flüsterte er dabei unauffällig in mein Ohr. Ach, daher wehte der Wind...

Schmunzelnd nickte ich und mein Blick wanderte zur Couch, mein eigentliches Bett. Dort saß eine blonde, junge Frau mit strahlend blauen Augen und jede Menge Make-up. Von ihr ging auch der Geruch aus. Neben ihr saß zudem ein kleiner dunkelhaariger Junge, der mich mit großen Augen ehrfürchtig ansah.

„Das ist Susi, Loans Freundin und ihr Sohn Samuel", stellte uns Ryan vor. „Und das ist Miles, mein Mitbewohner und stolzes Gangmitglied seit kurzem."

Ich hob unsicher meine Hand und Susi lächelte mir zaghaft zu. „Hallo Miles, Ryan hat mir schon viel von dir erzählt."

Sofort grinste ich. „Ich hoffe nur Gutes." Ihre Stimme war unnatürlich hoch und ihre Art machte es mir schwer, mich wohl zu fühlen. Irgendwie konnte ich es nicht erklären.

Ryan lachte und führte mich zur Couch. „Jedenfalls gibt's jetzt gleich Essen", verkündete mein Mitbewohner stolz. „Ich hab auch schon eingekauft", ergänzte er leise für mich. Ich nickte.

Mein Blick haftete eher an Samuel. Dieser sah mich aus diesen braunen Teddyaugen an und seine unschuldige Art, versetzte mir einen Stich. Durch seine Eltern war er unabsichtlich in diese Kreise geraten und ein Rauskommen würde ihm später fast unmöglich sein. Außer vielleicht, wenn seine Mutter ihm nie von den Gangs und deren Geschäften erzählen würde.

„Du siehst ja ganz müde aus!", stellte der Kleine fest. Noch immer musterte er mich und seine Worte überraschten mich.

Ich kratzte mich am Hinterkopf, während ich erklärte, „Ja, war ein langer Tag." Ein Gähnen konnte ich nur schwer unterdrücken, weswegen ich mich eilig abwandte und in die Küche ging. Dabei spürte ich Susis fragenden Blick auf meinem Rücken und es dauerte nicht lange, da folgte mir Ryan.

„Alles okay?", wollte er besorgt wissen.

„Ja, alles in Ordnung", entgegnete ich in dem Wissen, dass er mir nicht glaubte. „Ich werde aber nicht mitessen, ich muss nochmal los."

Ryan zog die Augenbrauen zusammen. „Los? Wohin denn? Hast du mal auf die Uhr gesehen? Die Grenzen sind gleich zu."

„Ich will nur zu Jackson, weil..." Kurz zögerte ich. Sollte ich ihn von Neros Verrat erzählen? Irgendwann würde er es sowieso erfahren und als Seer hatte er die Wahrheit verdient. „Weil, ...ach nicht so wichtig."

Ich hatte nicht vor, lange zu bleiben und auf ein Gespräch hatte ich auch keine Lust. Also ignorierte ich den Braunhaarigen und machte mich einfach ans Kochen.

Ryan schenkte mir noch einen letzten zweifelnden Blick und setzte sich dann zu Susi auf die Couch. Ihre blauen Augen sahen aber immer mal wieder zu mir und dabei warf sie ihre blonden Haare über ihre Schulter. Ob sie mich gut fand? Anders konnte ich ihr Verhalten nicht deuten. Nur verstand ich sie nicht. Eine Frau, die ihren Mann durch dir Gang verloren hatte, suchte sich doch nicht einen neuen Freund in diesen Kreisen.

„Darf ich dir helfen?", riss mich Samuels Stimme aus meinen Gedanken. Der Kleine stand nun neben mir und zupfte an meinem Hosenbein herum.

„Ähm... klar", entgegnete ich, hatte aber keine Ahnung, welche Aufgabe denn der Kleine übernehmen könnte. Da es Nudelauflauf gab, weil Ryan sich den gewünscht hatte, beauftragte ich Samuel damit, mir die Geräte zu reichen. Und selbst das war schwierig, da seine Körpergröße ihm oft im Weg stand.

Als der Auflauf dann fertig war, meinte Samuel plötzlich „Du siehst aus, wie Papa."

Was sollte ich denn darauf sagen? Ich kannte Loan nicht. Er war in der Nacht des Straßenrennens erschossen wurden und seine Leiche, die Jackson gesichert hatte, wurde bei der alten Halle verscharrt. Das taten die Gangs wahrscheinlich immer in solchen Fällen. Eine offizielle Beerdigung würde nur für Aufmerksamkeit der Presse und Polizei sorgen. Leute, die von der Gang fernbleiben sollten.

Doch zum Glück musste ich nicht antworten, denn Samuel rannte zurück zu seiner Mutter und kletterte auf Ryans Schoß.

„Leute ich bin dann mal weg, der Auflauf ist so gut wie fertig. Es wird auch nicht lange dauern", versicherte ich, während ich meine wenigen Sachen einsammelte und zur Haustür ging.

„Bis später", rief Ryan und ergänzte das noch mit einem, „Danke übrigens!"

Die Tür knallte hinter mir zu und ich atmete tief durch. Sollte ich Jackson vielleicht erst anrufen? Vielleicht war er ja gar nicht zu Hause?

Die ewigen, sinnlosen Fragen in meinem Kopf nahmen mir den Mut und augenblicklich fühlte ich mich in meiner Handlung unsicher. Mir war klar, dass ich mit Jackson reden musste und das Gespräch auch nicht aufschrieben durfte, aber absurd war es dennoch. Immerhin beschuldigte ich damit unseren Beta und außer der Nachricht hatte ich keinerlei Beweise. Nur eine Vermutung und eine Ansammlung an kuriosen Ereignissen.

„Okay, Miles, du schaffst das schon!", sprach ich mir selber Mut zu und strafte, wie so oft, die Schultern.

Anschließend eilte ich die alten Treppen hinunter. Den Aufzug würde ich mit großer Sicherheit für immer meiden. Meine Anfälle waren nicht wirklich besser geworden, auch wenn ich die letzten Tage keine mehr hatte. Dafür wurde ich aber von Alpträumen geplagt. Und allein würde ich in dieses monströse Gerät nie einsteigen!

Meine Yamaha könnte ich auch mal wieder sauber machen, fiel mir unten auf. Doch das konnte warten. Das Gespräch hatte Vorrang!

Die Innenstadt mochte ich nicht sonderlich. Es war einfach zu viel Verkehr und bei dem ständigen Anhalten war großes Beschleunigen nicht möglich. Aber zum Glück wohnte Ryan nicht weit von Jacks entfernt.

An dem beeindruckenden Gebäude von Jackson angekommen, kehrten meine Zweifel zurück. Was, wenn er gerade keine Zeit hatte? Oder mich nicht sehen wollte? Naja, ich würde es nicht herausfinden, wenn ich weiter hierbleiben würde.

Also betrat ich mit einem Seufzen das große Haus und sah mich neugierig um. Der ganze Luxus wirkte befremdlich, passte aber zu Jackson. In den Eingangsbereich kam ich zwar, aber ein komischer Mann mit Ziegenbart stoppte mich dann dort. Vielleicht war er ja für die Sicherheit hier zuständig? Grimmig sahen wir uns an und ich war schon bereit, mich an ihm vorbeizudrängeln, doch eine bekannte Stimme hallte durch den Flur.

„Sie können ihn ruhig durchlassen!" Jacksons dominante Stimme ließ mich leicht zusammenzucken und mein Blick schoss zu ihm. Der Schwarzhaarige stand am Fahrstuhl und sah mich warmherzig an, wodurch mein Selbstbewusstsein wieder angekurbelt wurde.

Arrogant und mit etwas Selbstgefälligkeit schritt ich an dem aufgeblasenen Trottel vorbei. „Hey!", begrüßte ich ihn.

„Na?" Seine Umarmung überraschte mich. Wahrscheinlich würde ich mich nie daran gewöhnen. „Ich hätte nicht gedacht, dass du mich mal so spät besuchen kommen würdest. Aber da du es ja nun getan hast, muss es etwas Wichtiges sein, oder?"

Ich nickte. Und wie es das war! Nur, wie erklärte man seinem Chef, dass sein Stellvertreter und bester Freund ihn hintergangen hatte und die Gangs zerstören wollte? Die meisten hätten es bestimmt nicht getan, um ihre eigene Haut zu retten. Nur traf ich nicht immer die besten Entscheidungen.

„Wir sollten vielleicht oben bei dir in der Wohnung reden", schlug ich vor und mit irritiertem Blick folgte Jackson mir in den Fahrstuhl.

RIDERS ~ Burn For ThisWhere stories live. Discover now