Kapitel 11 - Esther

787 67 5
                                    

Ich klopfe an die Tür zum Arbeitszimmer des Barons. Ich fühle mich unwohl, ihn hier stören zu müssen, ja vor allem, ihn von selbst aufsuchen zu müssen. Doch da er auch nach dem Dinner keine Anstalten gemacht hatte, von selbst auf mich zu zukommen und mich willkommen zu heißen, hatte ich zunächst noch ein kurzes Gespräch mit Annalies geführt, mich für die Nacht von ihr verabschiedet und anschließend Ernst gesucht, um mich nach dem Aufenthaltsort meines neuen Dienstherrn zu erkundigen. Ernst hatte so getan, als wäre diese Frage völlig abwegig. Scheinbar zieht sich Baron von Mailinger jeden Abend nach dem Essen noch einmal zum Arbeiten zurück.

Aus dem Inneren dringt keine Antwort, also klopfe ich noch einmal. Nach weiteren zehn Sekunden drücke ich die Klinke hinunter und gehe unaufgefordert einen Schritt in das Arbeitszimmer hinein.

„Hätten Sie kurz Zeit, Durchlaucht? ", frage ich und bleibe zögernd auf der Schwelle stehen. Tatsächlich erwarte ich, dass der Baron ärgerlich über die Störung reagiert, doch er nickt nur und schiebt seine Papiere etwas zur Seite. Das treibt mich fast wieder zur Weißglut. Er tut so, als wäre es selbstverständlich, dass ich mich bei ihm melde, dabei wäre es seine Pflicht gewesen. Ich hole tief Luft und versuche, mir meinen Ärger nicht anmerken zu lassen. Ich sollte mich einfach daran gewöhnen, dass er nicht weiß, was sich gehört.

Mit zwei weiteren Schritten betrete ich das Arbeitszimmer vollständig. Kurz beschleicht mich ein unangenehmes Gefühl, doch ich schiebe sie beiseite. An diesen Ort habe ich keine guten Erinnerungen, doch dieses Kapitel ist vorbei. Er hat sich entschuldigt. Ich sollte aufhören, Gespenster zu sehen. Sehr wahrscheinlich ist er heute gar nicht absichtlich unhöflich zu mir gewesen.

„Was gibt es denn?" fragt Baron von Mailinger direkt, aber nicht unfreundlich. Ich überwinde die Distanz bis zu seinem Schreibtisch und lege den Arbeitsvertrag vor ihm ab. „Ich dachte, ich sollte Ihnen das Dokument vielleicht persönlich zurückgeben. Und ich wollte noch einmal betonen, dass ich mich über die Anstellung sehr freue. Auch das Zimmer, in dem ich wohne, ist sehr schön."

Er nickt leicht abwesend. „Gut, das freut mich. Ich habe das ganz Ernst überlassen, dann scheint er seine Sache gut gemacht zu haben." Ich muss mir einen Kommentar verkneifen. Wie unhöflich kann man eigentlich sein? Es ist sein gutes Recht, meine Unterbringung an einen Bediensteten zu delegieren, doch es ist inakzeptabel, mir das offen zu sagen und somit seine Gleichgültigkeit zum Ausdruck zu bringen.

Ich seufze. Warum ärgert mich sein Verhalten überhaupt? Eigentlich könnte es mir doch egal sein, dass er schlechte Manieren hat. Ich könnte mich damit zufriedengeben, dass ich ihm in diesem Punkt überlegen bin. Zumindest wäre es so gewesen, wenn mir bei Hofe ein Mann wie er untergekommen wäre. Doch die Dinge haben sich verändert. Nach allem, was vorgefallen ist, nach der unrühmlichen Rolle, die ich gespielt habe und seit meinem Prozess, habe ich bei weitem nicht mehr das Selbstvertrauen, das ich einst besaß. Mir genügt es nicht mehr, davon überzeugt zu sein, dass ich anderen überlegen bin, denn das bin ich nicht. Dieses Gefühl, etwas Besseres zu sein, rührte aus einem falschen Stolz und nicht aus tatsächlich vorhandenen Qualitäten. Vielleicht habe ich mich in meinem Leben nach steifen Etiketten verhalten. Doch das hat mich eher zu einem schlechten Menschen gemacht, als zu einem guten.

Vermutlich wünsche ich mir deshalb, dass Baron von Mailinger auf mich eingeht, mir Fragen stellt und mich wertschätzt. Weil ich keine Achtung mehr vor mir selber habe und mich insgeheim frage, was ich überhaupt wert bin.

Ich verfluche mich selbst dafür, dass mir diese Gedanken jetzt kommen, wo ich angesichts meines Arbeitgebers eigentlich einen klaren Kopf bewahren sollte. Sein Arbeitszimmer ist wirklich nicht der richtige Ort, um sentimental zu werden.

„Ich freue mich, dass der Vertrag Ihre Zustimmung findet", reißt Baron von Mailinger mich aus meinen Gedanken, während er das Schriftstück achtlos in irgendeiner Schublade verschwinden lässt. „War das alles?"

Die GouvernanteOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz