3. Choices

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„Wenn du mich fragst, hast du alles richtig gemacht", ergriff er schließlich das Wort und irgendwie erleichterte mich sein Zuspruch tatsächlich für einen kurzen Moment.

„Naja, wirklich weit hat mich mein Plan nicht gerade gebracht", widersprach ich trotzdem, während ich meinen Hinterkopf erneut gegen die Steinsäule lehnte und einmal tief ausatmete. Bei dem Gedanken bald wieder bei meinen Eltern angekrochen kommen zu müssen, drehte sich mir buchstäblich der Magen um.

„Mein Name ist übrigens Emmanuel", erklärte mein Gegenüber auf einmal und hielt mir lässig seine Hand entgegen. Als mir bewusstwurde, ihm meine halbe Lebensgeschichte erzählt zu haben, ohne dass ich überhaupt seinen Namen in Erfahrung gebracht hatte, musste ich kurz auflachen.

„Ich bin Charlotte", antwortete ich schließlich und griff nach seiner Hand, um die Geste zu erwidern. Daraufhin umschloss er meine Finger mit einem kurzen, festen Händedruck und sein warmer Blick ruhte einen Moment auf mir.

„Also, Charlotte, was hast du jetzt vor?"

„Wenn ich das nur wüsste ... Letztendlich habe ich ja keine große Wahl und werde mich wohl oder übel bei meinen Eltern melden müssen", gab ich kleinlaut zurück, obwohl sich jede Faser meines Körpers gegen diese Option sträubte.

„Oder ...", begann Emmanuel und tippte sich überlegend an sein Kinn, bevor er weitersprach. „Du suchst dir einen Job und bleibst trotz der Umstände erstmal hier in Kolumbien."

„Ich habe gerade mal 80 Dollar in der Tasche, damit werde ich wohl nicht weit kommen und außerdem ist es extrem unwahrscheinlich, auf die Schnelle einen Job zu finden", wiegelte ich seinen Vorschlag ab, da es in meinen Ohren doch recht unrealistisch klang. Immerhin befand ich mich in einem völlig fremden Land, ohne jegliche Kontakte, auf welche ich zurückgreifen konnte.

„Kannst du surfen?", wechselte er auf einmal das Thema, was mich zugegebenermaßen etwas irritierte. Surfen war nun wirklich keine Angelegenheit, worüber ich mir aktuell den Kopf zerbrechen wollte und so schüttelte ich nur halbherzig mit dem Kopf. Er ignorierte mein Kopfschütteln jedoch und redete einfach weiter: „Mein Bruder Alejandro und ich betreiben eine Surfschule in Playa Blanca und ich habe ihn gerade zum Flughafen gebracht, weil er für vier Wochen zu seiner Freundin nach Venezuela fliegt. Dementsprechend könnte ich in der nächsten Zeit ein wenig Hilfe gebrauchen."

Meine Gedanken überschlugen sich daraufhin und ich konnte nicht anders, als ihn vollkommen perplex anzusehen. Hatte er mir gerade ernsthaft einen Job angeboten?

„Ich kann nicht sonderlich viel zahlen, dafür könnte ich dir allerdings anbieten, in den Räumlichkeiten der Surfschule zu übernachten. Es gibt ein kleines Nebenzimmer mit einem Bett, wo ich eigentlich die meisten Nächte verbringe. Wenn du zusagst, würde ich in der Zeit jedoch bei meinen Eltern unterkommen, damit du nachts deine Ruhe hast."

„Aber du kennst mich doch gar nicht?", brachte ich schließlich wenig geistreich hervor und musterte Emmanuel mit aufgerissenen Augen. Entweder war er tatsächlich der netteste Mensch der Welt oder einfach nur total durchgeknallt. Vielleicht auch beides.

„Stimmt! Aber du kennst mich genauso wenig und es liegt immer noch an dir, ob du zusagst oder nicht", erklärte er schulterzuckend, während seine Lippen von einem leichten Grinsen umspielt worden.

Im Geiste ging ich meine Möglichkeiten durch und wägte ab, ob ich tatsächlich so leichtsinnig war, mit einem vollkommen fremden Mann mitzugehen. Die Erkenntnis, welche mich schließlich ereilte, verblüffte und erschreckte mich gleichermaßen.

„Ich nehme dein Angebot sehr gerne an, Emmanuel", hörte ich mich plötzlich laut sagen und konnte meine Entscheidung selbst noch nicht so richtig fassen. Ich konnte nur inständig hoffen, diesen Entschluss nicht irgendwann zu bereuen.

****

Emmanuel hatte seinen Wagen in einiger Entfernung vom Flughafen abgestellt und so folgte ich ihm über die asphaltierte Straße, welche auf beiden Seiten von hochgewachsenen Palmen eingerahmt wurde. Er war um einiges größer als ich, weshalb ich mich anstrengen musste, um mit ihm Schritt zu halten. Die Sonne hatte den Horizont mittlerweile erreicht und die ersten Strahlen tauchten die Umgebung in ein goldenes Licht, was der gesamten Situation irgendwie etwas magisches verlieh.

„Da wären wir", erklärte mein Begleiter schließlich, als wir neben einem roten Pickup-Truck zum Stehen kamen. Der Wagen hatte seine besten Jahre eindeutig hinter sich, denn der Lack des Autos war bereits ziemlich verwittert und es schien offensichtlich, dass es sich hierbei um ein reines Nutzfahrzeug handelte.

„Was ist los? Gefällt dir mein Porsche etwa nicht?", scherzte Emmanuel, als er meinen skeptischen Blick bemerkte. Augenblicklich schämte ich mich für meine Gedanken und überspielte die Situation mit einem Lachen.

Erschöpft ließ ich mich schließlich auf den Beifahrersitz sinken, während sich mein Begleiter hinter dem Lenkrad platzierte und den Schlüssel in die entsprechende Vorrichtung schob. Der Motor sprang nicht sofort an, aber das schien Emmanuel nicht sonderlich zu beindrucken. Geduldig versuchte er den Wagen zu starten und nachdem er sich ein paar Mal bemüht hatte, konnten wir endlich losfahren.

Routiniert lenkte er das Fahrzeug über die weitläufigen Straßen und ich nutzte die Gelegenheit, meinen neuen Bekannten möglichst unauffällig von der Seite zu mustern.

Die dunklen, leicht gelockten Haare passten perfekt zu den langen, dichten Wimpern, welche seine braunen Augen einrahmten und seinen markanten Gesichtszügen automatisch etwas Weiches verliehen. Als ich mich schließlich dabei ertappte, wie ich an seinen vollen Lippen hängen blieb, wandte ich jedoch schnell die Augen ab. Immerhin wollte ich unter keinen Umständen, dass er meine neugierigen Blicke bemerkte.

„Keine Angst, ich bin wirklich kein Serienmörder", lachte Emmanuel plötzlich auf. Er bedachte mich mit einem amüsierten Seitenblick, während mein Körper augenblicklich von einer unangenehmen Hitzewelle erfasst wurde.

Anscheinend war mir mein unauffälliges Vorhaben nicht sonderlich gut gelungen.

Perfect Getaway.Where stories live. Discover now