ZWEI

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ADAM

Ein paar Wassertropfen landeten von meinen Haaren auf dem Handy, das ich in der Hand hielt. „Interview Adam Brinski mit ESPN – Betreuung: Marlene Vitale. 11:30.", las ich auf meinem personalisierten Terminkalender, während ich nach dem Morgentraining frisch geduscht in der Kabine saß.

Ich hatte wirklich keine Lust mehr auf Interviews. Noch kein einziges Spiel habe ich im Trikot der Wolves gespielt und trotzdem musste ich fast täglich zu einem Interview antanzen. Und meistens ging es nicht mal um meine sportliche Karriere - wie auch, wenn ich noch gar nicht in der NFL gespielt habe? – sondern um mein Privatleben. Es nervte. Erstens ist mein Privatleben nicht sonderlich interessant, dass es in zig Magazinen und Shows veröffentlicht werden müsste. Und zweitens geht es sowieso niemanden etwas an.

Vollkommen lustlos streifte ich mir meine Klamotten über und steckte mein Handy nach einem letzten Blick auf den Terminkalender in meine Jeanstasche. Ich setzte mich nochmal auf meinen Platz und versuchte die letzten ruhigen Minuten vor meinem Termin zu genießen. Die Mannschaft hatte gerade das Morgentraining erledigt, was bedeutete, dass meine Teamkollegen für die nächsten paar Stunden ihre eigenen Wege gingen, bevor wir uns später nochmal zu einer Videoanalyse treffen würden. Ein paar hatten es gut, sie hatten frei und ich hätte nichts lieber getan, als die nächsten Stunden in Freiheit zu genießen. Aber nein, ich musste mal wieder bei einem Interview antanzen. Die Nachteile eines Quarterbacks eben.

Gleich würde ich von einer Mitarbeiterin abgeholt werden und zu einem Interviewer geschleppt werden, der genauso viel Lust auf seinen Job hatte wie ein Kind auf einen vollen Teller Gemüse. Meine Vorfreude stand mir förmlich ins Gesicht geschrieben. 

Ich schnaufte und schüttelte den Kopf. Es kann doch nicht wahr sein, dass ich mir nicht mal zwei Minuten etwas merken konnte. Schließlich hatte ich die komplexesten Spielzüge für immer in meinem Gehirn abgespeichert, aber Termine, die mir vollkommen egal waren, verschwanden Blitzschnell aus meinem Kopf. Also kramte ich mein Handy genervt aus der Tasche und überflog erneut die Angaben zu meinem Termin. Betreuung: Marlene Vitale.

Mit zusammengezogenen Augenbrauen starrte ich auf den Namen der Mitarbeiterin, die mich heute begleiten würde. Irgendwie kam mir der Name so bekannt vor, aber ich wusste einfach nicht, woher. Marlene. Bei den Wolves habe ich definitiv noch keine Marlene kennengelernt, aber wie soll ich auch innerhalb der letzten Wochen alle Mitarbeiter der Chicago Wolves kennengelernt haben?

Immer noch verwirrt stopfte ich mein Handy zum hoffentlich letzten Mal wieder in meine hintere Jeanstasche, versuchte nicht weiter zu grübeln, woher ich eine Marlene kannte und verließ die Kabine.

„Adam Brinski?", hörte ich eine leise Stimme, als ich kaum einen Schritt aus der Kabine machte.

„Das bin ich", sagte ich, strich mir durch meine nun fast trockenen Haare und drehte mich zur Seite, wo ich ihre leisere Stimme vermutete.

In dem Moment fanden sich blitzschnell die Puzzleteile in meinem Kopf zusammen. Ihre braunen Haare fielen ihr in lockeren Wellen über die Schultern. Ihr weißer Blazer war ein deutlicher Unterschied zu dem Footballtrikot, das sie trug, als ich sie kennengelernt habe und es ihr wenige Stunden darauf ausziehen durfte. Blaue Augen blickten in meine. Mein Körper reagierte ohne nachzudenken. Mein Herz pochte schneller, als ein Grinsen auf meine Lippen wanderte. Vor mir stand Marlene. Wie konnte ich ihren Namen bloß vergessen? Ich würde mich nämlich mein Leben lang an die Studentin der Coastal Carolina University erinnern, die mir nach einer meiner miesesten Niederlagen den besten Sieg bescherte.

„Hey", murmelte ich und beobachtete sie mit einem Schmunzeln.

Ihr Blick wich von mir, als sie auf das Clipboard in ihren Händen starrte. „Ich begleite dich heute zu deinem Interview mit ESPN. Es wird nicht länger als eine halbe Stunde dauern, trotzdem muss ich dich auf dem Weg dorthin noch einmal briefen", sagte sie.

Ich verschränkte meine Arme vor der Brust und legte meine Stirn in Falten. Die Worte kamen schon fast einstudiert aus ihr heraus, als ihr Blick auf die Papiere in ihren Händen gerichtet war. Kann sie sich wirklich nicht an mich erinnern? Nein, ich war der vollen Überzeugung, dass keiner von uns beiden unsere gemeinsame Nacht vergessen könnte. Ich würde mich mein Leben lang an die Stunden in ihrem kleinen WG-Zimmer erinnern. Wie ich jeden Zentimeter ihrer weichen Haut unter meinen Lippen spürte, als ich langsam...

„Bereit?" Ihre Stimme riss mich aus meinen Erinnerungen. Blitzschnell schoss mein Blick von ihren Lippen zu ihren hellen Augen. Sie beobachtete mich kurz mit einem leeren Blick, bevor sie sich in Bewegung setzte und mir keine Zeit ließ ihr zu antworten.

Ich machte zwei große Schritte, um wieder mit ihr gleichauf zu sein, als wir den Gang entlangliefen. 

„Seit wann arbeitest du bei den Wolves?", fragte ich sie. Am liebsten hätte ich sie direkt gefragt, ob sie wirklich unsere Nacht vergessen hat, ob sie immer noch genauso oft daran dachte wie ich und ob sie auch wach in ihrem Bett lag und sich vorstellte wie es wäre, wenn wir dort zusammen liegen würden. Doch ich musste es vorsichtig angehen. Also beließ ich es bei Small Talk. Fürs Erste.

„Heute ist mein zweiter Tag." Sie überflog ein paar Zeilen auf dem Blatt in ihren Händen. „Mr. Conway wird dir heute ein paar Fragen stellen für das wöchentliche ESPN Rookie-Update. Es dauert also wirklich nicht lang und sollte auch keine Probleme machen. Wir haben ihm im Vorfeld mitgeteilt, welche Fragen er dir nicht stellen soll. Falls er doch zu viele persönliche Details aus dir herauslocken will oder dich zu deinem Liebesleben fragt, sage bitte einfach nur, dass du auf diese Frage nicht antworten wirst. Ich kann zur Not auch noch einspringen." Marlene schenkte mir keinen Blick, als sie die Punkte stur zusammenfasste und an meiner Seite zum Interview lief.

„Wieso darf ich keine Fragen zu meinem Liebesleben beantworten?", unterbrach ich Marlene, bevor sie mir weitere Regeln auftischen konnte. Mein Lächeln wurde größer, als ich beobachtete wie sie tief einatmete. „Also, ich hätte da ein paar interessante Geschichten. Dinge, die ich einfach nicht vergessen kann und die zu gut sind, um nicht damit anzugeben", fügte ich hinzu und sah sie schmunzelnd an. Sie wusste genau, welche Geschichte mir im Kopf rumschwebte, denn sie konnte sich definitiv an mich erinnern. Ihre Wangen verfärbten sich in ein helles Rosa. Und hätte ich nicht so genau hingeschaut, wäre mir die schöne Farbe in ihrem Gesicht vielleicht gar nicht aufgefallen.

Marlene blieb ein paar Sekunden stehen, ihre Finger wanderten zu der Stelle zwischen ihren Augenbrauen und bohrten sich in die Haut. „Persönliche Fragen sind für dieses Interview nicht vorgesehen, ok? Wenn du sonst über deine Liebesgeschichten reden willst, gerne. Aber bitte mach mir heute meinen Job nicht zur Hölle und spiel einfach mit, damit wir es so schnell wie möglich hinter uns bringen können."

„Hmm, ich darf also sonst über mein Liebesleben reden? Dir muss ich glaube ich keine Geschichte erzählen, du warst ja schließlich dabei", sagte ich ihr grinsend. Doch ihre zusammengezogenen Augenbrauen und ihr starrer Blick nach vorn verrieten mir, dass ich den falschen Zeitpunkt für Späße erwischt hatte.

Also spielte ich mit. Ich setzte mich ganz brav in das Zimmer mit Mr. Conway um ihm Fragen zu beantworten, die mir schon zum tausendsten Mal gestellt wurden. Fühlst du dich bei den Chicago Wolves wohl? Klar, die Familiarität finde ich klasse. Ist es eine große Umstellung vom College zur NFL? Natürlich, ich darf jetzt auf dem besten Level der Welt Football spielen.

Marlene musste nicht einmal eingreifen. Wenn Fragen persönlich wurden oder auf mein Liebesleben zielten, erklärte ich ihm höflich – so wie es Marlene mir vorgeschrieben hatte – dass ich die Frage nicht beantworten werde.

Nach dem Interview war ich wieder alleine auf dem Weg zur Kabine. Marlene war wenige Minuten zuvor schnell im Bürogebäude verschwunden und ließ mich mit meinen Gedanken und Erinnerungen an sie alleine. Sie hatte mir nicht einmal die Chance gegeben mit ihr zu reden. „Ich werde im Büro gebraucht", hatte sie nur knapp gesagt und war dann in die entgegengesetzte Richtung verschwunden.

Also machte ich mich auf den Weg zum Speisesaal und überlegte mir, wie ich Marlene davon überzeugen konnte, dass unsere Nacht unvergesslich war und wir sie unbedingt wiederholen mussten.

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