12 ♣ Kapitel

62 13 5
                                    

Wenn euch Dunkelheit umhüllt, sagt: "Die Dunkelheit ist nur eine Morgendämmerung, die darauf wartet, geboren zu werden; und selbst wenn die Qualen der Nacht auf mir lasten, der Morgen wird geboren sein, in mir wie auf den Hügeln."

Khalil Gibran


Der zweite Hieb ist betäubend, ich nehme ihn kaum wahr, der erste hallt noch zu stark in mir nach.

Der Dritte kommt nach einer gefühlten Ewigkeit, es ist die Hölle. Ich schrei mir die Seele aus dem Leib.

Der Vierte ist Feuer.

Der Fünfte kommt plötzlich und hungrig. Er frisst sich tief ins Fleisch.

Der Sechste hat brennende Krallen, die mich nah an den Rand des Untragbaren bringen.

Bis der letze Hieb kommt, vergehen mehrere Minuten, es fühlt sich an, wie die grausamsten Stunden meines Lebens. Der Mann kostet sie aus. Meine Qualen. Ich höre ihn lachen, irgendwo, ganz weit am Rande meiner Wahrnehmung höre ich ihn lachen.

Der Siebte kommt und es ist meine Erlösung. Ich begrüße ihn fast. Tränenüberströmt und keuchend. Das Blut rauscht durch meine Adern meine Muskeln sind zum bersten gespannt. Sie schneiden meine Fesseln ab und ich sinke zu Boden, regungslos. Zerstört. Ausgepeitscht. Blind vor Schmerz. Ein Häufchen Elend. Winzig. Ich fühle mich so klein. Da ist ein Riesenuniversum und ich kauere hier und meine Schmerzen sind so unbedeutend im Vergleich zu dieser Welt aber ich kann nicht anders als in Selbstmitleid zu ertrinken. Owain und der Händler kratzen das bisschen, was von mir bleibt, auf. Sie geben ihr bestes. Aber ich bin wie Sand. Du kannst niemals jedes Korn aufnehmen. Also lässt du den Rest da. Meine Hoffnung, lasse ich zurück. Ich sehe wie sie verweht, zu leicht um standhaft zu bleiben.

Die nächsten Stunden weiß ich nicht wann ich wach bin oder träume. Ich weiß nicht mal, ob es nur Stunden sind oder Minuten, es könnten Wochen sein.

Manchmal sehe ich verschwommene Gesichter die sich zu mir hinabbeugen und mit mir sprechen, aber sie sind immer unscharf. Am Anfang. Dann werde sie zu Ayla, ihre grauen Augen funkeln vor Wut und ich höre wieder und wieder ihre Schreie. In meinen Träumen ruft sie verletzt, ich habe sie im Stich gelassen. Sie sieht zu wie die Worte sich in meinen Körper bohren und mich zerstören. Und dann wird sie ruhig, ihr Blick zu einer Maske. Sie schottet sich ab und sagt leise „Du hast es versprochen."

Ich renne ihr nach und will ihren Namen sagen. Dann merke ich, dass kein Ton aus meinem Mund kommt. Ich streiche mir über die Lippen. Sie sind zugenäht. Wild sehe ich mich um, den Wahnsinn in den Gliedern, und versuche mich an irgendetwas zu klammern. Das ist der anfängliche Überlebensinstinkt. Er verblasst schnell. In dem Moment fasst mich jemand an und ich schreie. Diesmal kann ich mich hören, ich schreie zuerst um meiner Stimme einfach freien Lauf zu lassen und dann vor dem Brennen in meinem Rücken. Hände halten mich fest, ich schlage um mich. Irgendetwas wird mir unter die Nase gehalten und ich bin wieder allein. Allein in einem Raum. Wieder ein Traum, aber so echt. Es ist gleißend hell doch keine Lampe zu sehen. Das hier ist nicht wie Sonnenlicht oder ein Feuer und es ist mir unklar, woher es kommt. Es scheint von dem Raum selbst auszugehen. Er ist voller Spiegel. Hunderte meiner Spiegelbilder starren mich an. Ich kann sehen wie ich in dem einem zusammenbreche und mir Haare ausreiße. Eine andere brüllt immer wieder nach Ayla. Die nächste durchlebt noch einmal, wie der Mann mit seiner Peitsche mir die Haut von den Knochen reißt. In unzähligen Abbildern sterbe ich schließlich oder werde wahnsinnig, weil ich diese Welt nicht verstehe und wie sie funktioniert und nicht akzeptieren will, dass es nichts gibt, was ich tun kann um meine kleine kaputte Stadt und das Leben, welches ich führte wiederzukriegen. Es war erbärmlich. Eingeschränkt. Aber ich hatte zwei Menschen die ich liebe und eine Möglichkeit zu überleben. Hier gibt es keinen Weg raus. Hier kämpft niemand gegen mich und ich kann mich nicht verstecken. Nicht wieder untertauchen. Ich bin in mir selbst und es gibt keinen Ausweg. Der Kampf wird gegen mich ausgetragen und ich bin dabei zu verlieren, auch wenn ich gewinne. Ich sehe zu, wie meine Spiegelbilder tun, was sie tun müssen. Denn so ist es vorgesehen. Ich habe es so vorgesehen, in meinem eigenen Gefängnis. Sie müssen sterben. Aber mein richtiges Ich, mein Bewusstsein, steht nur da. Solange ich mich weigere, über diese Ebenbilder hinwegzusehen und eine neue Zukunft zu schreiben, bin ich hier gefangen. In mir. Aber ich kann nichts tun. Die Spiegel rücken näher, ziehen sich wie eine Schlaufe enger, eine Hand die sich zur Faust schließt. Drängen mich an eine Wand. Aus dem Nichts steigt der Raum voll mit Wasser. Sie schreien, ich sehe wie sich die Lungen meiner Schatten mit Wasser füllen und sie alle sterben. So wie ich weiß, dass ich sterben werde. Nur vorher werde ich ihnen allen dabei zusehen müssen. Keine wehrt sich, jede glaubt, so ist es richtig. Sie ist schuld. Und die Flut steigt rasend, umspült schon bald meine Hüften und nach wenigen Sekunden meinen Hals. Ich ertrinke. Quälend langsam. Ich träume jedes mal. Und ich lande jedes Mal in dem Spiegelraum. Und jedes mal ertrinke ich. Ich kann mich nicht befreien und ich will es nicht. Mein Gefühl sagt mir, dass ich es verdiene, so wie die Spiegelbilder. Und darum nehme ich es an. Sterbe unzählige Male und sehe davor ihre grauen silbernen Augen. Wie das Licht sich in ihnen bricht und der Zorn sie zerreißt. Die Trauer brennt sie aus. Und ich ertrinke wieder. In Tränen und Salz. In mir.

Catch The StarsWhere stories live. Discover now