Hallo hihi
„So... Jetzt wo du wieder aussiehst wie Elaine — was steht als Nächstes auf dem Plan?"
Das Äffchen betrachtete sich zufrieden in der Spiegelung der Schaufenster und ignorierte mich. Seufzend drehte ich sie zu mir. „Du siehst aus wie immer, El."
„Nicht ganz", erwiderte sie und deutete auf ihren Pulli. „Ich trage nie V-Ausschnitte."
Ich zog eine Augenbraue hoch. „Warum hast du dann nicht den anderen Kragenpullover mitgenommen?"
Sie verdrehte die Augen. „Ich wollte ausnahmsweise mal auf dich hören."
„Wann habe ich bitte gesagt, dass du den nicht nehmen sollst?"
„Andersrum", sie grinste plötzlich. „Du hast bei dem hier länger gestarrt."
Damit warf sie mich dezent aus der Bahn. „Hast du die Sekunden gezählt, oder was?"
Elaine zuckte nur die Achseln. „Erklär mir mal aus der Sicht eines Typen, warum du den Pullover mit dem V-Ausschnitt schöner findest, ohne das Wort Brüste zu nutzen."
Ich grummelte leise vor mich hin und versuchte an einen anderen Grund zu denken. „Naja...", ich deutete auf ihr Dekolleté, woraufhin sie direkt knallrot anlief. „Schlüsselbein."
„Aha", sie legte sich die Hand auf ihr Schlüsselbein und nickte langsam. „Joa, habe schon davon gehört, dass das ein Schönheitsmerkmal sein soll. Hätte nicht gedacht, dass du auf sowas achtest. Dachte eher, du bist ein ganz primitiver Bursche, der sich den Po einer Frau als Lieblingseigen—"
„Primitiver Bursche?", unterbrach ich sie. „Was findest du denn bitte attraktiv an einem Typen?"
Kleine Erinnerung: Wir führten diese Konversation mitten in der Oxford Street. Es war kalt und extrem überfüllt.
Elaine trat näher und legte den Kopf schief. „Ich habe keinen bestimmten Geschmack. Mensch ist Mensch."
„Mensch ist Mensch? Würdest du Julie daten?"
Jetzt verdrehte sie die Augen. „Korrektur: Mann ist Mann. Abgesehen davon, würde ich Julie nichtmal daten, wenn ich lesbisch wäre. Ich liebe sie, aber... einfach nein."
Nichtmal ihre beste Freundin würde sie unter passenden Umständen daten. Aua. Jake war wahrlich ein tapferer Soldat.
Ich musste grinsen und nickte in die Richtung des nächsten Coffee Shops. „Wollen wir uns was Warmes zu trinken holen? Sonst erfriere ich gleich noch."
„Aw", machte El und verdrehte die Augen. „Wird ja immer romantischer hier."
„Halt einfach mal die Klappe und sei froh, dass ich überhaupt mit dir abhänge."
„Du bist hier eher derjenige, der dankbar sein sollte", erwiderte das Äffchen trotzig und drehte sich erhobenen Hauptes weg.
Ich zog sie seufzend mit mir, sodass es entweder so wirkte, als würde ich a) ein Kind entführen oder b) mit meiner Freundin kuschelnd durch die Straßen spazieren. Ausnahmsweise wäre Letzteres erwünscht.
„Okay, okay", murrte El, aber machte sich nicht los von mir. Ich sah, wie sie auf meine Hand auf ihrem Oberarm schielte und musste schmunzeln, als sie nervös schluckte. Sie relaxte ihre Schultern etwas und riss sich dann mit einem Male von mir los.
Überrascht sah ich unter den bunten Lichtern all der Läden wie sie rot anlief. Jemand rempelte sie an — was ohnehin nur eine Frage der Zeit war, so wie sie hier herumsprang — weswegen sie praktisch in meine Arme stolperte.
„Ganz ehrlich, Carter?", hob sie plötzlich an und drückte sich wieder weg, während ich planlos dastand. „Eigentlich wollte ich nur ein bisschen bummeln und dann mit dem Bus an einen ruhigeren Ort fahren und gemeinsam Gras rauchen."
Endlich rückte sie raus mit der Sprache. Ich war etwas verdutzt, ja, aber nicht wirklich überrascht. Vielleicht eher verwirrt, weil sie mir das nicht vorher sagen wollte.
„Okay...", ich zuckte mit den Schultern. „Dann lass uns zum nächsten Tesco."
Elaine wirkte verwundert, als ich das vorschlug. „Wieso?"
„Um Essen zu kaufen, natürlich. Zumindest bisschen was zum Naschen."
„Oh...", verblüfft nickte sie langsam. „Okay. Dann, ähm, bist du also einverstanden?"
„Klar", ich musste lächeln. Als sie sich traute hoch, in mein Gesicht zu blicken, setzte sie auch ein wackeliges Lächeln auf. Nervös rieb sie sich dann die Hände an die Jacke und nickte.
Ich deutete ein paar Meter weiter aufs leuchtende Tesco Schild. „Also?"
Ellie nickte erneut und lief vor. „Ich habe irgendwie erwartet, dass ich dich erst überreden müsste. Weil das letzte Mal, als wir high waren, ging das ja ganz schön in die Hose."
„Schon...", ich musste grinsen und schnappte mir einen Korb, sobald wir in den warmen Laden traten. „Dieses Mal wird's schon nicht so ausarten. Wir halten einfach einen Sicherheitsabstand von 5 Metern ein."
Elaine lachte. „Das hältst du eh nicht aus, wenn du siehst, wie ich diese Oreos esse." Passend dazu schnappte sie sich eine Packung aus dem Regal. Das fast schon grelle Licht betonte die Müdigkeit in ihren Augen und ich weiß nicht, was es war, aber als ich ins Grüne dieser starrte wurde ich irgendwie auch müde.
„Carter?", El strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und zog die Augenbrauen zusammen. „Magst du mich?"
Ich blinzelte verwirrt und sah kurz um mich, bevor ich zögerlich antwortete. „Ja...?"
„Sicher?", sie zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „Du wirkst nicht so überzeugend."
„Doch, sicher. Sehr sogar—", ich unterbrach mich, als ich augenblicklich spürte, wie warm mir vor Scham wurde. Reuevoll drückte ich die Lippen zusammen, doch El nickte nur lächelnd.
„Dann nehmen wir eine Flasche mit für die Kekse."
Wie bitte?
„Eine Flasche was?"
„Milch."
Oh.
Ich schluckte schwer und nickte wortlos. Auch als sie nach einer ekligen Pflanzenmilch Variante griff blieb ich stumm. Sie hatte nicht bemerkt, was gerade passiert war, sodass ich mich anstrengte, nicht rot zu werden. Ich glaube, das tat aber gerade genau das Gegenteil.
„Geht's dir gut?", fragte Elaine nun besorgt, als sie mir wieder ins Gesicht blickte, was meine Vermutung bestätigte. Ich schluckte schwer und nickte nur. Skeptisch drehte sie sich langsam wieder weg und ging rüber zu den Chips.
Den restlichen Einkauf bestimmte sie praktisch. Und ich hatte nichts einzuwenden. Es kamen noch eine Tüte Chips, Salzstangen, Brownies und verschiedene Nussmischungen dazu. Ich hatte also nicht viel zu kritisieren.
Als wir wieder draußen waren schaute Elaine mich erneut mit diesem unangenehmen Analyseblick an. „Also wenn du nicht willst, dann müssen wir nicht, Carter..."
„Doch", murmelte ich nur und unterdrückte ein Seufzen. „Fahren wir mit der Underground weiter?"
Elaine dachte kurz nach und legte dabei den Kopf in den Nacken. „Hmm... Würde es dir was ausmachen, wenn wir zu einem anderen Anwesen meiner Eltern fahren würden?"
Ich zuckte nur die Achseln. „Wo auch immer wir Ruhe haben. Was sagst du eigentlich deiner Mum?"
„Dass ich bei Julie übernachte", sie grinste und versuchte es nichtmal zu verbergen. „Ich könnte auch sagen, dass ich bei den Queens übernachte. Das wäre dann nichtmal eine Lüge."
„Doch? Ich werde uns nämlich ganz bestimmt nicht high wieder zurückfahren."
„Oh, stimmt. Dein Auto", sie hatte den Kern meiner Aussage komplett übergangen, aber das Thema war auch wichtig.
„Am besten nehmen wir die Underground zurück zum McDonalds und fahren von dort aus mit dem Auto zu dem Haus deines Papas, in dem er mit seinen Angestellten schläft."
Elaine verdrehte die Augen. „Ha-ha. Nettes Klischee. Das Anwesen ist zu cool für Flings. Es gehört eigentlich meinen Großeltern, aber seitdem meine Oma vor circa zwei Jahren gestorben ist, ist mein Opa nur noch in Südamerika unterwegs. Und das mit 70 Jahren."
„Und du hast Zugang zu seiner Bude, weil...?"
„Weil ich früher seine Fische gepflegt habe. Er liebt mich und wusste, dass es mich glücklich machen würde, also bin ich da ungelogen jeden Tag hingefahren. Ist echt nicht so weit weg, aber vom McDonald's aus bräuchten wir ein Navi, da ich den Weg nicht kenne. Ich bin im Sommer immer mit dem Fahrrad von Zuhause aus gefahren, bis die drei kleinen Schwimmer im September nacheinander gestorben sind."
Zugegeben: Die Geschichte war trauriger als die mit meinen zwei Vätern.
* * *
Seufzend kramte El in ihrem kleinen Rucksack herum und fischte nach Ewigkeiten endlich die Mini-Fernbedienung raus, nach der sie suchte. „Ich sehe nichts", meckerte sie dann und hämmerte praktisch auf das Ding ein.
Wenigstens ertönte ein Summen, das man sogar bei laufendem Motor hören konnte, und das Tor rollte automatisch auf. Ich musste schmunzeln und fuhr los, die Auffahrt entlang. Im Rückspiegel sah ich, wie das Tor wieder zurückrollte. Vor den Garagen ihres Opas hielt ich einfach an. Wären hier nicht gefühlt tausend Lichter mit Bewegungsmeldern dann wäre mir die Umgebung wohl unheimlich. Obwohl jeder Busch und jede Hecke gepflegt aussah — zumindest der Teil, den ich ausmachen konnte.
Elaine schaltete das Radio aus, das leise im Hintergrund lief, und sah mich gespannt an. „Und? Was denkst du?"
Ich hob skeptisch eine Augenbraue. „Wir sitzen immer noch im Auto."
Das Äffchen kicherte nur und stieg plötzlich hastig aus. Die Beifahrertür hinter sich zuknallend hopste es zur Eingangstür. Seufzend folgte ich ihr mit unseren Einkäufen.
El stand schon begeistert an der Tür und wartete ungeduldig auf mich. Bisher wirkte alles genauso wie bei ihr Zuhause; riesig und luxuriös— mit einer Ausnahme — es war viel ordentlicher.
„Komm mit", das Äffchen schlug die Tür zu und zog mich am Ärmel mit. „Mein Zimmer ist oben."
Ich zog eine Augenbraue hoch und spielte mit dem Gedanken, einfach stehenzubleiben. Dann würde sie wahrscheinlich vornüber stolpern und merken, dass ich ungefähr fünf Mal so stark war wie sie.
Aber das tat ich ihr nicht an und versuchte stattdessen Begeisterung aufzubringen. Sie ließ mich auf den Treppen los und drehte sich kurz grinsend um. Irgendwas verwirrte sie, weil ihr Kopf direkt wieder zurück in meine Richtung schoss. Mit skeptischem Blick starrte sie mich an: „Warum guckst du so?"
Ich runzelte irritiert die Stirn. „Wie bitte?"
Das Äffchen streckte die Hand aus und legte sie mir auf die Wange. Hätte sie mir nicht ihren Daumen in den Mundwinkel gedrückt wäre das fast schon romantisch gewesen. „War das soeben etwa ein Lächeln? Hinter meinem Rücken? Also ein aufrichtiges Lächeln?"
Unerklärlicherweise empörte mich das, sodass ich einen Schritt zurück machte und fast umkippte. „Hey!", sie klammerte sich an meine Jacke, in der Hoffnung so meinen Sturz verhindern zu können.
Ich lachte auf. „Im Gegensatz zu dir habe ich etwas, das sich Gleichgewicht nennt."
Augenverdrehend ließ sie mich los und stieg schnaubend weiter die Stufen hoch. Amüsiert folgte ich ihr und war echt versucht an Ihrem Minidutt zu ziehen, um sie zu provozieren, aber ich wollte ihr Knie nicht schon wieder an meinen Eiern spüren.
„Carter", hob das Äffchen plötzlich an und blieb stehen. „Ich war hier zuletzt vor einem Monat, nachdem ich mich mit Louis wegen irgendwas Dummem gestritten habe. Falls es da drinnen aussieht wie in einem Kriegsgebiet, dann... sorry."
Ich hob eine Augenbraue. „Dein eigenes Zimmer bei dir Zuhause sieht immer aus wie ein Schweinestall und da interessiert es dich auch nicht."
Jetzt musste sie lachen. „Stimmt. Keine Ahnung, warum ich mich plötzlich rechtfertige."
Mit einem kleinen Schmunzeln stieß sie die nächste, riesige Tür auf und Überraschung! Das Zimmer war picobello.
„Oh", El sah sich verwirrt um. „Malerie muss wohl hier gewesen sein."
„Wer ist Malerie?"
El seufzte. „Die Haushälterin meines Opas. Ich weiß, dass sie alle jede Woche einmal vorbeikommt, aber hatte keine Ahnung, dass sie mein Zimmer auch aufräumt."
Sie steuerte auf das riesige Bett inmitten des Zimmers zu und schien in Gedanken versunken, während ich mich flüchtig umsah. Schick, reichlich ausgestattet und mehr als ich mir in einem Jahr leisten konnte. Fällt mir nicht leicht das zuzugeben, aber irgendwo knackst das mein Selbstbewusstsein schon an. Nicht, weil ich etwa scharf drauf war, reich zu sein, aber... Naja, keine Ahnung.
„Es ist etwas übertrieben, ja", meinte El plötzlich, als hätte sie meine Gedanken gelesen und begann, sich aus ihrer Winterjacke zu schälen. „Glaub mir, ich lebe seit 3 Jahren mit dieser Familie und bin manchmal selbst überwältigt."
War es so offensichtlich, wie ich mich fühlte? Wie peinlich.
„Kann mir das gar nicht vorstellen, wie es ist, von heute auf morgen in einem Wasserbett, das mehr kostet als der Lohn meines Dads, aufzuwachen."
El lachte auf und warf ihre Klamotten zu Boden. Das fing ja schonmal gut an.
„Es war komisch, aber als jemand der gerade seinen Paps und kurz davor seine Mum in gewisser Weise verloren hat, lag mein Fokus nicht unbedingt auf solchen Dingen. Ich verstehe aber, was du meinst."
Sie schenkte mir ein fast schon schüchternes Lächeln und schob sich eine kurze Strähne hinters Ohr. Ihre Nasenspitze leuchtete mich praktisch in dieser relativen Dunkelheit an, da nur ein schwaches Licht durch die Bewegungsmeldern eingeschaltet wurde. Irgendwie sah das lustig aus. Irgendwie aber auch genauso niedlich wie ihr Lächeln.
„Wollen wir?", fragte sie nach einem kurzen Moment Stille. Ich legte den Kopf schief und bemerkte dann erst die Tüte Gras in ihrer Hand.
Na, das konnte ein Spaß werden. Nur gut, dass hier nirgendwo Glitzer in der Nähe war.