Kapitel 9

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Ich hatte mir durch die Unterkühlung eine fette Erkältung geholt. Meine Mama hatte sich netterweise dazu entschieden, dass es besser war mich zuhause zu lassen und mich vorerst krankgeschrieben.

Mit Halsschmerzen und verstopfter Nase schlug ich die Zeit mit sinnlosen Serien und nur halbspannenden Dokumentationen tot. Als mein Gehirn nicht mehr die Aufnahmefähigkeit besaß noch eine sinnlose Romanze zu schauen, entschied ich mich ein wenig Ordnung in mein Zimmer zu bringen.

Ich begann alles zu sortieren, was mir in die Finger kam. Es endete damit, dass ich einen Stapel Fotos in der Hand hielt, auf denen ausschließlich Timo und ich abgebildet war.

Wie hübsch er doch war. Auch schon als Kind war er ein bildhübscher Junge gewesen. Er hatte immer etwas Freches an sich gehabt und war doch ein unglaublich liebevoller und sensibler Junge gewesen. Zu gerne würde ich ihn jetzt bei mir haben. Ich sah die BIlder durch und fragte mich, wie ich seine zauberhafte Art damals übersehen konnte. Eigentlich hätte ich schon längst in ihn verliebt sein sollen. Als er 8 Jahre alt gewesen war, hatte er mir eine Halskette selber gemacht, auf deren Anhänger unsere Initialen standen. Als ich 10 Jahre alt war, hatte er mir ein Gedicht getextet. Als ich 12 Jahre alt gewesen war, hatte er mir ein Lied auf Gitarre geschrieben. Wäre ich keine Amora gewesen, hätte ich ihn schon längst geliebt. Doch ich hatte es immer nur für eine ganz besondere Freundschaft gehalten.

Timo und ich hatten schon so viel erlebt. Ich erinnerte mich an eine Nachtwanderung, bei der wir uns verlaufen hatten und schließlich unter freiem Himmel schlafen mussten. Wir waren schon 14 gewesen. Es war so kalt gewesen, sodass ich mich an ihn gekuschelt hatte. Er hatte mir wärmend über die Arme gestrichen und auch das hatte ich einfach nur als eine nette Geste von meinem besten Freund gedeutet. Ich war in seinen Armen eingeschlafen.

Angestrengt dachte ich an diesen Augenblick zurück, denn ich erinnerte mich, dass ich aufgewacht war, weil ich von ihm geküsst worden war. Als er meinen entsetzten Gesichtsausdruck gesehen hatte, hatte er sofort alles abgestritten und mir eingeredet, dass ich es nur geträumt haben musste. Damals hatte ich das sogar geglaubt, doch nun war ich mir nicht mehr sicher. Hatte er mich damals schon geküsst? War er schon viel länger in mich verliebt, als ich annahm?

Ich seufzte und sah wieder auf die Fotos, die in mir bittersüße Erinnerungen auslösten. Und immer öfter fiel auf, dass Timo gar nicht in die Kamera sah, sondern zu mir. Und es kein normaler Blick. Ich war zwar nicht gut darin, aber meiner Meinung nach, sah so jemand aus, der verliebt war.

Verdammt! Wie hatte ich das all die Jahre nicht merken können? Erst jetzt, wo ich wussten, wie sich Liebe anfühlte, fiel es mir Schuppen von den Augen.

Es war zu schade, dass diese wundervollen Bilder lieblos in einer Schublade lagen. Ich beschloss auf den Dachboden zu gehen. Dort hatte Oma alle Habseligkeiten gelagert, unter denen sich auch einige kleine Schätze befanden. Unser Dachboden erinnerte mich immer ein wenig an den Raum der Wünsche. Zwar war er vollkommen chaotisch, doch hinter jedem Gegenstand steckte eine Geschichte.

Mit der Leiter kletterte ich nach oben und hob die staubige Luke an. Eigentlich betraten wir diesen Raum nur am 30. November eines jeden Jahres, um Weihnachtsdeko zu holen.

Die Fensterscheiben sahen aus, als wären sie das letzte Mal im Baujahr des Hauses geputzt worden und das war 1918 gewesen. Immerhin gab es eine Glühbirne, die von der Decke baumelte und noch funktionierte. Ich wollte lieber gar nicht wissen, welche Spinnen hier schon familiäre Strukturen aufgebaut hatten.

Ich sah mich um und suchte nach einer schönen Schachtel, in der ich die Fotos von Timo aufbewahren konnte. Ich wusste, dass Oma davon Dutzende hier aufbewahrte. Sie hatte sich schon immer schwer getan sich von Dingen zu trennen.

AmoraWhere stories live. Discover now