00 ♣ Kapitel

251 28 31
                                    

Ich könnte stundenlang mich nachts in den gestirnten Himmel vertiefen, weil mir diese Unendlichkeit fernher flammender Welten wie ein Band zwischen diesem und dem künftigen Dasein erscheint.

Friedrich Wilhelm Christian Karl Ferdinand Freiherr von Humboldt

„Sly, hol deine Schwester" flüstert Mutter besorgt. Ihre Stimme bebt leicht vor Anspannung. Wortlos drehe ich mich um. Schnell aber darauf bedacht keine Geräusche zu machen, laufe ich die Holztreppe hoch. Vorsichtig schleiche ich über den dunklen Flur, eine Diele knarzt, und gehe durch die angelehnte Tür.

Ayla schläft tief und fest, zusammengerollt wie eine Kugel und die Decke halb von sich geschoben, während ihre dunklen Haare wie ein Fächer um sie liegen. Ich beuge mich über sie, betrachte kurz ihr friedliches unschuldiges Gesicht und denke, dass es schon fast verboten sein müsste, kleine Kinder aus dem Schlaf zu reißen.

Ayla dreht sich kurz herum und schnieft einmal kurz. Ihre Finger greifen nach etwas, schließen und öffnen sich suchend. Für einen Moment drücke ich ihre Hand leicht. Irgendwie ruft mein Gedächtnis sich die drängenden Worte von Mutter zurück und das löst mich aus meiner Starre, reißt mich zurück in die herzlose Wirklichkeit.

Ich hebe meine Schwester hoch und trage sie in meinen Armen die Treppen wieder herunter. Diesmal achte ich darauf, möglichst lautlos durch das Haus zu wandern. In den zwei Zimmern sind die Fetzen, welche als Vorhänge dienen zugezogen. Nur die Finsternis schaut durch die Risse, ich fühle mich wie ein Fremde in meinem eigenen Haus. Beobachtet. Verräterin. Los. Geh. Flüstern die Wände.

Mutter wartet schon mit einem Beutel in der einen, einer noch nicht entzündeten Fackel in der anderen Hand. Fragend sehe ich sie an aber sie deutet mir nur, ihr zu folgen und wendet sich der Haustür zu. Im Flur bekomme ich mit den Fingerspitzen gerade noch Aylas Jacke zu fassen, kann sie mir hoch angeln und lege sie über meine Schwester, die noch immer schläft.

"Schnell, hier lang" zischt Mutter, stumm laufe ich hinter ihr her, hinaus in die schwarze Nacht.

Es wird nicht gesprochen auf unserem Weg. Dankbar für die Schatten der Häuser, die uns zu verschlucken scheinen, schleichen wir an den Hauswänden und Fenstern vorbei. Fachwerkhäuser reihen sich aneinander, klein und eng hocken sie da, wie lauernde Tiere. Ihre Dächer ragen bedrohlich in den Himmel an dem keine Sterne zu sehen sind. Ich mag es nicht wenn die grauen Wolken der Nacht die funkelnden Lichter am Himmel verdecken, die nicht nur ein guter Wegweiser sind, sondern mir auch ein Stück Heimat geben.

Während sich die ganze Welt unter ihnen ändert, so ändern sie sich doch nie.

Die knirschenden Schotterwege erstrecken sich lang und einsam durch die Stadt, begleitet von vielen verwirrenden Abzweigungen und Gassen. Manches erkenne ich bald wieder, doch einiges scheint mir so fremd, dass ich mich zu fragen beginne, wie groß diese Stadt eigentlich ist. Zumindest viel größer als ich immer angenommen hatte obwohl wir als Kinder so gut wie jeden Winkel erkundet hatten. Vielleicht wurden neue Wohnbauten errichtet und irgendwann haben wir aufgehört, dass alles hier als ein Abenteuer zu sehen, das man sich nur schön reden musste. Aber ich habe noch nie gesehen das sie für uns Häuser bauen.

Wir meiden die großen Handelsstraßen, auch wenn es Nacht ist, Augen sind überall.

Für einen Augenblick glaube ich einen menschlichen Umriss zu erkennen aber als ich versuche näher hinzusehen, war er auch schon wieder fort und ich vergesse schnell, was ich zu sehen geglaubt habe.

Einige Häuser an denen wir vorbei kommen sind verlassen, Fenster eingeschlagen und die Türen aufgebrochen. Wenn der Wind hindurchzieht, hört man ihn heulen, manchmal auch bis zu uns. Ayla kommt dann oft zu mir ins Bett und ich summe sie wieder in den Schlaf. Verspreche ihr, dass da draußen nichts ist und sie hier, bei mir, sicher ist. Das niemand sie uns wegnehmen wird. Und jetzt sind wir auf der Flucht ... vor ? Vor denen die uns trennen wollen? Vor denen die schon all die anderen mitgenommen haben?

Catch The StarsWhere stories live. Discover now