Kapitel 34

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Ich hielt die Hand vor meinen Mund, um meinen eigenen Schrei zu unterdrücken.

An meinem gesamten Körper breitete sich eine Gänsehaut aus.

Das konnte nicht sein!

Ich dachte an die Bücher zurück, die ich über römische Mythologie gelesen hatte. Götter waren sehr wohl in der Lage andere Wesen in eine andere Gestalt zu verwandeln und sie machten davon nur allzu gern Gebrauch. Zeus hatte sich mal in einen Stier verwandelt und Athene hatte Arachne in eine Spinne verwandelt.

"Timo?", stotterte ich mit schwerer Stimme.

Der Hund nickte.

Er nickte tatsächlich.

Kein Zweifeln.

Das war eine menschliche Geste, die kein normaler Hund so ausführen würde.

Meine Augen füllten sich mit Tränen. Was hatte man ihm nur angetan?

Ich hockte mich nach unten, griff den Hund und drückte ihn fest an mich.

"Du bist da drin, nicht wahr?", sprach ich den Hund an und konnte es noch immer nicht richtig glauben.

Das war krank. Zumindest für jemanden wie mich, der in der Welt der Menschen und nicht in der Welt der Götter aufgewachsen war.

"Es wird alles wieder gut", sprach ich mehr zu mir selbst als zu ihm. "Wir werden schon eine Lösung finden. Wir kommen hier irgendwie wieder raus."

Der Hund schmiegte sich an meinen Körper.

Ob Timo im vollen Besitz seines Verstandes war? Oder war er jetzt auch geistig auf dem Niveau eines Hundes? Ich hatte keine Ahnung.

Ich wollte gerade eine Frage an ihn richten, um es herauszufinden, als unerwartet wieder die Tür aufsprang. Ehe ich reagieren konnte, hatte sich der Hund auf Venus gestürzt. Diese schien genauso überrascht zu sein wie ich.

Das war meine Chance.

Vermutlich die einzige, die ich bekommen würde.

Ich dachte nicht weiter nach und rannte los. Der Hund schaffte es Venus so gut in Schach zu halten, sodass ich aus dem Zimmer fliehen konnte. Venus versuchte noch nach mir zu schnappen, doch der Hund biss ihr kraftvoll in die Verse.

Ich hörte ihren kreischenden Schrei.

Dieses Haus war riesig und ich wusste nicht genau, wo ich war oder wohin ich rennen sollte. Zur Orientierung blieb ich kurz stehen und sah mich um. Dann hörte ich einen Vogel singen.

Das musste der Vogel sein, der neulich im Flur in dem Käfig gesessen hatte. Ich rannte dem Zwitschern entgegen.

Dann sah ich den Zitronenbaum und den Vogelkäfig. Das hier war der rettende Ausgang.

Der Vogel klang so, als würde er mit mir kommunizieren wollen. Ich nahm es ernst. Vielleicht war in diesem Haus nicht nur der Hund verhext.

Also öffnete ich die Tür des Käfig und griff dann nach der Türklinke.

"NNNEEEEEEEEEIIIIIN!", hörte ich einen bestialischen Schrei.

Der Schrei ging so sehr durch Mark und Knochen, sodass ich automatisch stehen blieb.

"Flieg nicht davon, bitte!", hörte ich die Stimme von Venus. Sie hatte das Wort nicht an mich gerichtet, sondern ganz offenbar an den Vogel, der gerade aus dem Käfig kletterte.

Venus Gesichtsausdruck war verzweifelt.

"Bitte nicht", flehte sie. Dann sah sie mich an. "Wage es nicht diese Tür zu öffnen!", drohte sie mir.

Provokant drückte ich die Türklinke nach unten.

In diesem Moment sah ich, wie Venus Lippen sich tonlos bewegten, als würde sie etwas vor sich hin flüstern und plötzlich wurde aus dem weißen Vogel ein Mann mit gelocktem Haar.

Ich erschrak so sehr, sodass ich zurücktaumelte.

"Amor", kam es mir über die Lippen.

Sie hatte ihn die ganze Zeit in diesem Käfig festgehalten. Venus hatten ihn noch immer geliebt, sodass sie ihn bei sich haben wollte, doch sie war so sauer auf ihn gewesen, sodass sie ihn einsperrte. Götter hatten ein wirklich seltsame Art und Weise mit Liebe umzugehen.

Als Venus Amor in die Augen sah, sah ich etwas, dass ich schon länger nicht mehr gesehen hatte: wahre Liebe. Doch diese war auch für Nicht-Amora sichtbar: Die beiden hatten eine tiefe Verbindung, die für alle offensichtlich war.

"Es tut mir so leid", hauchte sie ihm zu. "Du weißt, wie sehr ich dich liebe. Deshalb wollte ich dich immer bei mir haben. Bitte bleib mir!"

Wäre ich Amor gewesen, hätte ich sie vermutlich eigenhändig erwürgt, doch dieser stand einfach nur wie angewurzelt dar. Ich kannte ihn nur von Bildern, doch ich hatte ihn sofort erkannt.

Diese feinen Gesichtszüge waren nicht zu verwechseln.

"Es tut mir leid", sagte er plötzlich. "Ich weiß, ich habe die unfassbares Leid angetan. Du hattest jegliches Recht mich zu bestrafen."
Da war aber jemand wirklich nicht nachtragend, dachte ich insgeheim. Diese Diva hatte ihn Jahrhunderte lang in einen Käfig gesperrt und das in Gestalt eines Vogels.

"Ich liebe dich doch", hauchte sie plötzlich und sofort wurden ihre Gesichtszüge weicher. Es war als würde plötzlich eine andere Frau vor mir stehen.

Plötzlich kam Timo um die Ecke gerannt. Auf zwei Beinen!
Hatte ihr Liebesgeständnis den Bann gebrochen?
Timo fiel mir in die Arme, doch dafür hatten wir keine Zeit.

"Komm!", sagte ich und zog ihm am Arm, während ich mit der anderen Hand die Tür in die Freiheit öffnete.

Mein Verstand hatte wieder eingesetzt. Wir musste fliehen und wenn wir es jetzt nicht taten, dann vermutlich nie

"HALT!"

AmoraWhere stories live. Discover now