Kapitel 16 - Begegnungen

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Er dachte in letzter Zeit viel nach.

Über sich selbst, über Arroyo, über Ava natürlich...

Sie waren kleine Kinder gewesen. Und es war Minderjährigen verboten, ohne Aufsicht Thalasspolis zu verlassen. Doch weil Kleinmorven so neugierig und überzeugt davon gewesen war, schon gut genug für das wilde Meer zu sein, hatte er Kleinarroyo dazu überredetet, mit ihm zu kommen.

Komm schon, Roy. Das wird aufregend! Er hatte den scheuen Arroyo mit sich gezogen und ziemlich bald war er ihm freiwillig gefolgt. Sie schwammen hinter ihre Höhlen und dann über die hohe Mauer aus Seegras und Algenblätter.

Ich habe Angst wimmerte Arroyo und Morven seufzte.

Angsthase! Warf er ihm lediglich genervt vor und schwamm weiter durch das Dickicht. Er schwamm weiter und weiter und es wurde um ihn herum immer dunkler und dichter und auch wenn er es langsam mit der Angst zu tun bekam, so schwamm er tapfer weiter, überzeugt davon, gleich ins offene Meer zu schwimmen, den Algenwald hinter sich lassend. Er blickte nicht hinter sich, aus Angst, Arroyo könnte plötzlich nicht mehr hinter ihm sein.

Es war das erste Mal in seinem Leben gewesen, dass Morven die Menschen sah.

Bald lichtete sich der Wald. Hohe scharfe Felsen ragten aus den sandig schlammigen Tiefen hinauf in das „helle Wasser“ - so nannte man die Oberflächen der Meere – das Wasser war unruhig und nervös. Es war noch immer sehr dunkel, bis auf ein grelles rotes Licht, das ganz weit oben zu lodern schien. Morven verstand nicht was es war. Noch nie hatte er so ein stechendes Licht gesehen. Nur die sanften Sonnenstrahlen und ab und an sogar das Mondlicht. Er konnte aber erkennen, dass dies sicher kein natürliches Licht war. Seine Eltern hatten ihm gewiss von den Menschen berichtet und ihn vor ihnen gewarnt, doch Morven wäre niemals auf die Idee gekommen, dass Menschen hinter diesem Licht stecken könnten. So schwamm er dem Licht entgegen, schoss durch das Wasser immer näher an die Oberfläche. Es war ein Feuer, das brannte. Morven aber konnte das natürlich nicht begreifen und hatte auch gar nicht viel Zeit sich damit zu beschäftigen. Denn viel auffälliger war das sinkende Schiff. Es war ein sehr kleines Fischerboot. Die Grösse erinnerte Morven an den Babywal, mit dem Marion oft spielte. Sein Rumpf kam ihm langsam entgegen, die Spitze ragte noch aus dem Wasser. Doch ehe er dem Spektakel hätte näher kommen können, brannte ihm der Hals. Das Schiff sonderte eine braune Flüssigkeit aus, das sich überall verteilte. Auf der Oberfläche aber auch gen Grund. Morven hatte von dem Zeug geschluckt, er hustete und es brannte in seinen Augen und auf seiner Haut. Er war in eine Benzinwolke hineingeraten und er wurde ohnmächtig.

Er kam erst sehr viel später wieder zu sich, als es längst dunkel war. Arroyo hatte sich über ihn gelehnt und geweint.

Morven! Ich dachte du wärst gestorben! Weinte der Junge über ihm und es ging Morven tatsächlich schlecht. Sein ganzes Inneres brannte, als auch seine Augen. Was war das bloss gewesen?

Schnell schwammen sie zurück nach Thalasspolis. In der Nacht war es weniger schlimm, weil der Mond viel heller und näher schien als die fade Sonne am Tag.

Sie hatten beide eine Strafe bekommen und doch war seit diesem Tag Morvens Interesse an Menschen geweckt gewesen. Sobald es ihm gestattet war, schwamm er zurück zu dem Unfall. Da war er vierundachzig Monde alt gewesen – also 17 Menschenjahre – und fand tatsächlich das kleine nicht mehr weisse Schiff vor. Es war nicht viel davon übrig geblieben. Ein graugrünbewachsenes Holzskelett war es. Bald schwamm er noch weiter fort von Thalasspolis und er begann, sich immer näher der Ufer aufzuhalten. Nur Arroyo und Marion wussten davon. Sie fanden das nicht sonderlich gut, doch im Endeffekt war es ihnen egal. Marion hatte ihre Vorliebe für die erdrückenden Tiefen gefunden und versteckte sich so gut wie jeden Tag in den felsigen Tiefen der Nachbarschaft, besser befreundet mit den Leuchtfischen als mit ihren Meermenschenkollegen. Arroyo dagegen hatte genau wie Morven eine Faszination für den Menschen entwickelt. Anders als er, war Arroyo von dem Schiffsunfall traumatisiert. Jahrelang hatte er Albträume bekommen und diese nur dadurch bewältigen können, in dem er die Menschen zu sich in die Tiefe lockte und umbrachte. Sein Hobby war nicht verpönt, viele Meermenschen frönten sich an dieser Tätigkeit und in gewissen Kreisen war dieses Tun sogar zu einem Sport geworden.

Cold LungWhere stories live. Discover now