VIER

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ADAM

Ich würde mich selbst nicht als guten Menschen bezeichnen. Nicht, weil ich irgendwem jemals was Schlimmes angetan hätte, sondern, weil ich in meinem Leben einfach noch nichts Gutes getan habe. Ich hatte nie die Erfahrung gemacht, wie es ist Jemanden wegen mir glücklich zu sehen. Auch habe ich noch nie gesehen, wie mich Jemand angesehen hat, als wäre ich ein guter Mensch. Noch nie. Und ich hätte es auch nicht verdient.

In der dritten Klasse hatte ich die Möglichkeit früher zum Training zu gehen, wenn ich mit meinem Klassenkameraden und seiner Mom zum Training fahren würde. Meine Mom war so erleichtert, dass sie mich nicht ständig überall hinfahren musste. Doch ich war der kleine Kotzbrocken, den man nun mal kannte und tischte meiner Mom irgendeine schwachsinnige Geschichte über meinen Klassenkameraden auf, damit sie mich weiterhin zum Training fahren würde.

In der zehnten Klasse gab es da dieses Mädchen, Olivia. Sie war schön mit ihren schwarzen Haaren und roten Lippen. Ich hatte mir schon überlegt, wie ich sie zum Homecoming Tanz fragen konnte, als plötzlich mein Kumpel mir erzählte, dass Maria mit mir zum Homecoming Tanz gehen wollte. Maria war nicht irgendwer. Sie war Captain der Cheerleader Gruppe und jeder Typ wäre dumm gewesen nicht das zu tun, was sie wollte. Innerhalb von Minuten hatte ich zwei Karten für den Tanz gekauft und mit einer kleinen Notiz in den Spind von Maria fallen lassen. Natürlich wurde aus uns beiden Nichts. Gelangweilt saßen wir beim Tanz rum und hatten uns überhaupt nichts zu sagen. Doch wenn ich heute noch daran dachte, wie Olivia mit einem Baseballspieler auftauchte und ihn mit einem Blick ansah, der die Welt zum Stehen brachte, zerriss es mir das Herz. Ich hätte es nicht verdient, dass sie mich jemals so ansah, doch immer wieder fragte ich mich, wie es sich wohl anfühlen würde jemanden zu haben, mit dem man genau diese Blicke austauschen konnte.

Letztes Jahr traf ich Marlene. Eigentlich hatte ich es an diesem Abend auf etwas abgesehen, dass ich immer wieder in den Jahren zuvor auch tat: Ich wollte sehen, wer mit dem Feind nach Hause gehen würde. Und überraschenderweise war es nie harte Arbeit gewesen. Ich bin noch immer der Überzeugung, dass die Studentinnen eine Nacht mit mir verbringen wollten, weil sie das Verbotene reizte. Mit dem Quarterback der gegnerischen Mannschaft zu schlafen war nun mal auch ausgefallen. Und da sah ich sie, im Trikot der Coastal Carolina. Sie wusste genau, wer ich war und auch bei ihr sah ich das Glänzen in den Augen, als sie sich überlegte, ob sie wirklich so brav war, oder auch nur für eine Nacht etwas Verbotenes tun wollte.

Also nein, ich war kein guter Mensch. Denn ein guter Mensch würde eine Frau wie Marlene nach einem One-Night-Stand in Ruhe lassen. Vor allem wenn sie schon deutlich gezeigt hatte, dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Und ein guter Mensch hätte ihr nicht zugezwinkert, als sie neben ihrer Vorgesetzten saß und mich eindeutig ignorieren wollte.

Das Flugzeug, durch das ich gerade lief wackelte kurz und ich rettete mich auf dem Platz neben meinem Tight End, Oliver. Ich hatte gerade meinen Toilettenbesuch während unseres Flugs nach Minnesota zum ersten Vorbereitungsspiel der Saison erfolgreich überstanden, als Oliver mich grinsend beobachtete.

„Dude, wem zwinkerst du hier zu?", fragte er mich mit seiner tiefen Stimme. Seine Augenbraue hatte er weit hochgezogen und in seinen Augen spielte ein fragender Blick.

Ich winkte mit einer unbedeutenden Handbewegung ab. „Ach niemand, war nur ein Scherz."

„Hä? In diesem Flugzeug ist nur die Mannschaft und ein paar Mitarbeiter. Ich wüsste nicht wem ich da auch nur aus Spaß zuzwinkert würde."

Ich atmete tief durch und lies meinen Kopf gegen die Rückenlehne fallen. „Vergiss es, ok? Es war wirklich nur ein Scherz."

Doch meine Ausrede ließ sich Oliver nicht gefallen. Mit seinen über hundert Kilo stütze er sich auf meinen Beinen ab und lehnte sich von seinem Fensterplatz so über meinen Körper, dass er einen perfekten Blick über den Gang des Flugzeuges hatte.

„Okay, mal sehen. Die Defensive Line? Ne, die hätten irgendeinen Schwachsinn geantwortet, oder zurückgeflirtete, wer weiß." Sein Blick wanderte weiter vor und ich hielt den Atem an, als Marlene sich in genau dem Moment in den Gang stellen musste um etwas aus ihrer Tasche zu kramen, die in dem Fach über den Sitzen verstaut war.

„Ha!", hörte ich Oliver, bevor er sich wieder in seinen Platz fallen ließ. „Sie ist hübsch."

„Ich hab ihr nicht zugezwinkert", murmelte ich und beobachtete Marlene. Oliver hatte recht, Marlene war unglaublich hübsch. Ihre Jeans lag eng an ihren Beinen und setzten ihren runden Hintern perfekt in Szene.

„Wieso starrst du ihr dann so auf den Hintern?"

Blickschnell wich mein Blick von Marlene zu Oliver. Auf seinen Lippen spielte ein Schmunzeln, als er mich mit großen Augen beobachtete.

„Na schön, ich hab ihr zugezwinkert. Ist aber auch vollkommen egal, okay?"

Oliver trug ein triumphierendes Grinsen. „Hm, woher kennst du sie?"

„Sie ist die neue Praktikantin und hat mich vor ein paar Tagen zu diesem Interview mit ESPN begleitet."

„Und wie heißt sie?"

„Marlene." Ich war mit meiner Geduld am Ende. Oliver starrte noch immer in Marlenes Richtung und ein komisches Gefühl breitete sich in meiner Magenregion aus, das mich innerlich dazu brachte Marlene anzuflehen sich endlich wieder zu setzen.

„Meinst du ich habe bei ihr eine Chance?", flüsterte Oliver neben mir, sein Blick war immer noch in Marlenes Richtung fixiert.

Meine Hand wanderte zu seiner Brust und ich drückte ihn zurück in seinen Platz. „Du hast mich nicht ernsthaft vor ein paar Minuten gefragt ob ihr ihr zugezwinkert habe und willst jetzt wissen, ob du bei ihr eine Chance hast?"

„Naja, dein rumgezwinker hat ja offensichtlich nichts gebracht."

„Du fängst nichts mit ihr an", ermahnte ich ihn.

Das Schmunzeln fand sich wieder in Olivers Gesicht. „Und wieso nicht?", forderte er mich heraus.

Als ich nicht antwortete stieß er mir mit dem Ellenbogen in die Seite. „Gib es doch endlich zu, ihr zwei habt was am Laufen."

Ich schüttelte den Kopf. „Sag den Satz nochmal in der Vergangenheitsform und dann hast du deine Antwort."

„Krass Brinski, der Quarterback und die Praktikantin. Hätte nicht gedacht, dass du direkt am Anfang sowas machst."

„Sie war damals nicht die Praktikantin."

„Sondern?"

Ich strich mit meiner Hand über mein Gesicht und massierte kurz die rechte Schläfe. „Wir haben letztes Jahr einmal miteinander geschlafen, also waren wir beide noch an der Uni."

Ein leises Pfeifen kam von Oliver. „Heftig Kumpel, also dass ihr euch hier wieder über den Weg lauft. Da glaubt man doch glatt wieder ans Schicksal."

„Du schaust definitiv zu viele Schnulzen", meinte ich.

„Also wieso hast du ihr zugezwinkert, willst du noch was von ihr?"

„Sie will nichts von mir."

„Das war nicht meine Frage", hakte Oliver nach.

Einige Sekunden starrte ich auf die Rücklehne von Marlenes Platz. Natürlich wollte ich noch was von ihr, ich wäre dumm das zu verleugnen.

„Ich weiß einfach nicht, wie ich die Sache angehen soll", gab ich zu.

„Hast du mal versucht nett zu sein und ihr nicht in einem Flugzeug, in dem die komplette Mannschaft und einige ihrer Kollegen sitzen, zuzuzwinkern?"

Ein kleines Lachen war von mir zu hören, als ich die Arme vor der Brust verschränkte. „Leichter gesagt als getan."

Wenn ich ein guter Mensch wäre, wäre es mit Sicherheit nicht schwer gewesen ein normales Gespräch mit Marlene zu führen und sie vielleicht sogar auf ein Date einzuladen. Aber ich war nun mal kein guter Mensch. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mit Marlene reden sollte. Das Einzige, was mir in ihrer Gegenwart einfiel war es ihr dumm zuzuzwinkern oder unlustige Kommentare von mir zu geben. Und Marlene hatte mehr verdient. Sie hatte es verdient umworben zu werden, in die besten Restaurants eingeladen zu werden oder Blumen zu bekommen, einfach so, weil sie es sich verdient hatte. Doch dafür war ich nicht der Richtige.

Second Chances | ✓Where stories live. Discover now