Borderline

By schlummern

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„Wenn deine arme Seele diese Zeilen gerade liest und es vor Neugier auch nicht sofort wieder sein lassen kann... More

WICHTIG
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Prolog
1. Vegane Äpfel
Eins
2. Rassistische Studentenfreude
Zwei
3. Niedliche Bastarde
Drei
4. Inzest-Befürworterinnen
Vier
5. Betrunkene Götter
Fünf
6. Übergroße Sweater
Sechs
7. Überflüssige Scheinfreundin
Sieben
8. Dramatische Umarmungen
Acht
9. Lustige Outfits
Neun
10. Reiherndes Muttersöhnchen
Zehn
11. Problematische Gesichter
Elf
12. Pubertierender Bengel
Zwölf
13. Heterosexuelles Kuscheln
Dreizehn
14. Perverses Flair
Vierzehn
15. Der Test
Fünfzehn
16. Einsame Schwestern
Sechszehn
17. Einfallslose Katzen
Siebzehn
18. Listige Müdigkeit
Achtzehn
19. Wütende Russen
Neunzehn
20. Staubiges Leder
Zwanzig
21. Eiserne Blicke
Einundzwanzig
22. Orangene Gurken
Zweiundzwanzig
23. Begeisterte Tratschtanten
Dreiundzwanzig
24. Ganztägiges Essen
Vierundzwanzig
25. Unvergessliche Gefühle
Fünfundzwanzig
26. Ungewöhnliche Vorlieben
Sechsundzwanzig
27. Gebügelte Socken
Siebenundzwanzig
28. Spontane Ideen
Achtundzwanzig
Neunundzwanzig
30. Besoffene Prinzessinnen
Dreißig
31. Missbrauchte Feen
Einunddreißig
32. Minderjährige Veganerinnen
Zweiunddreißig
33. Höschenfreie Pos
Dreiunddreißig
34. Gewichtige Gürtel
Vierunddreißig
35. Sahnige Gespräche
Fünfunddreißig
36. Nötiges Alkverbot
Sechsunddreißig
37. Blöde Unterhosen
Siebenunddreißig
38. Glühende Wangen
Achtunddreißig
39. Intensiver Körperkontakt
Neununddreißig
40. Krankenhausreife Befriedigung
Vierzig
41. Erwachsene Julie
Einundvierzig
42. Romantische Hassgefühle
Zweiundvierzig
43. Perfekte Momente
Dreiundvierzig
44. Verschossene Ellie
Vierundvierzig
45. Hässliche Weihnachtsgeschenke
Fünfundvierzig
46. Überdramatisches Äffchen
Sechsundvierzig
47. Weinender Amor
48. Unangenehme Anspannung
49. Instant Karma
50. Knallige Eismaschine
51. Oxford Street
52. Durchgedrückte Wirbelsäule
53. Knallende Türen
54. Leergefegte Köpfe
55. Widerhallende Worte
56. Perfekte Parallelwelt
57. Kleines Geheimnis
Danke

29. Unordentliche Verhütung

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By schlummern

Ich kann in diesem Kapitel sehr viel falsch gemacht haben. Größtenteils ist diese Story nach Gefühl verfasst worden. Bin nicht so die Planerin... die sich an ihre Pläne hält. Und eigentlich wollte ich auch nicht zu viele Plot Twists auf einmal einbauen, aber mein 2018 wird nicht beginnen, bevor dieses verdammte Buch endlich beendet ist. Cheers

Schwerschluckend betätigte ich die Klingel und nahm tief Luft. Davon hatte ich immer noch nicht genug, obwohl ich den Weg zu Els Haus in der eisigen Kälte gelaufen bin, da die Novemberluft sonst immer geholfen hatte.

Aber bei diesem Problem brauchte es wohl mehr als einen zehnminütigen Spaziergang.

Und eigentlich wollte ich auch gar nicht zu El, aber draußen rumsitzen und nichts tun hätte mir auch nichts gebracht. Meine Kippen lagen nichtsnutzig zu Hause rum und zu Lucien wollte ich gerade auch nicht. Ich wollte weder über die Hiobsbotschaft meiner Mum nachdenken noch darüber sprechen. Aber dennoch rauchte mir gerade die Birne und meine Muskeln taten mir im ganzen Körper weh, weil ich mich so anspannte.

„Hallo, Carter", begrüßte Els Mum mich munter, als sie endlich die Tür öffnete. Ich zwang mir ein Lächeln auf und grüßte sie zurück. „Elaine ist oben."

Sie trat mit einem Schmunzeln zurück und ließ mich rein. Auch darüber, wie wir letztens über Nacht gekuschelt haben, als wäre es das Normalste, wollte ich nicht nachdenken. Stattdessen nickte ich nur und zog mir eben die Schuhe aus, bevor ich ohne ein weiteres Wort die Treppen hochging.

Elaines Tür stand offen, doch als ich an die Schwelle trat, entdeckte ich Louis. Wie er da auf ihrem Bett saß und sich die Hände aufs Gesicht drückte. Seine Schultern bebten und gerade, als ich dachte, dass er weinen würde, sagte er mit ruhiger aber reuevoller Stimme: „Ich bin so dumm... Es tut mir so Leid, El."

Mit gerunzelter Stirn hielt ich inne und war zu perplex, um irgendwie zu reagieren. Wirklich lauschen tat ich also nicht, als Louis fortfuhr: „Ich wollte dich nicht küssen. Keine Ahnung wie das passieren konnte... Du weißt, dass ich nicht mehr so empfinde."

Ich weitete die Augen und trat reflexartig einen Schritt zurück, da hörte ich Elaine seufzen. „Ist schon okay, Louis. Natürlich weiß ich das. Auch, wenn du dich manchmal wie ein eifersüchtiger Ex benimmst", sie kicherte, doch er schien nicht in Stimmung zu sein. Ich blinzelte sprachlos und wollte mich schon wieder umdrehen, um mich schnell zu verziehen, da entdeckte ich Mummy Scott am Treppenende und wich wie ein Gefangener zurück.

„Ich liebe dich immer noch, aber nicht mehr auf diese Art... Jetzt bist du sowas wie meine kleine Schwester", meinte Louis dann plötzlich. Ich drehte mich ungläubig um und sah wie El seine Arme wegschob und ihre Eigenen um ihn schloss.

„Es war der Mist, den du gekifft hast...", murmelte sie dann, doch Louis schüttelte den Kopf.

„Ich wollte sehen, ob ich mir nur etwas einrede. Ob ich wirklich über dich hinweg bin..."

Mir wurde speiübel, als ich ihn diese Worte sagen hörte, doch einen Ausweg gab es nicht. Überfordert mit allem setzte ich mich auf die erste Stufe und lehnte meinen Kopf ans Geländer. Nach 18 Jahren erfuhr ich, dass mein Dad nicht wirklich mein Dad war und gleich darauf wurde ich Zeuge von verbotener Inzest-Liebe. Oder was auch immer das hier darstellen sollte.

Mit einem fast schon resignierten Blick sah ich durch den Türspalt, doch als Elaine plötzlich Louis Kopf anhob und ihn küsste, konnte ich nicht mehr. Konnten die beiden nicht wenigstens die Tür schließen, bevor sie so einen Mist abzogen?

Unsicher, was ich fühlen sollte, stand ich auf und lief die Treppen runter. Eigentlich ging es mich nichts an, wie alles was sich unter diesem Dach abspielte, aber es war mir trotzdem zu widerlich. Ich könnte jetzt nicht in ihr Zimmer laufen und ihre Hausaufgaben machen, als sei nichts.

Das könnte ich auch nicht, wenn ich das alles jetzt nicht mitbekommen hätte. Vielleicht sollte ich zur Abwechslung mal auf mein Inneres hören.

Mehr als verwirrt eilte ich zur Tür und zog mir hastig meine Schuhe an. Niemand sah mich, also flüchtete ich schnell nach draußen und hielt im Vorgarten kurz inne. Das Chaos in meinem Kopf war ungewohnt und deswegen unbeschreiblich. Mit rasendem Herzen zwang ich mich, weiterzulaufen und hasste mich dafür, nichts zum Rauchen dabeizuhaben. Aber zu Amor oder Lu wollte ich jetzt nicht, nach Hause auch nicht und mein Auto würde mich ebenfalls an keinen Ort bringen, an dem ich mich wohlfühlen würde.

Verdammte Scheiße. El und ihr Cousin. Manon und Frauen. Meine Mum und Iván. Wenn mir noch jemand einreden wollte, dass ich mich falsch entschied, was Beziehungen anging, dann würde ich laut brüllen. Warum gab Manon sich mit mir ab, wenn sie nichtmal auf Männer stand? Und auch wenn sie bisexuell, unglücklich verliebt und mit Riana war, stellte ich mir dieselbe Frage.

Schien halt nicht jeder viel von Regeln oder Monogamie zu halten. Da musste man nur eben zu dem Scotts schielen. Oder zu meiner Mum und Iván.

Frustriert blieb ich stehen und kramte mein Handy heraus. Mein Gehirn hatte diese spezielle Gabe, in Stresssituationen an die Vergangenheit zu denken. Daran, wie stressfrei diese eigentlich gewesen ist. 

Und auch wenn Jenny nicht in diese Vorstellung passte, öffnete ich im nächsten Moment schon ihren Kontakt. Eigentlich eher versehentlich, da die gesunde Hälfte meines Gehirns sich lieber an Lucien wenden wollte, doch der Teufel hatte offensichtlich andere Pläne. Gerade, als ich auf den kleinen Hörer tippen wollte, hörte ich meinen Namen.

Überrascht blickte ich auf und sah zu Elaine, welche fast schon panisch nach mir rief. „Carter! Warte eben!", sie klang besorgt und trug definitiv zu wenig für dieses Wetter. Bibbernd blieb sie vor mir stehen und zog die Augenbrauen zusammen. „Bitte sag mir nicht, dass du das gesehen hast..."

Ich lachte reflexartig auf und trat näher. „Was denn, Elaine?"

Keine Ahnung, woher die Wut plötzlich kam, doch sie bemerkte es auf jeden Fall. „Bitte, komm mit rein", brachte sie zähneklappernd hervor. Ich sah die Gänsehaut auf ihren nackten Armen und als ich sie so in Top und Shorts sah, kamen mir ganz andere Gedanken mit Louis im Zusammenhang. Extremere.

„Geh nach Hause. Hat mich nichts anzugehen, was ihr da so treibt", meinte ich nur und drehte mich um.

„Carter!", brummte sie, als ich in die entgegengesetzte Richtung zu laufen begann. „Bitte, du darfst nicht so über mich denken!"

Im nächsten Moment klammerte sie sich plötzlich an mich und folgte mir. „Meine Mum ist hochgekommen, um zu fragen, ob du einen Tee magst, da habe ich bemerkt, was los ist. Ich weiß nicht, was genau du gehört oder gesehen hast, aber Louis und ich sind kein Paar, oder so. Sind wir noch nie gewesen. Aber selbst wenn, wäre das eigentlich nicht so schlimm, weil–"

„Weil ihr nur Cousins seid?", fragte ich ungläubig, da ich befürchtete, diese Ausrede serviert zu bekommen.

Elaine verzog das Gesicht. „Nein, natürlich nicht. Wäh. Wir sind nicht blutsverwandt. Und wir sind auch nicht so aufgewachsen, als wären wir eine Familie."

Ich hielt verwirrt inne und starrte sie perplex an. Ein Teil in mir glaubte ihr nicht, doch warum sollte sie deswegen lügen? So gesehen könnte ich die Wahrheit schnell von jemand anderem erfahren.

„Was heißt das jetzt?", fragte ich langsam und spannte den Kiefer an, als ich bemerkte, dass die Röte ihrer Lippen verschwunden war und sich in ihre Wangen und Nasenspitze geschlichen hatte.

„Du glaubst mir, oder?", fragte sie nur und wirkte ziemlich erleichtert, als ich zögerlich nickte. „O Gott, okay, das ist das Wichtigste. Kommst du jetzt bitte mit rein?"

* * *

Elaine tapste mit zwei Tassen Tee in ihr Zimmer und trat die Tür hinter sich zu. Ich saß auf ihrer Couch und beobachtete sie dabei, wie sie die Tassen auf dem Tisch vor mir ablegte, bevor sie sich mit einem zurückhaltenden Lächeln an meine Seite setzte. Schnell zog sie eine Baumwolldecke über ihre Beine und räusperte sich leicht, bevor sie mir in die Augen blickte.

„Bitte, ekle dich nicht vor mir."

Das war ihr erster Satz. Danach folgte eine Pause, in der ich erstmal realisieren musste, wie unnötig ich eigentlich war.

„Ich habe nicht das Recht, mich vor dir zu ekeln."

Auch wenn sie meine ganzen Gedanken nicht gehört hatte, tat mir mein Ausrasten leid. Ich konnte zwar nichts dagegen tun, dass mich die Vorstellung von den beiden als Paar unglaublich störte, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass es mich nicht ansatzweise was anging.

Elaine legte den Kopf schief und musterte mich schweigend, bis sie tief Luft nahm. „Ich habe keine Ahnung, wo ich anfangen soll...", sie runzelte die Stirn und senkte den Blick. „Ich halte mich so kurz, wie möglich, okay?"

„El...", hob ich an und fühlte mich plötzlich nicht mehr so wohl, wie in dem Moment, als ich ihr wieder zurückgefolgt war. „Du schuldest mir keine Erklärung. Ist schon okay."

„Doch", widersprach sie sofort. „Vielleicht bin ich sie dir nicht schuldig, aber wenn du gehst, ohne den Rest der Story zu hören, wirst du... Ich weiß nicht... Jedenfalls werde ich nicht ruhig schlafen können."

Ich musterte sie kurz und nickte langsam. „Okay."

El räusperte sich erneut und griff nach einem Kissen, das herumlag, um eine Beschäftigung für ihre Hände zu finden, die sie vor Nervosität nicht stillhalten konnte. „Also... Fangen wir mal damit an, dass ich eigentlich ein Einzelkind bin...", sie nahm tief Luft und sprach sich innerlich kurz Mut zu, während mich diese Info schon unglaublich verwirrte. „Als ich 9 war, haben meine Eltern sich getrennt. Mein Dad und ich sind in der Wohnung geblieben, meine Mum jedoch hat sich verzogen... Es könnte sein, dass ich weitere Geschwister habe, aber sie lässt uns nicht mehr in ihr Leben. Seit sieben Jahren. Mein Kindheitsfreund bis zum heutigen Tage ist auch gleichzeitig mein Nachbar gewesen. Seine Eltern starben bei einem Autounfall, als er 13 war, weswegen er zu seiner Tante nach London gezogen ist. Louis und ich haben den Kontakt nie abgebrochen."

Sie sah mir zögerlich in die Augen, während ich versuchte, die ganze Geschichte zu verarbeiten. Doch das war natürlich nicht alles.

„Mein Dad war schwer depressiv und schon immer verantwortungslos. Circa ein Jahr später, hat er Freunde eingeladen und mit denen geraucht und getrunken, während ich mich im Nebenzimmer eingeschlossen all den ekligen Witzen, die sie gerissen haben, gelauscht habe. In der Nacht ist ein Feuer ausgebrochen, das alles verändert hat. Mein Vater hat das Sorgerecht verloren, meine Mum es schon lange freiwillig aufgegeben und da stand ich dann. Aber Louis hat sich für mich eingesetzt und dafür gesorgt, dass seine Tante mich adoptiert. Ich wüsste nicht, wo ich heute wäre und was ich machen würde, wenn er mich nicht zu dem Zeitpunkt wortwörtlich gerettet hätte."

Ihr kullerte plötzlich eine Träne über die Wange und dann brach ihre Stimme. Ohne wirklich zu überlegen, rückte ich näher und legte einen Arm um ihre gebückten Schultern. Sie begann zu schluchzen und vergrub ihr Gesicht hastig in meinem Hoodie.

„Ich wollte kein Geheimnis draus machen, aber es fällt mir auch nach drei Jahren nicht leicht, darüber zu reden", nuschelte sie gegen den Stoff und krallte sich an mir fest. Ich starrte ihren Haarschopf nur sprachlos an und schluckte schwer, als mir plötzlich ein Gedanke kam.

Zögerlich setzte ich die Frage an. „El... Ist Ray dein Vater?"

Sie stockte kurz und nickte dann langsam. „Verstehst du jetzt, weshalb niemand davon erfahren darf? Wenn meine Eltern, also Adoptiveltern, wüssten, dass er sich mit mir trifft, würden sie bestimmt die Polizei einschalten. Er hat zwar kein Annäherungsverbot oder so, aber sie würden ihm auch nie glauben, dass er sich um sich gekümmert hat und immer noch bessert."

Sie löste sich wieder von mir und griff zur Taschentuchschachtel auf dem Tisch. Peinlich berührt wischte sie sich die Tränen weg, bevor sie mich ansah. „Und es tut mir Leid, dass ich dich jetzt schon zum zweiten Mal in meinen Tränen ertrinken lasse. Irgendwie sind deine Arme so einladend, da kann ich gar nicht anders."

Sie griff mit geröteten Wangen nach den Teetassen und reichte mir meine. Ich nahm sie langsam entgegen, da mein Gehirn zurzeit etwas überbelastet war. „Ist nicht schlimm."

Tief Luft nehmend räusperte ich mich. „Louis... ist also schon in dich verliebt gewesen, bevor ihr auf Papier zu Cousins wurdet?"

Elaine nickte sanft und legte leicht den Kopf schief. „Es wäre echt merkwürdig, jedem, den wir neu kennenlernen, die ganzen Geschehnisse erklären zu müssen, wenn wir wirklich zusammen wären. Aber mit der Trennung meiner Eltern damals hatte ich keine Zeit für Liebe oder dergleichen. Es war bei ihm ja auch eine Art Kindheitsliebe, aber ich bekomme immer Schuldgefühle, wenn ich daran denke, dass er bis vor Kurzem noch so für mich empfunden hat. Kannst du dir das vorstellen? Elaine? Lieben? Da wird mir ja ganz übel."

Ich lachte halbherzig und traute mich nicht, dagegen zu argumentieren. Keine Ahnung, warum. Eigentlich war sie ganz okay. Nicht mehr so kindisch und nervig wie vor ein paar Wochen.

„Sei nicht so streng zu dir selbst", meinte ich dann doch, bekam aber keine Antwort. Elaine lächelte nur sanft und legte den Kopf in den Nacken.

„Hach, Carter", seufzte sie dann. „Und damit du das von vorhin auch ganz verstehst; Louis war gestern komplett high und hat mich geküsst, obwohl er bereits vor einem Jahr meinte, dass seine Gefühle sich verändert haben. Deswegen die Unterhaltung."

„Du hast ihn geküsst...", meinte ich und versuchte, nicht allzu anklagend zu klingen.

El blickte mich zögerlich an. „Ja. Als kleinen Test. Wir machen das nicht ständig, also denk nicht, dass wir Familie auf Papier mit gewissen Vorzügen sind."

Ich verzog das Gesicht und wiederholte die ganze Story nochmal in meinem Kopf, als Stille einkehrte. Schweigend schlürften wir an unserem Tee, der brühend heiß war, doch keiner sagte ein Wort, bis ich mindestens die Hälfte meiner Tasse leergetrunken hatte.

„Ich habe heute erfahren, dass Iván mein biologischer Vater ist", haute ich dann raus und unterbrach die Stille auf eine sehr spezielle Weise. Dabei ist sie weder merkwürdig noch unangenehm gewesen. Ich weiß nicht, weshalb ich so ein dämlicher Idiot war.

„Iván ist was?", fragte Elaine überrascht und legte mit geweiteten Augen ihre leere Tasse auf dem Tisch ab. „Der kubanische Russe? Oh, mein Gott, Carter! Dein Vater?"

„Ja", nickend presste ich die Lippen aufeinander.

Sie rückte näher und betrachtete mich mit gerunzelter Stirn. „Du kannst Emotionen zeigen, das weißt du, oder?"

Schwerschluckend wandte ich den Blick ab. „Ich habe keine Ahnung, was ich fühle oder fühlen soll."

Nachdenklich lehnte sie sich zurück und seufzte. „Bist du wütend?"

„Ein bisschen. Auf meine Mum."

„Weil sie es dir erst jetzt gesagt hat?"

Ich schüttelte den Kopf. „Weil sie es mir nie gesagt hätte, wenn Iván sich nicht in unser Leben gedrängt hätte."

„Oh", El hob überrascht die Augenbrauen. „Wie gut kennst du ihn eigentlich? Ich weiß, du meintest kaum, aber jetzt hast du bestimmt mehr über ihn nachgedacht und... du weißt schon."

„Ja... je länger ich darüber nachdenke, desto logischer erscheint mir die ganze Sache. Und desto mehr Dinge über ihn fallen mir wieder ein. Im ersten Moment dachte ich, dass meine Mum mich verarschen will. Aber jetzt..."

Elaine rückte näher und lächelte tröstend. „Wenn du willst, kannst du mir erzählen, was dir so im Kopf herumschwebt und ich gebe meine unnötige Meinung dazu ab."

Ich musterte sie kurz und zuckte anschließend die Achseln. Warum auch nicht? Man konnte ihr vertrauen.

„Mum und ich hatten ihn schon getroffen, bevor sie und mein Dad sich getrennt haben. Ich kann mich nicht mehr so gut an das Gespräch erinnern, aber ich weiß noch, dass sie ihn als einen alten Freund mit dem sie studiert hat, vorgestellt hatte", ich hielt kurz inne und dachte nach, bevor ich fortfuhr. „Ich denke, ein Vierteljahr später haben sie sich getrennt. Vielleicht wusste mein Dad es auch nicht und hat es damals neu erfahren? Möglicherweise wusste selbst Iván nicht davon. Aber wenn ich in den Spiegel gucke, sehe ich mehr Gemeinsamkeiten mit ihm als mit meinem Dad. Eigentlich dachte ich eher, dass ich nach meiner Mum komme, aber doch nicht zu hundert Prozent? Iván und meine Mum haben beide dunkle Haare, dunkle Augen und er hat sogar Locken."

El ließ ihren Blick nachdenklich durch ihr Zimmer gleiten und hielt bei mir inne. „Du hast Recht", meinte sie dann. „Ich weiß zwar nicht, wie er aussieht, aber so wie du's beschreibst scheint ihr biologisch besser zusammenzupassen... Aber niemals auf anderer Ebene."

„Ja", murmelte ich und seufzte. „Ich kenne den Unterschied zwischen einem Erzeuger und einem Vater."

Nickend lächelte sie. „Dein Dad muss dich echt lieben. Falls deine Eltern sich wirklich getrennt haben, weil dein Dad erfahren hat, dass deine Mum ihn jahrelang derart belogen hatte... dann ist es echt bemerkenswert, wie er mit dir weggezogen ist. Ein riesiger Beweis dafür, dass er dich liebt, ganz egal was ist..."

Ich schluckte schwer und musste nicken. Unser Verhältnis in den drei Jahren ist zwar alles andere als super gewesen, aber das war auch größtenteils meine Schuld. Ich habe ihn für das, was er meiner Mum angetan hatte, gehasst. Doch wenn ich jetzt so darüber nachdachte, war nicht Mum die Starke, die ihm nach der Affäre vergeben hatte. Und sie war auch nicht die, die unser Mitleid verdient hatte. Zumindest nicht, wenn Julie und ich auf der anderen Seite unglaublich sauer auf Dad gewesen sind.

„Mein Vater hat mit seiner Beziehung zu Rebecca praktisch die Schuld für ihre Scheidung auf sich genommen...", murmelte ich dann und bereute mit einem Male all die Beleidigungen und Anschuldigungen, die ich ihm damals an den Kopf geworfen hatte. Ohne Ausnahme, jedes Wort.

„Und er wollte nicht, dass du die Wahrheit erfährst?", fragte El verwundert. „Weil er es dir fast vier Jahre verschwiegen hat, meine ich."

„Vermutlich."

Sie nahm tief Luft und rückte plötzlich näher. „Weißt du, Carter, ich liebe meine Eltern. Alle drei", lachend nahm sie mir die Tasse aus der Hand und setzte sie auf dem Tisch ab. „Kiara ist die wundervollste Mum auf der Welt. Und Collin kommt auch ziemlich gut mit dem Fakt klar, im Alter von 32 Jahren plötzlich eine 13-jährige Tochter bekommen zu haben. Sie sind meine Mum und mein Dad; so wie ich sie noch nie gehabt habe. Aber trotzdem stehe ich im Kontakt mit Ray und sehe ihn als meinen Vater. Das ist nicht schlimm. Also, wenn du Iván kennenlernen möchtest, dann werden sie das schon verstehen."

„So wie sie es bei dir verstehen?", fragte ich skeptisch, weshalb sie die Augen verdrehte.

„Ray hat sich mit Freunden trotz Anwesenheit seiner minderjährigen Tochter besoffen und in derselben Nacht die Bude mit Zigarettenstummeln heruntergebrannt. Damit hat er noch viel mehr Menschenleben in Gefahr gebracht, als das von mir und seiner blöden Gang. Dein biologischer Vater wollte nur eben ein bisschen Sex und ist schuldig darin, nicht ordentlich verhütet zu haben. Da ist ein großer Unterschied."

Sie hatte natürlich Recht, doch jetzt zog etwas anderes meine Aufmerksamkeit auf sich. Irritiert musterte ich sie, ehe ich leicht auflachte, da sie stutzig die Augenbrauen zusammenzog.

„Warum nennst du ihn eigentlich beim Vornamen?"

Elaine weitete überrascht die Augen und wandte den Blick ab. „Ray? Oh... Naja, ich habe ihn knapp zwei Jahre lang fast genauso sehr gehasst wie meine leibliche Mum, also hatte ich gar kein Problem damit meine Adoptiveltern Mum und Dad zu nennen. Dadurch wurde es aber ziemlich verwirrend, wenn ich von allen Vieren erzählte, also habe ich angefangen, ihre Vornamen zu benutzen. Sie haben es eher verdient, als Kiara und Collin."

Ich nickte verständnisvoll und seufzte leise. El tat es mir gleich und lehnte sich zurück. Schweigend saßen wir da und ließen unsere Gedanken davonziehen, bis mir plötzlich ein ziemlich unpassender Einfall kam, den ich lieber für mich behalten hätte: „Vielleicht solltest du mir die Chemieaufgaben lieber doch mitgeben, bevor ihr wegfliegt."

Sie starrte mich verwundert an, ehe sich ein fettes Grinsen auf ihr Gesicht schlich.

„Was?", fragte ich skeptisch. „Warum guckst du mich so an?"

Kichernd rückte sie etwas zurück, bevor sie lachend den Kopf in den Nacken warf.

„Elaine! Sag bloß, du hast gar nichts auf?"

Sie schnappte nach Luft und presste die Lippen aufeinander, bevor sie den Kopf leicht schüttelte. „Ich fliege gar nicht mit. Nur meine Mum und Renee werden heute Abend losfahren und morgen wieder nach Hause kommen. Aber die Hausaufgaben existieren trotzdem."

Ich verengte die Augen, als sie plötzlich erneut grinste. „Du bist so blöd, Kitty. Wir haben morgen gar keine Schule. Die Herbstferien dauern sieben Tage, nicht sechs. Idiot."

„Warum zur Hölle bestellst du mich dann hierher, wenn ich gerade erfahren habe, dass ich nie meine Runden in den Eiern meines Dads gedreht habe?"

„O Gott, Carter!", Elaine prustete los und trat plötzlich nach mir. Ich hielt ihr Fußgelenk fest und griff auch zum anderen, damit sie sich wieder einkriegte.

„Also, erstens wusste ich nichts von der tragischen Wende deines Lebens und zweitens kannst du nicht leugnen, dass es dir gut getan hat, mit mir über das Ganze zu reden!"

Ich verdrehte die Augen und ließ sie los. Mit einem selbstgefälligen Lächeln zog sie ihre Beine zurück.

„Das beantwortet meine Frage aber nicht."

Elaine zog die Augenbrauen hoch. „Warum ich dich dringend gerufen habe? Hm... Eigentlich wollte ich mit dir über etwas anderes reden, aber das war mir genug Drama für einen Tag", sie zwinkerte plötzlich und kniete sich neben mich. „Stattdessen habe ich eine viel wichtigere Frage."

„Und diese lautet?"

Schmunzelnd betrachtete sie mich. „Willst du was rauchen?"

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