ZEHN

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ADAM

Ich zog den Reisverschluss meiner Jacke noch ein Stück weiter nach oben, als der heftige Wind gegen meinen Körper peitschte. Chicago machte an diesem Tag seinen Spitznamen Windy City alle Ehre. Krampfhaft steckte ich mein Handy in die Hosentasche, damit ich meine Arme fester um meine Brust schlingen konnte.

Von weiten hörte ich ein lautes Donnern und fast gleichzeitig landeten dicke Regentropfen auf meinem Gesicht. Auch das noch. Meine Schritte wurden größer und schneller. Ich konnte es nun kaum erwarten endlich meine Wohnung zu erreichen. Alles was ich heute noch machen wollte, war es mir ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank zu nehmen um dann stundenlang House of Cards zu gucken. Das schien mir nämlich nach der besten Ablenkung vor dem ersten Heimspiel morgen.

Mein Herz klopfte schneller, als ich daran dachte, dass ich morgen das erste Mal im Stadion der Wolves spielen würde. Und auch noch vor den heimischen Fans. Ich könnte durch das Spiel zum Helden oder Versager werden. Es lag ganz allein an mir.

Um mich von meinen Gedanken abzulenken, joggte ich die letzten Meter zum Apartmentgebäude. Ich drückte die schwere Tür auf und wurde von einem merkwürdigen Anblick begrüßt. Einige Lichter waren aus, manche flackerten ein wenig und am Empfang war niemand zu finden, obwohl er vierundzwanzig Stunden besetzt sein sollte.

Anstatt zu den Aufzügen zu laufen, bog ich ab und lief die Stockwerke zu meiner Wohnung. Zwar sollte ich meine Muskeln lieber schonen, aber ich hatte das merkwürdige Gefühl, dass ich lieber nicht den Aufzug nehmen sollte. Wer weiß, am Ende gab es noch einen richtigen Stromausfall und ich war in dem kleinen Würfel gefangen.

Ich war fest davon überzeugt, dass etwas nicht mit mir stimmte. Als ich die Treppen hoch marschierte, meinte ich Marlenes Stimme zu hören. Jetzt konnte ich schon nicht mehr aufhören an sie zu denken, nein, ich hörte sogar schon ihre Stimme, wenn sie nicht da war!

Ihre Stimme wurde lauter, je mehr Treppen ich hinter mich brachte. Ich konnte sogar schon deutlich die Worte verstehen.

„...das kann doch nicht wahr sein...nein, und jetzt?...Soll ich auf dem Flur schlafen?"

Ich legte meine Stirn in Falten, während ich zwei Stufen gleichzeitig nahm, um sie besser zu verstehen.

„Na schön...ja...nein, es ist nicht ok!"

Endlich erreichte ich das richtige Stockwerk und rannte förmlich vom Treppenhaus in die Richtung, in der ich Marlene erwartete. Ihre Haare vielen in lockeren Wellen über ihren Rücken, ihre Schultern waren ungewöhnlich verkrampft und mit ihrer Hand presste sie ihr Handy ans Ohr, während sie das Gewicht von einem Bein auf das andere verlagerte.

Marlene drehte sich in meine Richtung und ich konnte ihren Gesichtsausdruck erkennen, der so einfach zu lesen war. Sie war wütend. Ihre Lippen krausten sich, als sie der Person an der anderen Seite der Leitung zuhörte. „Ja machen sie das!", fauchte sie in den Hörer, bevor sie auflegte.

„Alles ok bei dir Mar?", fragte ich sie vorsichtig und ging einen Schritt auf sie zu.

Ein sarkastisches Lachen kam von ihr. Ihre Arme verschränkte sie vor der Brust. „Nichts ist ok! Ich komme nicht in meine Wohnung?"

„Wie du kommst nicht in deine Wohnung?"

Marlene hielt mir ihre Schlüsselkarte entgegen, als wäre ich schwer von Begriff. „Das Ding hier", nun wedelte sie mit der Karte vor meinem Gesicht rum, „funktioniert nicht."

„Lass mich mal versuchen." Ich machte einen weiteren Schritt auf sie zu, nahm ihr die Schlüsselkarte aus der Hand und hielt sie vor das elektronische Schloss. Nichts. Kein grünes Licht. Kein rotes Licht. Einfach keine Reaktion.

Hinter mir schnaufte Marlene. „Was soll ich denn jetzt machen? Ich habe alles da drin! Ich muss unbedingt in meine Wohnung. Oh Gott, ich werde noch wahnsinnig!" Ihre Hände waren in ihren Haaren vergraben, als ich ein paar Schritte hin und her ging.

„Hey, es wird alles gut. Wer kann dir mit dieser nutzlosen Karte weiterhelfen? Vielleicht jemand am Empfang?"

Sie stemmte die Hände in die Hüfte. „Als ob ich darauf noch nicht gekommen wäre. Ich hab überall rumtelefoniert. Aber wegen dieser dummen Tornadowarnung kommt der Mitarbeiter für den Empfang nicht. Es sei zu gefährlich ihn hier her zu schicken!"

Ah, jetzt wusste ich, wieso der Empfang eben nicht besetzt war.

„Willst du erstmal zu mir kommen und wir versuchen dort eine Lösung zu finden?"

Marlene ließ mich nicht aus den Augen, als ich den Vorschlag machte. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich ein wenig entspannt, doch ich erkannte immer noch eine gewisse Unsicherheit in ihren Augen.

„Hast du wieder Brownies mitgehen lassen, die ich dir wegessen kann?"

Ein Lachen kam tief aus meiner Kehle. „Das ist alles woran du jetzt denkst?"

„Das ist das Einzige, was meine Stimmung bessern könnte."

Mir würden noch viele andere Dinge einfallen, um ihre Stimmung zu bessern. Aber diese Dinge tun Freunde wahrscheinlich nicht miteinander.

Ich räusperte mich. „Ich lasse jedes Mal mindestens einen Brownie mitgehen. Also ja, ich habe welche da."

Ihre Mundwinkel zuckten nach oben. „Perfekt! Glaub ja nicht, dass ich aus einem anderen Grund mal wieder mit dir in deine Wohnung gehe."

Ich hielt unschuldig meine Hände in die Luft. „Das würde ich niemals tun."

Sie lachte kurz und lief dann an meiner Seite zu meiner Wohnungstür. Auf den Gedanken, dass vielleicht auch meine Schlüsselkarte gar nicht funktionieren könnte, kam ich erst, als wir vor meiner Tür standen. Ich hielt den Atem an und legte meine Karte gegen das Schloss. Wie immer erleuchtete ein kleines grünes Licht und die Tür wurde entriegelt.

Neben mir verdrehte Marlene die Augen. „Natürlich funktioniert nur mein scheiß Schlüssel nicht", murmelte sie.

Anstatt zu antworten lief ich schnurstracks zur Küche, holte die Brownies und zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank, um sie dann auf dem Couchtisch abzustellen. Ich hatte ein kleines Déjà-vu, als ich Marlene auf meiner Couch sah. Ich könnte mich definitiv an diesen Anblick gewöhnen.

„Danke", flüsterte sie mit einem schüchternen Lächeln, nahm mir eine der Flaschen ab und lehnte sich dann gemütlich an der Rückenlehne ab.

Ich beobachtete, wie ihre vollen Lippen sich an die Öffnung der Bierflaschen legten. Hitze schoss mir durch den ganzen Körper und ich konnte meine Augen nicht mehr von ihr reißen. Sie nahm einen großen Schluck und machte ein Geräusch, dass mich zu sehr an ein Stöhnen erinnerte. Verdammt.

Schnell setzte ich mich neben sie auf die Couch und legte ein Kissen auf meinen Schoss um meine Erektion zu verstecken. Krieg dich wieder ein!, sagte ich mir immer wieder und sah dabei krampfhaft von ihr weg.

Ein lauter Donner brachte uns beide dazu aufzuschrecken. Keine Sekunde später war es stockdunkel. Von draußen ließen immer wieder Blitze meine Wohnung ein wenig erhellen.

Second Chances | ✓Where stories live. Discover now