01 † Ayla

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.Ayla.

Als ich das erste Mal das Meer sah, war ich fest davon überzeugt, dass es niemals etwas Gewaltigeres geben könnte. An diesem Tag war es wild. Verstört. Tat sich auf um alles zu verschlingen wonach es sich sehnte. Schlug mit seinen Armen an die Bootsrümpfe, türmte sich hoch in den schlammigen Himmel. Es war ganz anders als die Wüste. Unbezwingbar. Weit. Erfüllt von einem tiefen Verlangen. Es redete nicht. Es brüllte.

Zwei Nächte schliefen wir im Stall, bis der Mann in löchrigen Hosen bereit war mit seinem Schiff abzulegen. Das Wasser sah nicht ruhiger aus, eher abwartend. Lauernd. Aber der Mann mit den fettigen Haaren sagt, es klart auf.

Wir warten seit unserem Aufbruch, seit drei Tagen, dass es aufklart. Die Wolkendecke ist noch immer schwer, drückt sich nieder auf uns. Spuckt hin und wieder. Der Nieselregen ist dann kalt, eisig kriecht er in die feuchten Sachen, setzt sich fest in den Knochen.

Die Seile sind alt, das dunkle Segel bläht sich mühsam auf. Das salzige Holz summt. Das Meer brüllt. Alles so anders als die schweigende Wüste, die nur spricht wenn sie in Feuer und Licht ertrinkt. Ruhig und einsam. Das Meer aber brüllt. Die Wüste schweigt. Ich brülle in mich hinein. Draußen stumm. Vielleicht ist das so. Vielleicht bin ich wie das Meer in der Wüste.

Die Roten Leute mögen das Wasser nicht. Sie sind unruhig seit wir auf dem Schiff sind. Unterhalten sich nur selten zischend und gedämpft zwischen den Fässern mit Ladung, hängen meistens mit dem Kopf über den Wellen, würgend. Keine Befragungen. Erleichterung bei uns. Kurz nur. Alle, bis auf eine Frau. Kein Würgen bei ihr. Diese ist anders. Sie beobachtet. Sie vergisst nicht. Niemals. Selbst unter den Roten ist sie eigenwillig. Jon hat sie drei Tage ohne Essen an der Spitze laufen lassen. Die an der Spitze haben es schwer, sie müssen am schnellsten die Steine erklimmen, sich ihren eigenen Weg suchen. Können nicht auf die Füße des Vordermanns achten. Die Frau genießt es. Immer läuft sie mit. Nebenher. Saugt die blutenden Schritte in sich auf.

Und jetzt. Sie ist eine dunkle Silhouette. Trotz Regen; ihr Lächeln ist süß, ihre Augen sind leer. Schaut auf. Bohrt ihren Blick. In mich. Das Meer brüllt. Ich brülle mit.

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