Kapitel 26

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Timo hatte mir geglaubt und wir hatten den gesamten Tag geschwänzt, damit ich ihm alles bis ins kleinste Detail erklären konnte.

Als er alles halbwegs verkraftet hatte, fragte er nach der Schwangerschaft.

Diese versuchte ich noch immer so gut es ging zu verdrängen. Ich wollte mich damit nicht auseinandersetzen müssen und deshalb tat ich es auch nicht. In meinem Alltag spielte es noch keine Rolle. Man sah es nicht, also existierte es für mich auch nicht. Es war für mich kein Thema. Im Moment hatte ich ganz andere Probleme.

"Ich kann da noch nicht drüber sprechen", war alles, was ich ihm dazu gesagt hatte.

Und er hatte es akzeptiert. Ich hatte das Gefühl, dass unser Vertrauen wieder vollkommen hergestellt war.

Doch eins hatte sich nicht geändert: Ich hatte ihm erklärt, dass niemand herausfinden dürfte, dass wir uns liebten. Und genau das war der Punkt, der uns beide frustrierte. Denn wir liebten uns, dürfte es jedoch nicht offen zeigen.

Wir sahen uns jeden Tag in der Schule, doch wir trafen uns nicht mehr in unserer Freizeit. Timo verstand um die Brisanz der Lage. Es war besser, wenn wir auf Abstand gingen.

Dann kam der Tag, an dem ich plötzlich eine kleine Bauchwölbung sah.

Ich drehte mich zu Seite und betrachte meine Silhouette. Das war zweifelsfrei ein Schwangerschaftsbauch.

Das konnte doch nicht sein.

Fassungslos starrte ich mein Spiegelbild an.
Ich war erst im zweiten Monat. So schnell entwickelte sich doch kein Bauch. Für Außenstehende sah es einfach nur so aus, als hätte ich ein bisschen zu tief in den Eisbecher geschaut, doch ich wusste, dass das nicht der Grund war und das machte mir Angst. Es wurde real.

Ich zog mir meinen schlabbrigsten Pulli an, den ich hatte. Niemand sollte es sehen.

"Ach", sagte Mama mit einem Lächeln auf den Lippen, als ich die Treppe herunterkam. "Sehe ich da etwa ein übergroßen Pulli an dir?" Sie lächelte schief. "Sieht man mittlerweile schon was?"

Meine Mutter freute sich schon riesig auf das Kind. Sie kaufte sogar Baby-Sachen, während ich mir noch nicht einmal bildlich vorgestellt hatte, wie es war ein Baby in der Hand zu halten. Ständig redete sie davon, doch sie stieß bei mir auf taube Ohren.

Verunsichert legte ich meine Hand auf den Bauch.

"Süße, du musst dich dafür doch nicht schämen", sprach sie einfühlsam, während ich die letzten Stufen der Treppe nahm. "Das ist doch etwas Tolles. Da drin wartet deine Tochter auf dich."

"Das ist viel zu früh!", brummte ich. "Ich bin im zweiten Monat. Wieso sieht man das schon?"

"Amora-Schwangerschaften sind kürzer. Wir heilen schneller, weil bei uns neue Zellen schneller nachwachsen. Und so ist es auch mit den Kindern in unseren Bäuchen. Die wachsen schneller."
Ich hielt inne.

Sämtliche Gesichtszüge entglitten mir.
"Bitte was? Das ist doch jetzt ein schlechter Scherz."

Zwar hatte ich erst neulich nachgerechnet, ob ich genau 9 Monate nach Mamas 18. Geburtstag geboren war, doch als ich festgestellt hatte, dass es nur 7 Monate gewesen waren, schob ich das darauf, dass ich als Frühchen zur Welt gekommen war.

"Nein, nach etwa 6 bis 7 Monaten gebären wir die Kinder. Wenn du jetzt zum Frauenarzt gehst, werden sie dir wahrscheinlich sagen, dass du bereits im vierten Monat bist."
"Das sagst du mir jetzt?", fauchte ich sie wütend an. "Das sind 2 Monate früher als gedacht oder vielleicht sogar 3."
"Ich dachte, du wüsstest es."

"WOHER DENN!? Du sprichst doch nicht mit mir!"

"Es tut mir leid, aber du bist in letzter Zeit auch nicht sonderlich gesprächig. Ich wollte mir dir eh mal zum Frauenarzt gehen und dich durchchecken lassen. Das ist längst überfällig."

Ich konnt es nicht glauben, dass sie mir so eine Information vorenthalten hatte. Also noch 2 Monate weniger von meiner Jugend. Ich könnte in 4 Monaten schon Mutter sein. Daran wollte ich gar nicht erst denken.

Verdammter Mist! Ich begann mein Leben nur noch zu hassen.

"Ich werde für morgen einen Termin ausmachen und dann kannst du es dir ja mal auf dem Ultraschall ansehen. Das hilft dir vielleicht einen Bezug herzustellen."

Ich sah wieder runter auf dem Bauch und ich fühlte mich einfach nur todtraurig. Man hatte mir dort einfach etwas eingepflanzt, das ich nicht wollte.

"Ist mir egal", brummte ich und lief dann nach draußen, wo sich heute ein strahlend blauer Himmel über der Stadt erstreckte.

Ich lief zu der Stelle, an der ich Anfang des Jahres in das eisige Wasser gefallen war. Timo hatte mich damals gerettet.

Als ich ankam, sah ich, dass jemand die gleiche Idee wie ich gehabt hatte.
"Du auch hier?", fragte ich ihn.

Überrascht sah er sich um. Als er mich erkannte, lächelte er.

Dann tippte er sachte auf den Platz neben sich. Ich setzte mich auf die Bank. Vor uns glitzerte die Sonne auf der Wasseroberfläche. Neben ihm sah ich erschreckend klein aus. Zwar mein Bauch gewachsen, doch der Kummer hatte mich dünner werden lassen.

"Was treibt dich hierher?", fragte er und beobachtete einen Spatz, der vor unseren Füßen hüpfte.

"Verzweiflung", antwortete ich nüchtern.

Er legte seinen Arm um mich herum und es tat mir so gut. Es gab mir den Halt, der mir momentan im Leben fehlte.

Ich konnte nicht anders, als mich an ihn anzuschmiegen. Er gab mir einen Kuss auf die Schläfe.

"Timo", bat ich ihn zu stoppen.

"Keine Panik", sagte er. "Nur ein Kuss unter Freunden. Es war doch nur die Schläfe."

"Eigentlich können Freunde doch heutzutage eh alles. Selbst wenn es Mann und Frau sind", dachte ich laut nach. "Wir könnten nach dem Abi zusammen in eine WG ziehen. Dann merkt doch eh keiner, wie nahe wir uns kommen", versuchte ich einen Ausweg aus der Situation zu finden.

"Du meinst Freundschaft Plus?", fragte er grinsend.

"Von mir aus auch das", stimmte ich zu.

Dann wurde sein Gesicht wieder ernster.

"Vergiss nicht, dass du dann Mutter bist. Sicher, dass du dann zuhause ausziehen willst? Das lässt deine Mutter doch wahrscheinlich niemals zu."

Da hatte er wahrscheinlich recht. Ich musste mich früher oder später mit dem Thema wirklich mal auseinandersetzen.

Ich hatte die irrationale Angst, dass Timo nach dem Abi zum Studieren die Stadt verließ, dort jemand Neues kennenlernen würde und ich in Vergessenheit geraten würde. Ich würde mit einem Baby zurückbleiben. Hatten wir nicht alle den Film "Love, Rosie" gesehen? Immerhin hat die beiden nach Jahrzehnten ihr Happy End bekommen.

"Ich weiß ja, dass du nicht über den Vater sprechen willst, aber wird er dich denn unterstützen?", hakte Timo vorsichtig nach.

Ich schüttelte den Kopf und hasste es, dass ich schon wieder log. Es gab nicht einmal einen richtigen Grund dafür. Es war vielmehr die Tatsache, dass ich mich dafür schämte, dass mein Körper sich einfach selbst einen Menschen einpflanzen konnte.

"Arschloch", murmelte Timo.

Dann rückte er noch näher an mich heran.

"Ich will das du weißt, dass ich für dich da bin." Er hob nun mein Kinn an, sodass ich ihm ins Gesicht blicken musste. "Du musst das nicht alleine durchstehen."

AmoraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt