11. Expect The Unexpected

2.3K 171 172
                                    

Einen kurzen Moment erwiderte ich ihren Blick, bevor ich mich schließlich irritiert abwandte und darüber nachdachte, was eigentlich ihr Problem war. Ihrer Mimik nach zu urteilen, schien sie ziemlich aufgebracht zu sein. Allerdings war ich mir keiner Schuld bewusst, denn Emmanuel gehörte ihr schließlich nicht.

Er schien von der gesamten Situation ohnehin keine Notiz genommen zu haben und ich beschloss, ihn vorerst lieber nicht auf Carla anzusprechen. Als wir die Strandbar erreicht hatten, kam sogleich der Besitzer hinter dem Tresen hervor und begrüßte Emmanuel mit einer freundschaftlichen Umarmung.

Ich nutzte die Zeit, um möglichst unauffällig einen Schulterblick in Carlas Richtung zu werfen, stellte jedoch erleichtert fest, dass sie nicht mehr an dem Tisch stand. Vielleicht war ihr selbst aufgefallen, wie albern es war, uns aus der Ferne zu beobachten.

„Charlotte? Darf ich dir meinen Freund Miguel vorstellen?", lenkte Emmanuel meine Aufmerksamkeit zurück zu ihm und dem älteren Mann, der mich mit freundlichen Augen ansah. Ich kannte ihn bereits vom Sehen, hatte jedoch noch keine Gelegenheit gehabt, mit ihm zu sprechen.

„Freut mich sehr", erklärte Miguel lächelnd und reichte mir zur Begrüßung kurz seine Hand. „Was möchtet ihr trinken?"

„Hast du einen bestimmten Wunsch?", wollte Emmanuel wissen und musterte mich von der Seite, während ich mir unentschlossen mit dem Finger ans Kinn tippte. Das ich noch nicht einmal wusste, was überhaupt zur Auswahl stand, machte die Angelegenheit auch nicht leichter.

„Ich nehme einfach das gleiche wie du!"

„Miguel, am besten überraschst du uns", erklärte Emmanuel seinem Freund lachend, woraufhin dieser wieder hinter dem Tresen verschwand und sofort begann, verschiedene Flaschen aus dem Regal zu nehmen und deren Inhalt souverän miteinander zu vermischen. Kurze Zeit später reichte er uns zwei mit Früchten verzierte Cocktailgläser, in deren Mitte jeweils ein glitzernder Strohhalm steckte.

Wir bedankten uns bei ihm und schlenderten mit den Getränken vor die Bühne, wo wir eine Zeit lang einfach nur den Klängen der Musik lauschten und die tanzenden Menschen beobachteten. Als Emmanuel begann, sich ebenfalls im Rhythmus der Klänge zu bewegen, konnte ich nicht anders, als es ihm gleichzutun. Die Dunkelheit hatte sich wie ein schützender Schleier um uns gelegt, und so fiel es mir überhaupt nicht schwer, mich vollends fallen zu lassen. Zuerst streiften sich unsere Hände nur zufällig, aber irgendwann legte er vorsichtig eine Hand an meine Hüfte und sah mir fragend in die Augen. Ich signalisierte ihm mit einem Lächeln, dass ich mit seiner Berührung einverstanden war und so begannen wir, gemeinsam zu tanzen.

Alles fühlte sich leicht und wunderbar an.

Wenig später wanderte seine andere Hand unter mein Kinn und als ich meinen Blick hob, ahnte ich bereits, was nun geschehen würde. Ehrlich gesagt hatte ich sogar darauf gehofft. Automatisch schloss ich meine Augen und spürte, wie er zaghaft seine Lippen auf meine legte. Es fühlte sich an, als würde in meinem Magen ein Feuerwerk explodieren und für einen Moment blendete ich alles um uns herum aus. Es gab nur ihn und mich.

Ich wollte nicht darüber nachdenken, ob es richtig oder falsch war und mich einfach nur von meinen Gefühlen treiben lassen. Als ich meine Lippen ein Stück öffnete, konnte ich das Aroma des Fruchtcocktails schmecken und aus einem Impuls heraus, schlang ich meine Arme um seinen Hals. Ich drückte mich noch näher an ihn und ließ meine Hände durch seine lockigen Haare gleiten, während unser Kuss immer intensiver zu werden schien.

„Wow", raunte Emmanuel mir zu, als wir uns schließlich voneinander gelöst hatten. Ich konnte die Worte aufgrund der Umgebungsgeräusche lediglich von seinen Lippen ablesen aber sein Gesichtsausdruck verriet mir, dass er ebenso überwältigt von unserem Kuss war, wie ich. Völlig unvermittelt griff er nach meiner Hand und zog mich durch die Menschenmenge zum Meer hinunter. Die Musik rückte automatisch in den Hintergrund und plötzlich waren kaum noch andere Partygäste um uns herum.

Emmanuel setzte sich auf eine der leeren Strandliegen und bedeutete mir mit einer Geste, dass ich mich zu ihm setzen sollte. Er erwartete wohl, dass ich mich auf der Liege neben ihn niederlassen würde, aber stattdessen schob ich ihn sanft ein Stück zurück und platzierte mich genau vor ihm. Mein Rücken lehnte an seiner Brust und ich konnte in dieser Position seinen Herzschlag spüren.

„Das war noch besser, als ich es mir vorgestellt habe", flüsterte er mir von hinten in mein Ohr und seine Worte sorgten dafür, dass sich die feinen Härchen in meinem Nacken aufstellten.

„Du hast dir vorgestellt, mich zu küssen?", kicherte ich und spürte, wie meine Wangen anfingen zu glühen. Immerhin hatte ich die Zuneigung zu ihm ebenfalls wahrgenommen, obwohl wir uns erst knapp eine Woche kannten.

„Natürlich. Jeden Tag, seitdem wir uns das erste Mal begegnet sind. Du etwa nicht?", entgegnete er süffisant und an der Vibration seines Brustkorbes konnte ich erkennen, wie er lautlos lachte. Kurzerhand griff ich nach hinten und knuffte ihm spielerisch in die Seite.

Ich richtete meinen Blick wieder auf das dunkle Meer vor uns und hing meinen Gedanken nach. Dieser eine Kuss mit Emmanuel war so viel leidenschaftlicher gewesen, als alles, was ich jemals mit Lucas gefühlt hatte und diese Erkenntnis faszinierte und schockierte mich gleichermaßen. Allerdings entschied ich, mir vorerst keine weiteren Gedanken darüber zu machen, welche Konsequenzen der Kuss nach sich ziehen könnte. Ich wollte einfach nur den Abend genießen.

„Möchtest du noch etwas trinken?"

„Gute Idee", stimmte ich zu und war bereits dabei aufzustehen, als mich Emmanuel sanft daran hinderte.

„Du kannst ruhig hier warten. Ich bin sofort wieder bei dir, okay?", bot er an, woraufhin ich ergeben meine Hände hob. So schlenderte er also alleine in Richtung der Strandparty und ich machte es mir auf der Strandliege bequem, während ich auf seine Rückkehr wartete.

Ich schloss für einen Moment die Augen und lauschte dem Rauschen der Brandung. Plötzlich spürte ich jedoch ein Gewicht auf der Liege, was mich dazu veranlasste, erschrocken hochzufahren.

Carla hatte sich ans Fußende der Strandliege gesetzt und blickte mir herausfordernd entgegen: „Emmanuel kann ziemlich gut küssen, nicht wahr?"

Völlig überfordert starrte ich sie an und wusste nicht, was ich ihr antworten sollte. Hatte sie uns etwa die ganze Zeit über beobachtet?

„Was willst du?", brachte ich schließlich mühsam hervor, aber meine Stimme war nicht mehr, als ein heiseres Flüstern. Alle Glücksgefühle schienen wie weggeblasen und ich hoffte inständig, dass Emmanuel schnell zurückkommen würde.

„Ich will, dass du ihn in Ruhe lässt. Er gehört zu mir", entgegnete Carla mit einem ebenso spanischen Akzent, wie ich ihn von Emmanuel gewohnt war, während sie mich abfällig musterte.

„Ach ja? Das sieht er sicherlich anders", antwortete ich und versuchte, möglichst selbstbewusst zu klingen. Allerdings schien mir das anscheinend nicht sonderlich gut zu gelingen.

„Als wir vor ein paar Tagen miteinander im Bett waren, hat es sich für mich zumindest sehr stark danach angefühlt", gab sie mit einem selbstgefälligen Gesichtsausdruck zurück. Dann erhob sie sich, richtete ihr knappes Kleid und verschwand genauso schnell in der Dunkelheit, wie sie gekommen war.

Perfect Getaway.Where stories live. Discover now