24. Coincidence

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Mein Körper bebte vor Anspannung und ich befand mich in einem seelischen Ausnahmezustand. Wie in Trance betrat ich das Innere der Surfschule und ließ mich dort einfach auf den Boden sinken, um mein Gesicht sogleich in meinen Händen zu vergraben. Emmanuel hatte sich vor seinem plötzlichen Abgang nicht einmal die Mühe gemacht, die Räumlichkeiten zu verschließen, was darauf hindeutete, wie durcheinander er sein musste.

„Charlotte? Darf ich?", vernahm ich nach einiger Zeit die Stimme von Lucas und ich konnte nur ahnen, dass er auf den freien Platz neben mir auf dem Boden deutete. Als ich nicht auf seine Anfrage reagierte, setzte er sich trotzdem zögerlich neben mich. „Kann ich dir eine Frage stellen?"

„Wenn ich ‚nein' sage, wirst du trotzdem fragen, oder?", entgegnete ich daraufhin trotzig und brachte endlich den Mut auf, in seine Richtung zu sehen. „So läuft das doch in deiner Welt, richtig? Es zählt nur, was du willst oder das, was unsere Eltern verlangen!"

„Ich bin auch total überfordert mit der Situation, okay?", gab er ungehalten zurück und musterte mich eindringlich von der Seite „Denkst du, es macht mir Spaß, meine Freundin in einem anderen Land suchen zu müssen und dann herauszufinden, dass sie anscheinend etwas mit irgendeinem dahergelaufenen Spinner hat?"

„Du wirst Emmanuel nie wieder so nennen!", stellte ich unvermittelt klar und funkelte ihn wütend an. Wie um alles in der Welt hatte ich es bloß so lange mit diesem Mistkerl ausgehalten?

„Schon gut", gab er überraschend seinsichtig zurück und hob entschuldigend beide Hände. „Ich möchte einfach nur verstehen, was in deinem Kopf vorgeht. Außerdem tut es mir leid, was ich am Telefon zu dir gesagt habe."

„Ach ja?", erwiderte ich müde. Ich ließ einen Zeigefinger über meine Schläfe kreisen und versuchte auf diese Weise das Hämmern im meinem Kopf zu lindern. Durch das Weinen fühlte sich mein Schädel an, als stünde er kurz vor einer Explosion.

„Ich war einfach wütend, weil ich mich so auf unsere gemeinsame Zeit in Harvard gefreut habe. Es war dumm von mir, dich deshalb zu beleidigen und ich habe die Sachen, die ich zur dir gesagt habe, nicht so gemeint."

Oh Mann. Was dachte er sich? Dass ich nun einfach wieder in mein altes Leben zurückkehren würde? Ich konnte wirklich nicht begreifen, wie verblendet er war.

„Wie hast du mich überhaupt gefunden?", entgegnete ich kühl, ohne auf seine Erklärung einzugehen. Mein Vater verfügte zwar über weitreichende Verbindungen, aber Zaubern konnte er noch lange nicht.

„Als klar war, dass du tatsächlich abgereist bist, hat dein Vater sofort deine Kreditkarte sperren lassen. Da du zeitnah versucht hast, in Kolumbien Geld abzuheben, wurden deine Eltern umgehend von dem Kreditinstitut darüber in Kenntnis gesetzt. Daher wussten wir bereits sehr früh über deinen Aufenthaltsort Bescheid."

„Das erklärt noch lange nicht, wieso du mich gefunden hast. Kolumbien ist immerhin kein kleines Dorf", gab ich skeptisch zurück und realisierte erst in diesem Moment, dass Carla nicht mehr anwesend war. Wahrscheinlich feierte sie in diesem Moment mit einem Glas Champagner den Sieg über mich. „Und ich will sofort wissen, woher du Carla überhaupt kennst?"

„Wen?"

„Das kolumbianische Supermodel, welches sich einen Spaß daraus gemacht hat, mich vor Emmanuel derart bloßzustellen."

„Ich fange am besten von vorne an", begann Lucas sachlich, während er sich aufrecht hinsetzte und den Kragen seines dunkelblauen Polohemdes richtete. „Nachdem dein Vater in Erfahrung gebracht hatte, wo du dich befindest, setzte er alle Hebel in Bewegung, um deinen genauen Standort zu lokalisieren. Zuerst war er nicht sonderlich erfolgreich, aber dann hattest du einen Badeunfall und wurdest in ein örtliches Krankenhaus eingeliefert. Das Krankenhaus muss die Zahlen über verunglückte Touristen in eine Statistik einpflegen und über diese Spur hat dich dein Vater schließlich aufgespürt."

Meine unbedachte Surfeinlage hatte mich also nicht nur in unnötige Gefahr gebracht, sondern gleich auch noch dafür gesorgt, meine Tarnung auffliegen zu lassen. Ganz große Klasse!

„Und weiter?", forderte ich Lucas auf, seine Erklärung fortzuführen. Auch, wenn ich eigentlich überhaupt keine Lust mehr verspürte, ihm noch weiter zuzuhören. Trotzdem musste ich die ganze Wahrheit von ihm erfahren.

„Als er die Adresse bekam, habe ich ihm angeboten, dir nachzureisen und dich nach Hause zu holen. Natürlich hat dein Vater im Vorfeld mit Harvard geklärt, dass mir diese unplanmäßige Fehlzeit keine Probleme bereiten wird."

Natürlich. Selbstverständlich hatte der perfekte Lucas Hall an alles gedacht.

„Wie schön, dass dir kein Nachteil durch mich entstehen wird", gab ich ironisch zurück und rollte genervt die Augen. Ich hatte ihn immerhin nicht gebeten, mir nachzureisen und wenn ich gekonnt hätte, hätte ich ihn auf der Stelle zurück nach Harvard gebeamt.

„Jedenfalls bin ich gleich nach meiner Ankunft in Cartagena nach Playa Blanca gereist, um mir hier ein Zimmer in einer der Hotelanlagen zu nehmen. An der Rezeption habe ich eine Mitarbeiterin gefragt, ob sie mir sagen könnte, wie ich am besten zu dieser Adresse gelange." Er deutete auf einen Zettel in seiner Hand.

Es dauerte ein paar Sekunden, bis mir die Tragweite seiner Schilderung bewusstwurde, aber dann konnte ich nicht anders, als ihn mit großen Augen anzusehen. „Diese Mitarbeiterin war Carla, habe ich Recht?"

„Genau", bestätigte Lucas meine Vermutung, bevor er fortfuhr. „Sie nahm an, ich wollte eine Surfstunde vereinbaren, aber ich erklärte ihr daraufhin, dass ich eine vermisste Person suchen würde und diese Adresse meine einzige Spur sei. Als ich ihr dann ein Foto von dir gezeigt habe, hat sie sofort aufgeregt eine Kollegin hinzugerufen und diese aufgefordert, sie an der Rezeption zu vertreten. Anschließend kam sie hinter dem Holztresen hervor und bestand darauf, mich sofort zu dir zu führen."

Das konnte nicht wahr sein. Diese falsche Schlange hatte die ganze Zeit darauf gewartet, einen Keil zwischen Emmanuel und mich treiben zu können und dann spielte ihr das Schicksal dermaßen in die Hände, indem Lucas ausgerechnet auf sie traf. Dies erklärte ohne jeden Zweifel, warum sie nun nicht mehr anwesend war. Alles, was sie wollte, war Emmanuel und mich auseinander zu bringen. Nachdem sie ihren Plan erfolgreich ausgeführt hatte, gab es für sie auch keinen Grund mehr, länger an diesem Ort zu bleiben.

Erschöpft schlang ich die Arme um meine Beine und legte meinen Kopf auf den Knien ab. Ich fühlte mich mit einem Mal derart entmutigt und kraftlos, dass ich nicht mehr in der Lage war, Lucas zu antworten. Anscheinend war es mein Schicksal, für immer in den Fängen meiner Familie festzuhängen. Ganz egal, wohin ich flüchten würde – es schien nur eine Frage der Zeit, bis mich mein altes Leben wieder eingeholt hatte.

„Es tut mir leid, wie diese Carla dich eben behandelt hat. Sie hat mich auf dem Weg hierher über dich ausgefragt, aber sie erwähnte mit keinem Wort, dich oder den Besitzer der Surfschule bereits persönlich zu kennen", schob Lucas leise nach, während er eine Hand vorsichtig auf meinem Rücken platzierte. „Ansonsten hätte ich ihr niemals so viel über dich erzählt, das musst du mir glauben."

„Wie geht es jetzt weiter?", wollte ich von ihm wissen und erschrak selbst ein wenig über die Teilnahmslosigkeit in meiner Stimme. Da Emmanuel anscheinend mit mir abgeschlossen hatte, empfand ich nur noch eine völlige Leere in mir.

„Ich schlage vor, wir gehen erstmal ins Hotel. Du bekommst auch ein eigenes Zimmer, wenn dir das lieber ist. Dann buche ich uns den nächsten Flug nach New York und wir kommen endlich wieder nach Hause", antwortete er, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.

Wahrscheinlich war es das auch und ich hatte mir die ganze Zeit etwas vorgemacht. Immerhin hatte ich alles verloren. Es gab offensichtlich nichts mehr, was ich tun konnte. Oder bestand vielleicht doch noch eine Möglichkeit, das Schicksal abzuwenden?

Perfect Getaway.حيث تعيش القصص. اكتشف الآن