Kapitel 47 ~Wie ausgewechselt

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Ich raste die langen Straßen von Los Angeles entlang und genoss das Gefühl der Freiheit, das mich immer dann erfüllte, wenn ich den Wagen beschleunigte und meine Umgebung noch mehr verschwamm. Diese Freiheit, die das Herz leichter und das Grinsen größer werden ließ. Mir hatte es schon immer gefallen, schnell zu fahren, um genau das zu fühlen.

Als ich jedoch Chris Haus in der Ferne erkennen konnte, löste sich dieses Gefühl der Freiheit in Luft auf und Angst machte sich in mir breit. Angst verletzt zu werden. Angst Chris zu verlieren. Und Angst vor der ungewissen Zukunft.

Ich verringerte meine Geschwindigkeit und versuchte das ungute Gefühl in meiner Magengegend zu ignorieren. Das war allerdings leichter gesagt als getan. Ich war normalerweise immer ein Mädchen gewesen, dass sich auf sein Bauchgefühl verließ und damit auch meistens richtig lag. Doch in diesem Fall konnte und wollte ich einfach nicht glauben, dass mir irgendetwas Negatives mit Chris bevorstand.

Auch wenn ich mir in letzter Zeit ziemlich unsicher gewesen war, was unsere Beziehung und meine Gefühle für ihn angingen, ich konnte mir einfach nicht vorstellen, ihn nicht mehr in meinem Leben zu haben. Er war mir viel zu wichtig geworden und ich hatte mich viel zu sehr an ihn gewöhnt. An sein Lächeln, seine Nähe und vorallem an die Art und Weise wie er mit mir umging. Er behandelte mich so, als wäre ich das Kostbarste auf der Welt und sah mich nie als selbstverständlich an. Er kämpfte um mich und war immer für mich da wenn ich ihn brauchte. Bei Chris fühlte ich mich sicher; so als wäre er mein Fels in der Brandung.

Ich konnte die Vorstellung einfach nicht ertragen, dass das alles weg wäre. Dass er weg wäre...

Ich schob diesen traurigen Gedanken beiseite und brachte das Auto vor dem goldenen Tor vor Chris Einfahrt zum Stehen. Mein Fenster öffnete ich und drückte vorsichtig auf die Klingel, die an einer kleinen goldenen Säule, vor dem Zaun angebracht worden war.

"Ja?", ertönte Maria's Stimme aus dem Lautsprecher. "Hi, hier ist Kylie. Lässt du mich rein?", antwortete ich und strich mir meine Haare aus dem Gesicht. "Ach du bist es, Schätzchen. Natürlich, warte kurz", sagte sie und kurze Zeit später war wieder das altbekannte Piepen zu hören und das Tor öffnete sich elektronisch.

Ich startete wieder den Motor und fuhr auf das Grundstück. Den Wagen parkte ich vor der Haustür und zog den Schlüssel aus dem Zündschloss. Dann stieg ich aus dem Auto und verschloss es per Knopfdruck. Ich atmete ein letztes Mal tief durch und ging dann zu der geöffneten Haustür, in der bereits Maria, die Haushälterin der Woods, stand und mich freundlich anlächelte. Sobald ich bei ihr angelangt war, zog sie mich in eine schnelle Umarmung und musterte mich schließlich prüfend, bevor sie wieder ihr warmes Lächeln auf dem Gesicht trug und mich komplimentierte: "Du wirst von Mal zu Mal hübscher, Kylie."

Ich lachte und entgegnete: "Danke, du aber auch, Maria. Ist Chris da?"

"Haha danke. Ja, er müsste im Fitnessraum sein", erklärte sie, zog mich ins Haus und nahm mir meine Lederjacke ab. "Und wo genau ist dieser Fitnessraum?", hackte ich nach und sah mich in der Villa um.

Hier hatte sich seit meinem letzten Besuch eigentlich nichts verändert, außer dass es unglaublich lecker nach irgendeinem Kuchen roch. Ich würde mir später ganz sicher ein Stück davon sichern, das war klar.

"Komm ich zeig dir den Weg", bot Maria mir an und lief dann voran.

Sie ging eine riesige Wendeltreppe ein Stockwerk tiefer und blieb schließlich vor einer der 3 Türen stehen. Ich nickte ihr dankend zu und betrat schließlich den Raum. Dieser war in hellen Brauntönen gestaltet und darin befanden sich mehr Fitnessgeräte als in einem normalen Fitnessstudio. Von einem Laufband, bis hin zu einer Yogamatte war hier alles zu finden.

In der Ecke hing ein schwarzer Boxsack, der gerade so stark von meinem Freund verdroschen wurde, als hätte er ihm das letzte Nutellaglas auf der Welt vor der Nase weggeschnappt. Ich ging eine Schritte näher an ihn heran und beobachete fasziniert seine Bewegungen.

Chris führte sehr aggressive und wütende Schläge aus und wirkte dabei trotzdem professionell; so als er ob er das jeden Tag machen würde. Er war völlig verschwitzt und seine Kopfhörern waren so laut eingestellt, dass sogar ich die Musik hören konnte. Immer wieder und wieder schlug er auf den Boxsack ein und schien mich gar nicht zu bemerken.

Ich legte die letzten Meter zwischen uns zurück und legte vorsichtig meine Hand auf seine Schulter. Bevor ich auch nur mit einer Reaktion rechnen konnte, spürte ich plötzlich wie ich hart mit dem Rücken gegen die Wand gedrückt und meine Handgelenke schmerzhaft über meinem Kopf fixiert wurden.

Ich keuchte erschrocken auf und sah Chris mit geweiteten Augen an. Sein Körper war mit seiner gesamten Kraft gegen meinen gepresst und seine Augen funkelten kalt und gefährlich, während seine Brust sich heftig auf und ab bewegte. Ich schluckte schwer und spürte wie sich Angst in mir breit machte.

Dieser Chris hatte absolut nichts mehr mit meinem sonst so einfühlsamen und fröhlichen Freund zu tun... Es war als würde mir eine völlig andere Person gegenüber stehen.

Das Atmen fiel mir allmählich immer schwerer, da er mich immernoch mit seinem gesamten Körpergewicht gegen die Wand drückte und mir somit langsam die Luft abschnürte. "Chris", brachte ich flüsternd hervor und sah in flehend an.

Für ein paar Sekunden starrte er mir nur eiskalt in die Augen, bevor sein Blick nach und nach wärmer wurde. Plötzlich stolperte er ruckartig einige Schritte rückwärts und der Druck war auf der Stelle verschwunden. Ich atmete erleichtert auf, schloss meine Augen und versuchte das Ganze erst einmal zu verarbeiten.

Ich hatte ja mit vielen Reaktionen gerechnet, aber keineswegs mit so einer. Er war so dermaßen aggressiv und kalt gewesen; wie ausgewechselt...

"Kylie", holte mich Chris verzweifelte Stimme aus meinen Gedanken. Ich öffnete wieder meine Augen und sah meinen Freund, wie er mich besorgt anblickte und sich gestresst durch die Haare fuhr.

"Es tut mir unglaublich leid. Ich wollte dir niemals wehtun oder so. Ich weiß nicht was in mich gefahren ist... Ich hab irgendwie die Kontrolle verloren. Das hätte nicht passieren dürfen. Es tut mir wirklich so unendlich leid. Nur bitte, hab jetzt keine Angst vor mir."

Während er diese Worte ausgesprochen hatte, war er so nahe gekommen, dass noch ungefähr ein Meter zwischen uns lag. Sein Blick war flehend und seine Haltung strahlte pure Verzweiflung und Reue aus. Er bereute seinen Ausraster wohl wirklich sehr. Und ich... Ich hatte keine Ahnung was ich fühlen sollte...

Einerseits wollte ich so viel Abstand wie nur irgendwie möglich zwischen uns bringen, doch andererseits wünschte ich mir momentan nichts sehnlicher, als von ihm und seiner Nähe getröstet zu werden.

Schließlich gab ich meinem Wunsch nach Trost nach und bat mit leiser Stimme: "Kannst du mich bitte einfach nur in den Arm nehmen?"

Chris sah mich zunächst überrascht an, bevor er schnell die Lücke zwischen uns schloss und seine Arme um mich schlang. Ich legte ebenfalls meine Arme um seinen warmen Körper und vergrub mein Gesicht an seiner Halsbeuge.

In diesem Moment war es für mich unwichtig, dass er verschwitzte Sportkleidung trug oder dass er vor ein paar Sekunden die Kontrolle verloren hatte. Das Einzige was zählte war das Hier und Jetzt. Und im Moment konnte ich mir nichts Tröstenderes vorstellen als in den Armen meines Freundes zu liegen.

The Bad Boy next doorWhere stories live. Discover now