Der Fluch der Topsy-Turvy | W...

By jinnis

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Kalina ap Theron braucht dringend einen Job, um sich und die gemischte Crew ihres Raumfrachters durchzubringe... More

1 - Der kurze Strohhalm
3 - Das Geheimnis von Tanencha sy Tyrin
4 - Der Fluch
5 - Unangenehme Begegnung
6 - Vom Regen...
7 - ... in die Traufe
8 - Kalis Geschichte
9 - Wo ist der Eindringling
10 - Verloren im All
11 - Ruhe vor dem Sturm
12 - Auf Eis gelegt
13 - Neuland
14 - Lebenszeichen
15 - Im Anflug
16 - Topsys Fluch
17 - Erkundungstour
18 - Explosive Entdeckung
19 - Missgeschick
20 - Schatten der Vergangenheit
21 - Verzweifelte Pläne
22 - Von Schleudern und Vertrauen
23 - Topsilina
24 - Das Herz von Ajs an'Hlj
25 - Höllenritt
26 - Ausstieg aus dem fahrenden Zug
27 - Wie Zuckerwatte
28 - Das Lied von Sqia'lon Sieben
29 - Teamwork
30 - Ein Epilog

2 - Die Brutkammer

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By jinnis

Überrascht sog ich Luft durch meine Kiemen. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit einer Aussprache der Standardsprache, die von einer weit besseren Bildung zeugte, als ich oder jedes andere Mitglied meiner Crew sie jemals genossen hatten.

„Vielen Dank." Ich verbeugte mich leicht, nicht sicher ob meine Erwiderung angebracht war. Aber mein Gegenüber schien damit zufrieden zu sein.

„Kann ich unseren Gästen behilflich sein? Den Weg weisen, vielleicht?"

Ich zögerte, nicht sicher, ob ich es riskieren durfte, nach meiner Kontaktperson zu fragen. Unser potentieller Auftraggeber hatte zwar nicht explizit um Geheimhaltung gebeten, das bedeutete aber nicht, dass er sie nicht als selbstverständlich voraussetzte. Leider hatte ich aber keine Ahnung, wohin ich mich wenden sollte. Ohne Karte, klare Adresse oder Straßenschilder konnten wir noch tagelang durch diesen Schlamm waten, ohne unserem Ziel näher zu kommen. Insbesondere da die Häuser hier alle gleich aussahen. Sie wirkten auf mich wie riesige, umgestülpte Tassen oder stumpfe Kegel, ohne Fenster, Türen, oder andere individuelle Merkmale. Ohne Hilfe schien es mir nahezu unmöglich, unseren möglichen Klienten zu finden.

Ich verbeugte mich deshalb ein zweites Mal, aus der Hüfte, nur gerade genug um auf meine freundlichen Absichten hinzuweisen. „Vielen Dank fürs Fragen, das ist sehr wohlwollend. Wir suchen nach Tanencha."

„Tanencha sy Tyrin?" Ein Zucken der Hautfalte über dem Ansatz der oberen Augenstiele vermittelte den überzeugenden Eindruck einer gehobenen menschlichen Augenbraue.

Ich war verwirrt. „Gibt es denn verschiedene?"

Die Subraumnachricht hatte mich nur gebeten Tanencha auf Tyrin zu besuchen. Letzterer war ein Mikroplanet im abgelegenen Simari-System. Soviel ich wusste, war diese Welt nur lose der AUP, der Allianz der unabhängigen Planeten zugehörig. Und was Tanencha betraf ging ich davon aus, dass es sich um einen Orts- oder Straßennamen handelte. Vielleicht auch um ein Gasthaus oder womöglich sogar ein Bordell, ich hatte schlicht keine Ahnung.

Da der Planet nur einen einzigen Raumhafen besaß und die Botschaft meinen persönlichen Code trug, hatte ich damit gerechnet, nach unserer Ankunft von einer Mittelsperson kontaktiert zu werden. Immerhin war unsere Landung ja kaum zu übersehen gewesen. Erst als nach mehreren Klicks immer noch niemand aufgetaucht war und die Crew langsam ungeduldig wurde, entschloss ich mich zu einer Erkundungstour.

Unser Gegenüber verdrehte die Augenstiele und wob einige der oberen Tentakel ineinander. Erst verspätet fiel mir ein, dass es sich dabei wohl um eine Art Körpersprache handeln musste. Ich hatte aber absolut keine Ahnung, was der schneckenähnliche Tyrinianer mir auf diese gestenreiche Art mitteilen wollte. Zum Glück schien er — oder vielleicht sie — das auch festzustellen und lieferte eine Übersetzung in Standard nach.

„Es gib nur die Eine, werte Besucher. Wobei es doch ausgesprochen außergewöhnlich erscheint, dass die ehrwürdige Tanencha Besucher in ihr Heim einlädt."

Super. Tanencha musste also eine lokale Berühmtheit sein. Und zwar eine weibliche. Zumindest war es ganz bestimmt kein Ort, wie ich selbstverständlich angenommen hatte. Immerhin machte meine Schutzmaske es praktisch unmöglich, die Überraschung auf meinem Gesicht zu lesen. Glück gehabt. Solch dumme Fehler und unbegründete Annahmen haben die unangenehme Angewohnheit, in einem Desaster zu enden. Ich nahm mir vor, mich besser unter Kontrolle zu halten.

„Dennoch hat sie mich zu sich gebeten, ihre Freundlichkeit." Da weder ich noch jemand anderes aus meiner Crew bereits auf Tyrin gewesen war, hatte ich keine Ahnung, was die lokale Etikette als freundliche Anrede vorsah. Zumindest wirkte mein wirbelloses Gegenüber eher amüsiert als verärgert. Obwohl mir mein verletzter Stolz eine Flutwelle von irritierter Hitze durch die Adern trieb, blieb ich gefasst. Es ist immer besser für einen Clown als für unhöflich gehalten zu werden. „Bitte verzeiht mein Unwissen im Protokoll."

„Keine Sorge ist notwendig, werte Besucher. Ich gehöre nicht zur Kaste der Ehrwürdigen, sondern bin nur die Sprecherin von Salincha, Angehörige des Hauses von Tanencha." Die Sprecherin gestikulierte in Richtung ihrer orangefarbenen Begleitung, die uns mit leicht vibrierenden Augenstielen musterte, die Tentakel ordentlich über der Brust gefaltet. Immerhin wusste ich nun, dass ich es mit weiblichen Tyrinianerinnen zu tun hatte. Nicht dass ich deswegen eine Vorstellung hatte, wie ein männliches Exemplar aussah.

„Bitte bezeugen sie der ehrwürdigen Salincha meinen uneingeschränkten Respekt. Wäre es vermessen, sie zu bitten, uns den Weg zu Tanenchas Aufenthaltsort zu weisen?" In Momenten wie diesem, während ich mich planlos und wie mit verbundenen Augen durch den Dschungel diplomatischer Beziehungen hangelte, stellte ich mir existenzielle Fragen. Warum um alles in den sieben Universen schien es mir jemals erstrebenswert, Captain eines Raumfrachters zu werden?

Die Sprecherin tauschte einen Schwall gurgelnder Geräusche mit ihrer Begleiterin aus.
Nach einigem Augenstiel-Wackeln und scheinbar unkoordiniertem Tentakelschwenken bedeutete sie uns, ihnen zu folgen.

Ben und ich hatten Mühe, mit den beiden Tyrinianerinnern Schritt zu halten. Während sie elegant und unbeschwert über die schleimige Oberfläche glitten, kämpften wir uns mühsam watend durch den knöcheltiefen Schlamm. Bald keuchten wir wie Huffalumpis, die sich durch einen überdimensionierten Teller bunter Grütze quälten.

Zu meinem Ärger darüber gesellte sich bald ein weiteres Problem. Trotz all meiner Bemühungen, mir den kompliziert gewundenen Weg zu merken, musste ich mir eingestehen, dass ich die Orientierung verloren hatte. Die tief über dem Schlick hängenden Nebelschwaden und die gleichförmigen Tassen-Häuser trugen das ihre dazu bei, mich zu verwirren. Zudem war der Himmel vollständig von violetten Wolken überzogen, ich hatte nicht die geringste Möglichkeit mich am Stand des Zentralgestirns zu orientieren. Spätestens jetzt sehnte ich mich ebenfalls in die gemütlich Geborgenheit unserer vertrauten Topsy-Turvy zurück.

Ein kurzer Blick in Bens Gesicht beruhigte mich kaum. Immerhin zeigte seine Haut wieder etwas Farbe, obwohl sie immer noch unnatürlich grün wirkte. Die tiefen Furchen auf seiner Stirn waren ein deutliches Zeichen seines Unmuts. Ich hoffte bloß, dass die Tyrinianer, die uns begegneten, seine missbilligenden Blicke nicht interpretieren konnten.

Meine Erleichterung war groß, als unsere Begleiterinnen endlich vor einem unscheinbaren Gebäude stoppten. Es unterschied sich in nichts von den übrigen konischen Häusern, die wir bisher gesehen hatten. Die graublauen Wände, die sich ohne erkennbare Fenster oder Türen aus dem Straßenschlamm erhoben, waren im unteren Teil mit dem allgegenwärtigen, farbigen Schleim verschmiert.

Salincha presste einen Tentakel auf die Oberfläche, die unter den Schlammspritzern solide wirkte. Einen Augenblick später erschien eine dunkle Linie auf der glatten Wand, eine ovale Luke öffnete sich lautlos gegen innen und erlaubte der Tyrinianerin den Zugang zu dem Gebäude.

Die Sprecherin wandte sich Ben und mir zu. „Bitte habt noch etwas Geduld, werte Besucher. Salincha wird eure Anwesenheit der Ältesten Mutter melden."

Tanencha hatte einen beeindruckenden Titel, soviel musste ich zugeben. Vielleicht war es also doch nicht so verwunderlich, dass sie keine genaueren Angaben zu ihrem Aufenthaltsort gemacht hatte. Vermutlich wusste einfach jeder auf dem Planeten, wo die Älteste Mutter zu finden war. Nun, dass wir mit Salincha ausgerechnet eine Verwandte von ihr getroffen hatten, war trotzdem ein Glücksfall. Eine sanfte Welle der Hoffnung hellte meine gedrückte Stimmung auf. Vielleicht wendete sich unser Blatt endlich. Wie Ben zu sagen pflegte: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Einen halben Klick später öffnete sich die Tür, und wir folgten Salinchas Sprecherin in einen Raum, der von oben durch eine Öffnung erleuchtet wurde. Eine Rampe führte uns in einer Spirale einen Schacht hinunter in eine weite Halle. Der Abstieg wurde maßgeblich erschwert durch den allgegenwärtigen Schleim, der die Rampe überzog. Ich war dankbar für eine Art Geländer, das verhinderte, dass wir in den Schacht hinunterstürzen konnten.

Ben, der voranging, warf mir über die Schulter einen Blick zu, den ich als verzweifelt einstufte. Vermutlich konnte er an meinen verkrampft zitternden Nackenstacheln erkennen, dass es mir nicht viel besser ging. Wie sollte es. Wir begaben uns gerade in den Einflussbereich einer mysteriösen Persönlichkeit, über die wir überhaupt nichts wussten.

Schweigend setzten wir unseren Weg fort, beide voll darauf konzentriert, nicht auszurutschen. Als wir endlich eine ebene, mehr oder weniger rutschsichere Fläche erreichten, nahm ich mir einen Moment Zeit, die Architektur zu studieren. Überrascht stellte ich fest, dass die kugelförmigen Hütten als Licht- und Lüftungsschächte sowie Zugangswege für eine unterirdische Siedlung dienten.

Von der Halle aus führten mindestens fünf dunkle Tunnel in verschiedene Richtungen. Salincha wartete mit gefalteten Tentakeln in der Mündung des größten. Ihre Sprecherin forderte uns auf, ihr zu folgen. „Hier entlang, werte Besucher."

Zum Glück gab die schwach leuchtende, ledrige Haut der beiden Tyrinianerinnen genug Licht ab, dass wir unseren Weg erahnen konnten. Trotzdem ging ich langsam und mit tastenden Schritten. Das Risiko, auf einem purpurnen Schleimklumpen auszurutschen und der Länge nach in dieser glibberigen Masse zu landen, behagte mir gar nicht.

Aber schon bald erreichten wir einen großen Raum mit einer hohen Gewölbedecke. Er wurde erhellt von Hunderten von kleinen, farbigen Lichtern. Neugierig sah ich mir die hübschen, auf den Wänden und der Decke verteilten Lichtquellen genauer an. Es handelte sich zu meiner Überraschung um unzählige winzige, leuchtende Tyrinianer. Alle besaßen nur ein einziges Paar Augenstiele und hinterließen ihre farbigen Schleimspuren auf allen Oberflächen. Ich unterdrückte den Drang, zurück in den Tunnel zu flüchten, und schluckte den bitteren Klumpen hinunter, der sich in meinem Hals formte.

Der Sprecherin war mein momentanes Zögern offensichtlich nicht entgangen. „Willkommen in der Brutkammer der ehrwürdigen Tanencha sy Tyrin. Darf ich unseren Besuchern die Sprecherin der Ältesten Mutter vorstellen?"

Erst da bemerkte ich die massige Figur, die im hinteren Bereich des Raums kauerte. Es war eine riesige Tyrinianerin, mindestens dreimal so groß wie Salincha oder ihre Sprecherin. Ihre dunkle, purpurfarbene Haut hing in zahllosen Falten und gab ein schwaches Leuchten ab. Dutzende von Augenstielen, in zwei Reihen auf ihrer gewölbten Stirn angeordnet, ließen mich vermuten, dass ihre Anzahl wohl mit dem Alter in Verbindung stand. Neben dieser enormen Pseudo-Schnecke saß eine kleinere, rosarote. Sie starrte mich aus drei Augenpaaren unverwandt an.

Ich schluckte, plötzlich ängstlich wie bei meinem ersten Startmanöver, auch wenn diese erwachsene Tyrinianerin nicht annähernd so alt und bedeutend sein konnte wie die Tanencha selbst.

„Wir grüßen dich, Kalina ap Theron. Die ehrwürdige Tanencha ist hocherfreut, dass du ihrer Einladung Folge leisten konntest. Sie bewundert deine exquisiten Abenteuer sehr und hofft, dass ihre bescheidene Anfrage dich und deine berühmte Besatzung nicht von einer wichtigen Mission abhält."

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