DREI

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MARLENE

Vollkommen erschöpft hielt ich nach meinem dritten Arbeitstag bei den Chicago Wolves die Schlüsselkarte vor das Schloss meiner Wohnungstür und wartete auf das kleine grüne Licht, das wie im Hotel am Türgriff aufleuchten würde. 

Ein weiterer Bonus meines Praktikumsplatzes war die Lage: direkt neben der Wolves Anlage wurde ein riesiger Apartment-Komplex errichtet. Nicht nur sind dadurch Luxuswohnungen entstanden, die den Stadtteil deutlich aufwerteten, sondern auch Wohnungen für Spieler und Mitarbeiter, die entweder keine Zeit oder Lust hatten sich selbst eine Wohnung zu suchen. Für mich war es perfekt, denn so musste ich mich um nichts kümmern und konnte bequem in die schicke Zweizimmerwohnung einziehen, die für die nächsten sechs Monate mir gehören würde.

Meine Schuhe, Jacke und Tasche ließ ich lieblos im Eingangsbereich liegen und lief zielstrebig auf die mokkafarbene Ledercouch zu. Mein Wohnzimmer teilte sich den Raum mit einer kleinen Küche. Perfekt also für Serienabende, denn so hatte ich es nie zu weit bis zum Kühlschrank. 

Es war zu schön endlich ganz alleine zu leben. Bei meinen Eltern zuhause war es nie komplett still und es wurde nur noch chaotischer, als meine kleinen Geschwister dazukamen. „Sie bereiten dich nur auf deine College Unterkünfte vor", hatte meine Mom immer wieder gescherzt, wenn ich mich bei ihr über das Getrampel meines Bruders oder das Gequengel meiner Schwester beschwert hatte. Und natürlich lag meine Mom genau richtig. Die ersten zwei Jahre meiner Unizeit habe ich in einer klassischen Studentenunterkunft verbracht. Nachdem ich es nicht mehr ausgehalten habe mein Schlafzimmer mit einer anderen Person und das Bad mit circa zwanzig Mädels zu teilen, habe ich mit meiner besten Freundin Liz beschlossen eine WG zu gründen. Die Miete für das kleine Apartment direkt neben dem Campus hat uns zwar dazu gebracht nur noch mehr Stunden neben dem Studieren zu arbeiten, aber das war es wert. Wir mussten uns kein Schlafzimmer mehr teilen und das Badezimmer gehörte uns beiden ganz allein.

Doch so richtig allein war ich allerdings jetzt erst. Alles, was in dem kleinen Apartment zu finden war, war nur für mich. Weil es noch zu ungewohnt war in eine leere Wohnung zurückzukommen, rief ich Liz über FaceTime an. Der Laptop lag gemütlich auf meinen Beinen, als ich auf der Couch saß und meine Füße auf dem Kaffeetisch übereinandergeschlagen hatte. Erst, als ich mein Spiegelbild in dem Bodentiefen Fenster sah, merkte ich, dass ich nicht mal Zeit damit verschwendet hatte mich umzuziehen und immer noch meine enge schwarze Stoffhose und den cremefarbenen Blazer trug.

„Marlene!", rief Liz auf der anderen Seite der Leitung. „Wow, du würdest echt nicht mehr als Studentin durchgehen."

Ich verdrehte die Augen. „Du hast nicht mal gesehen welche Schuhe ich heute anhatte. Pumps, Liz, Pumps! Weißt du wie sehr mir die Füße wehtun?"

„Oh Mann, welche Qualen musst du noch auf dich nehmen?", sagte sie lachend und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Ich musste jedes Mal, wenn ich sie sah damit rechnen, dass ihre Haare eine neue Farbe trugen. Ihr langer Bob verwandelte sich fast monatlich in die schönsten Farben. Doch seit mehreren Wochen trugen ihre Haare ein sanftes Grau, dass sich zu den Spitzen in ein Blau verfärbte.

„Die Schuhe sind nichts gegen die Arbeit. Ich hab es mir so leicht vorgestellt während des Praktikums noch ein paar Onlinekurse zu belegen, aber die letzten Tage war ich immer zwei Stunden länger im Büro", sagte ich ihr und lies die Info aus, dass Adam Brinski meine eigentlich Qual war.

Liz sah mich mitleidig über meinen Bildschirm an. Ihre Mundwinkel zuckten nach unten, was sie sonst so selten taten. „Marlene, du schaffst das schon. Und mach dir keine Sorgen wegen der Uni du bist sowieso ein totaler Überflieger und wirst das locker meistern. Ich mein, wie hast du es sonst zu den Wolves geschafft!" Und da war ihr Lächeln wieder.

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