Kapitel 30 - Orland

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Seraphinas Eau de Toilette wabert durch den Salon und verursacht mir Kopfschmerzen. Immerhin hat sie dieses Mal auf den obszönen roten Lippenstift verzichtet. In dem Sessel, der am weitesten von meiner Schwester entfernt ist, hat sich Annalies niedergelassen. Sie beäugt ihre Mutter vorsichtig.

„Also, Orland, ich muss dir schon lassen, dass Annalies nicht mehr dieses farblose Küken ist, das ich hiergelassen habe. Obwohl sie in diesen biederen Kleidern doch ein wenig verkleidet aussieht. Ich dachte, sie hätte bei mir ein klein wenig über Mode gelernt."

Ich werfe einen kurzen Blick auf den skandalös tiefen Ausschnitt meiner Schwester und bin ganz froh darüber, dass Annalies sie nicht als Vorbild betrachtet.

„Aber was erwarte ich auch? Schließlich ist ihre Gouvernante ja auch reichlich zugeknöpft. Tragen Sie immer solch hohe Kragen, Fräulein...?" Sie sucht nach dem Namen und Esther ergänzt mit einer gespielten Liebenswürdigkeit: „Griffel. Ja, ich trage immer hohe Kragen."

Seraphina rümpft die Nase. „Kein Wunder, dass Sie hier in diesem staubigen Haushalt Angestellte spielen, statt vernünftig verheiratet zu sein, meine Liebe. Sie stehen doch in der Blüte Ihrer Jahre. Vielleicht sollte ich Ihnen einen kleinen Tipp unter Frauen geben: Wenn Sie ein wenig mehr von Ihrem schlanken Hals zeigen würden, hätten Sie der Männerwelt im Nu den Kopf verdreht. Und Ihr Dekolleté kann sich sicherlich auch sehen lassen."

Ich merke, wie ich ein wenig rot werde. Es ist mir so peinlich, wie pöbelhaft meine Schwester vor Esther spricht. Und dabei läuft sie gerade erst zu Hochform auf.

Esther lässt sich in keiner Weise anmerken, was sie denkt. Sie lächelt nur schmallippig und erwidert: „Da haben Sie sicher Recht, Baroness, doch mein Augenmerk in diesem Haushalt gilt Ihrer Tochter und nicht der Männerwelt."

Seraphina neigt ihren Kopf und lächelt diabolisch. „Ach wirklich? Ist das so? Ich dachte, Sie würden das eine vielleicht mit dem anderen vereinen." Esther wird rot und blickt peinlich berührt zu Boden. Ich runzele die Stirn. „Was willst du damit sagen, Seraphina?", hake ich nach.

Meine Schwester zupft aufgesetzt an ihrem Kleid. „Du erwartest doch nicht von mir, dass ich es für einen Zufall halte, dass ausgerechnet eine so schöne junge Frau den Zugang zu deinem Heim bekommt. Tagsüber mag sie wohl für Annalies zuständig sein, doch wer sagt denn, dass sie sich nachts nicht ebenso um dich kümmert?"

Mir bleibt der Mund offenstehen und ich blicke schnell zu Annalies. Diese sieht mich mit großen Augen an und ich schüttele eilig den Kopf, um ihr diesen Gedanken auszutreiben.

Ich will etwas Geeignetes erwidern, doch Esther ist schneller und lenkt gekonnt ab.

„Ich habe gehört, dass Sie sich kürzlich erst verlobt haben. Meinen Glückwunsch dazu." Seraphina plustert sich vor Stolz auf. „Oh ja. Serlan und ich, wir haben einander sehr schnell verstanden. Wir passen wirklich sehr gut zusammen, im Körper wie im Geiste, wenn Sie wissen, was ich meine."

Ich atme tief durch. Ich glaube, jeder von uns weiß, was sie meint. „Serlan genießt meine schillernde Persönlichkeit. Er ernährt sich geradezu von meiner Aura. Und er ist sehr an dir interessiert, Annalies, obwohl ich ihm geschildert habe, wie farblos du im Vergleich zu mir bist. Auch wenn mir der Gedanke widerstrebt, damit unsere Zweisamkeit zu stören, habe ich ihm versprochen, dich ein paar Tage zu uns zu holen, damit er dich kennenlernen kann."

Annalies schaut wie ein verschrecktes Reh. Ich räuspere mich. „Nun ja, es ist nicht an dir, das zu entscheiden. Ich glaube, dass Annalies zum jetzigen Zeitpunkt hier unentbehrlich ist."

„Da fällt mir ein", wirft Esther dazwischen, „dass du noch eine wichtige Korrespondenz zu beantworten hast, Annalies. Soll ich dich nach oben begleiten?"

Die GouvernanteWhere stories live. Discover now