Die Gouvernante

By MissOpenBook

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Ein junger Baron. Ein uneheliches Mädchen. Die Chance auf eine neue Zukunft. Esther Griffel ist aus Calia ver... More

Vorwort
Prolog - Martha
Kapitel 1 - Orland
Kapitel 2 - Esther
Kapitel 3 - Orland
Kapitel 4 - Esther
Kapitel 5 - Orland
Kapitel 6 - Esther
Kapitel 7 - Orland
Kapitel 8 - Orland
Kapitel 9 - Esther
Kapitel 10 - Esther
Kapitel 11 - Esther
Kapitel 12 - Orland
Kapitel 13 - Esther
Kapitel 14 - Esther
Kapitel 15 - Orland
Kapitel 17 - Esther
Kapitel 18 - Orland
Kapitel 19 - Esther
Kapitel 20 - Orland
Kapitel 21 - Esther
Kapitel 22 - Esther
Kapitel 23 - Orland
Kapitel 24 - Esther
Kapitel 25 - Esther
Kapitel 26 - Esther
Kapitel 27 - Esther
Kapitel 28 - Orland
Kapitel 29 - Esther
Kapitel 30 - Orland
Kapitel 31 - Orland
Kapitel 32 - Esther
Kapitel 33 - Esther
Kapitel 34 - Orland
Kapitel 35 - Orland
Kapitel 36 - Esther
Kapitel 37 - Orland
Kapitel 38 - Esther
Kapitel 39 - Orland
Kapitel 40 - Orland
Kapitel 41 - Esther
Kapitel 42 - Orland
Kapitel 43 - Esther
Kapitel 44 - Orland
Kapitel 45 - Esther
Epilog - Martha
Nachwort

Kapitel 16 - Esther

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By MissOpenBook

Ich nicke Baron von Mailinger auffordernd zu, woraufhin er Annalies seine Hand anbietet, um ihr aus der Kutsche zu helfen. Freudig überrascht von dieser Geste errötet sie leicht. Ich selbst schaffe den Ausstieg ohne dargebotene Hilfe. Das ist wirklich ein Vorteil an der einfachen Kleidung, die ich als Gouvernante trage. Ich komme weitestgehend allein damit zurecht.

„Womit möchtest du gerne anfangen, Annalies?", frage ich gut gelaunt, bevor sich durch die Unschlüssigkeit der beiden eine unangenehme Atmosphäre ausbreiten kann. Die Angesprochene braucht eine Weile, um sich zu entscheiden. Sie scheint völlig überwältigt davon, dass gleich zwei Menschen heute nur für sie da sind, um sie zu beraten und ihr einen schönen Tag zu bereiten. Schließlich meint sie vorsichtig: „Womöglich wären Vorhänge und ein Teppich ganz gut. Dann wäre das Farbkonzept vorgegeben." Ich nicke wohlwollend. Das Mädchen hat in den vergangenen Tagen einiges dazugelernt.

Damit nicht jeder einzeln für sich losstapft, beeile ich mich zu sagen: „Natürlich sollst du heute auch etwas lernen, Annalies. Du gehörst zur oberen Gesellschaftsschicht und sollst auch lernen, wie ein Mitglied dieser aufzutreten. Du bist eine Dame von Rang und somit ist es die Pflicht eines Herrn, dir den Arm anzubieten, wenn er dich begleitet." Zum Glück braucht der Baron keinen weiteren scharfen Blick, er versteht die Anweisung und lädt seine Nichte dazu ein, sich bei ihm unterzuhaken. Ich bin sehr zufrieden mit mir selbst. Es kann nicht schaden, die Etikette des Barons ganz nebenbei ein bisschen aufzupolieren. Sollten die beiden je gemeinsam eingeladen werden, müssen sie vertraut und einheitlich auftreten und dürfen sich nicht in der Nähe des anderen unwohl fühlen. Das gilt es zu trainieren.

Während wir uns langsam in Bewegung setzen, lasse ich ganz beiläufig fallen: „Durchlaucht, was halten Sie von der Garderobe Ihrer Nichte? Es ist eins der neuen Kleider..." und gebe somit Orland von Mailinger den Aufhänger für ein etwas wackliges Kompliment und die Frage, wie Annalies denn der Besuch bei der Schneiderin gefallen hätte. Mehr Einladung braucht mein Schützling nicht, um ausschweifend von unserem Ausflug zu erzählen. Irgendwann landen die beiden über das Thema Lieblingsfarbe bei den Stoffen, die Annalies sich für ihre Vorhänge vorstellt. Ich laufe hinter den beiden und beobachte die Entwicklung mit Wohlwollen. Orland von Mailinger ist kein Meister der Konversation, aber er gibt sich Mühe und trifft einen Ton, bei dem seine Nichte sich angesprochen fühlt. Und es geht ja auch nicht darum, dass die beiden tiefsinnige Gespräche führen, sondern um ein sanftes Kennenlernen und eine entspannte Stimmung. Tatsächlich bemerke ich, wie der Baron nach einiger Zeit die Anspannung fallen lässt und offenbar die Angst verliert, etwas falsch machen zu können.

In einer kurzen Gesprächspause hake ich mich ein und deute auf einen Marktstand in der Nähe, der hochwertige Stoffe feilbietet: „Schau Annalies, dort könnten wir fündig werden." Die beiden folgen meinem Wink und kurz darauf lassen wir unsere Hände über Stoffbahnen gleiten. Der Baron hat sich ein paar Schritte zurückgezogen, um uns nicht bei der Auswahl zu behindern, aber das ist in Ordnung so. Ich würde von keinem Mann erwarten, dass er sich mit dekorativen Elementen auskennt.

„Achte darauf, jeden Stoff ordentlich zu befühlen", erläutere ich eindringlich. „Vorhänge brauchen eine gewisse Schwere, damit sie schön fallen. Du solltest außerdem darauf achten, welchen Farbton du wählst. Cremefarben wäre zwar sehr elegant, bietet womöglich aber nicht die gewünschte Verdunklung." Annalies saugt wie immer meine Anweisungen in sich auf und macht sich daran, die Auslage nach den vorgegebenen Qualitätsmerkmalen zu prüfen. Als sie ihrem Onkel und mir schließlich stolz einen dunkelblauen Stoff mit Silberfäden zeigt, sind wir beide mehr als einverstanden mit der Wahl. Ich nenne der Marktfrau die Maße, die wir brauchen – eine Information, die ich mir wohlweislich von Ernst besorgt habe – und sie gibt uns die Zusage, die Ware direkt ins Anwesen zu liefern.

Einen Teppich und zwei Kerzenleuchter später finden wir uns an einem Stand mit unzähligen Spiegeln wieder. Während Annalies voller Begeisterung in der Auslage stöbert, tritt Orland von Mailinger ein Stück an mich heran und meint aufrichtig: „Sie machen das großartig, Fräulein Griffel. Ich bin beeindruckt, über wie viel Expertise Sie verfügen und wie Sie Ihr Wissen mit Annalies teilen, sodass sie daraus lernt. Hätte sie sich vor einem Jahr ein Zimmer einrichten sollen, wäre vermutlich alles bunt zusammengewürfelt gewesen. Und nun beweist sie – nun ja – Geschmack, soweit ich das beurteilen kann."

Bei seinen Worten wird mir warm. Zum einen fühle ich mich gut durch dieses Lob. Stark. Es gibt mir das Gefühl, sinnvoll und hilfreich zu sein. Aber es zeigt auch, wie sehr der Baron auf seine Nichte achtgibt.

„Sie können mir nicht erzählen", fährt er fort, „dass das alles zu den Aufgaben einer Hofdame gehört. Dass Sie sich mit Gardinen und Teppichen auskennen, meine ich." Ich zucke mit den Schultern. „Letztendlich war alles von Belang, was uns Hofdamen repräsentierte. Und ein stilvoll eingerichtetes Zimmer gehört durchaus dazu. Aber Sie haben Recht, vielleicht habe ich einen gewissen Eifer dafür entwickelt, es mir schön zu machen, ein wenig meinen eigenen Stil zu entwickeln und das alles auf fundamentiertem Wissen aufzubauen. Ich war ähnlich lernwillig wie Ihre Nichte." Der Baron lächelt. „Es hat Ihnen nicht geschadet. Wenn Annalies irgendwann auch nur einen Bruchteil Ihres Wissens besäße, könnte aus ihr eine beeindruckende Dame werden."

Ich spüre, wie mein Gesicht heiß wird und hoffe, nicht zu sehr zu erröten. Mit solch einem Kompliment habe ich nicht gerechnet. Ich frage mich insgesamt, was mit dem Baron passiert ist. Nach letzter Nacht scheint er wie ausgewechselt zu sein. Er sucht keine Ausflüchte mehr, weicht uns nicht aus. Er sucht von selbst das Gespräch mit Annalies und sogar mit mir. Ich kann sehen, wieviel Mühe er sich gibt und ich frage mich, warum er es nicht schon vorher versucht hat.

„Oh, sieht so aus, als hätte Annalies ihre Wahl getroffen", merke ich an, um der sich ausbreitenden Stille zwischen uns keinen Raum zu geben. Ich deute auf das Mädchen, das einen kleinen Schminkspiegel mit einem schlichten Holzrahmen in der Hand hält. Eine solide Wahl, aber nichts Aufregendes.

„Ich glaube, ich habe mich entschieden, Onkel Orland", meint sie zögerlich, doch ich kann sehen, wie ihr Blick immer wieder in eine andere Ecke des Standes wandert. So ganz glücklich scheint sie mit ihrer Wahl nicht zu sein.

„Wunderbar, Annalies. Wenn du magst, bezahle ich ihn gleich und du kannst inzwischen schauen, was du noch so brauchst..." Er wirft mir einen fragenden Blick zu. „Vasen", werfe ich ein. „Ein Blumenarrangement in einer ansprechenden Vase wertet jeden Raum auf. Vielleicht magst du schon mal da drüben schauen, wir kommen gleich nach."

Die Baroness nickt und schlendert davon. Baron von Mailinger sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Wollen Sie mir bei der Bezahlung assistieren, oder warum sind Sie nicht mit Annalies mitgegangen?" Ich deute auf den Spiegel, der eindeutig die Aufmerksamkeit seines Mündels erweckt hat. Es ist ein mannshohes freistehendes Stück mit breitem Messingrahmen, den unzählige Ranken und Blumen schmücken. Etwas überladen und kitschig, aber durchaus schön für ein junges Mädchen.

„Ich finde, Sie sollten diesen Spiegel ebenfalls erwerben, Durchlaucht." Er runzelt die Stirn. „Wozu braucht sie zwei Spiegel?" Ich seufze. „Durchlaucht, der kleine ist ein Schminkspiegel. Der große jedoch ist ein Ganzkörperspiegel und zusätzlich ein dekoratives Element. Und Ihre Nichte hätte ihn gern in ihrem Zimmer und hat sich nur nicht getraut, zu fragen, weil es ein solch extravagantes Stück ist." Er schüttelt verwirrt den Kopf. „Woher wissen Sie so etwas nur immer?" Ich lächele über diese leicht verwirrte Frage und darüber, dass er gar nicht erst infrage stellt, dass ich Recht habe. „Weibliche Intuition", antworte ich. „Natürlich ist es Ihre Entscheidung. Aber Ihre Nichte wird Sie dafür lieben. Und dabei wird es weniger um das Stück an sich gehen, sondern um den Überraschungseffekt, Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit, Durchlaucht." Er schmunzelt und diese Mimik verwirrt mich, denn sie erhellt sein sonst so ernstes Gesicht. „Genaugenommen sind Sie aufmerksam, Fräulein Griffel." Ich muss mir ein Augenrollen verkneifen. „Das ist meine Pflicht. Und ich bin bestrebt, meine Aufgaben so gut wie möglich zu erledigen. Und deshalb werde ich jetzt schauen, was Annalies für einen Geschmack bei den Vasen beweist." Im Weggehen höre ich, wie Orland von Mailinger zusätzlich den zweiten Spiegel verlangt. Und wieder einmal geht mir auf, was er doch eigentlich für ein guter Mensch ist.

***

Orland von Mailinger sitzt entspannt hinter seinem Schreibtisch, als ich an den Türrahmen seines Arbeitszimmers klopfe, um auf mich aufmerksam zu machen. Sofort erhebt er sich und bittet mich herein – eine Geste der Aufmerksamkeit, die vor ein paar Tagen noch undenkbar gewesen wäre.

„Setzen Sie sich", lädt er mich ein. „Möchten Sie ein Glas Wein? Ernst hat mir die übrig gebliebene Flasche vom Abendessen hergestellt. Wenn Wein offen ist, muss er auch getrunken werden, ist seine Devise." Ich schüttele lächelnd den Kopf. „Danke, das ist freundlich von Ihnen, Durchlaucht, aber ich werde heute wohl zügig zu Bett gehen. Der Tag war doch ein wenig anstrengend." „Das glaube ich Ihnen aufs Wort. Sie haben auf Annalies und mich Acht gegeben wie ein Schießhund und Ihre Aufmerksamkeit hat nicht eine Sekunde nachgelassen. Dafür möchte ich mich bedanken. Es war wirklich ein schöner Tag." Ich lehne mich in dem Polsterstuhl, auf dem ich mich niedergelassen habe, zurück. „Und dafür haben Sie gesorgt, Durchlaucht, nicht ich. Annalies war sehr glücklich, als ich vorhin noch kurz bei ihr vorbeigeschaut habe. Sie hat sich so über den Spiegel gefreut."

Ein seliges Lächeln tritt auf sein Gesicht. „Ja, ich weiß. Ich habe sie nach dem Abendessen nach oben begleitet. Ernst hat inzwischen alle Einkäufe bei ihr installiert, bis auf die Vorhänge. Und meine Nichte ist mir tatsächlich um den Hals gefallen, als sie dieses monströse Ding gesehen hat. Allein dafür hat es sich gelohnt."

„Schön, dass Sie das so sehen", sage ich. Kurz zögere ich, dann stelle ich die Frage, mit der ich hergekommen bin: „Was halten Sie davon, den heutigen Tag morgen ein wenig fortzuführen? Ich habe eine spezielle Unterrichtseinheit für Annalies geplant und fände es nett, wenn Sie daran teilnähmen." Auf seinem Gesicht breitet sich Skepsis aus, die mich zum Lachen bringt. „Keine Sorge, es ist nichts Schwieriges, nichts Aufwendiges und es werden keine sonderlichen Fähigkeiten von Ihnen verlangt. Alles, was Sie brauchen, ist ein bisschen Zeit, eine offene Einstellung und eine gewisse Toleranz gegenüber höfischen Gepflogenheiten."

Ich beobachte seine Reaktion, wohl wissend, dass meine Beschreibung vor ein oder zwei Tagen noch seine Ablehnung geweckt hätte. Er schüttelt den Kopf. „Jetzt haben Sie mich nur noch mehr verwirrt. Und ich weiß nicht, ob ich mich darauf einlassen soll..." Ich schenke ihm ein Lächeln. „Bitte. Es könnte Ihnen sogar gefallen. Und Annalies wird sich freuen."

Ich sehe noch, bevor er mir zusagt, dass er kapituliert. „In Ordnung. Von mir aus. Aber wenn es mir nicht zusagt, was auch immer Sie da geplant haben, werde ich mich nie wieder von Ihnen zu irgendetwas überreden lassen."

„Einverstanden", beeile ich mich zu sagen. Ich wünsche ihm eine gute Nacht und frage mich auf dem Weg zu meinem Zimmer, wann es passiert ist, dass ich so ungezwungen, fast vertraut, mit ihm reden kann. Seine neuerliche Offenheit vermittelt mir fast das Gefühl, keine Angestellte zu sein. Aber nur fast.


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