Auf das, was war

By ClaryTecker

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,,Bist du hier, um zu springen?" ,,Nein, ich will mir bloß den Sonnenuntergang ansehen. So ganz alleine ist e... More

Vorwort
Bungee-Jumping ohne Seil
Ginger
Die Sache mit der Raucherlunge
Das Sarkasmus-Problem
Ein Typ vom Mars
Ausgebrannt
Am Ende der Welt
Alles, was wir tun
Hör zu
Home sweet home
Verdammt perfekte Welt
Allison
Dream a little Dream
Das Frage-und-Antwort-Spiel
Nicht so wie es aussieht
Unter vier Augen
Festgehaltene Erinnerungen
Die Schweige-Verpflichtung
Was wäre, wenn...
Sag einfach nein
Der Freundschafts-Kodex
Zwischen Kakao und Toastbrot
Keiner ist so kaputt wie ich
Anti
Schere, Stein, Papier
Dinner for two
Tritte unter dem Tisch
Vereinbarungen der anderen Art
Der Nirvana-Komplex
Rauchen kann tödlich sein
Operation "Dylan"
Langzeitstrategie
Der Suizid, der ins Wasser fiel
Gegen die Zeit
Versprochen ist versprochen
Seelensplitter
Der sicherste Ort des Sonnensystems
Die inoffizielle Untermieterin
Kurze Zeit später
22 Sekunden
Wo die Typen Röcke tragen
Böser alter Jeep
Plan B
Freitag der 13.
Der grauenhafte Poet
Geständnisse
Wendepunkte
Der Geschichtenerzähler
Am Ende sind wir alle alleine
Ein Kaputzensweatshirt für alle Fälle
Auf das, was war
Fünf vor Zwölf
Kalte Füße
Ungenannte Schulden
Ende
Stille
Getrennte Wege
Wie alles begann
Danksagung

Beziehungsunfähig

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By ClaryTecker

Grace:

Meine Schritte verhallen im Flur zwischen den einzelnen Umkleideräumen. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, als ich das letzte Mal in einer Sporthalle gewesen bin.

Zuletzt, als Cora noch gelebt und davon geträumt hat, eines Tages eine Ballerina zu werden. Ihr Wunsch wird nie mehr in Erfüllung gehen.

Dylans Worte hallen in meinem Kopf wieder. Dylan, der mich retten will, sich selbst jedoch nicht einmal helfen lassen möchte. Wie kann man nur so verdammt stur sein?

Vielleicht ist seine Familie nicht das, was er sich immer gewünscht hat, aber dann soll er sich auch nicht beschweren, dass ich Operation "Dylan" ein wenig vorangetrieben habe.

Dylan spricht praktisch nie mit seinem Vater. Jedenfalls nicht richtig, nicht über die Dinge die wirklich wichtig sind.

Vielleicht hat er Recht, dass ich davon keine Ahnung habe, weil Steph Alkoholikerin war, aber das heißt nicht, dass ich es nicht versucht habe. Ich habe es oft versucht. - Und für gewöhnlich fielen danach Worte wie Lass mich in Ruhe oder eine Art unheimliches Schweigen hatte den Raum erfüllt, was der Bedeutung von Verzieh dich relativ nahe gekommen ist.

Ich seufze, verdränge den Gedanken daran und stoße die erstbeste Tür auf, die mir in den Weg kommt, nur um mich kurze Zeit später auf den Hallenboden zu hocken.

Der Raum ist vergleichsweise klein und ein Großteil der Wand wird von Spiegeln und einer waagerechten Stange verdeckt. Fast erschrecke ich mich über mein eigenes Spiegelbild, nur um daraufhin über meine eigene Dummheit zu lachen.

Eine Balletthalle. Ich bin alleine in einer Balletthalle, während irgendwo am anderen Ende des Gebäudes eine männliche Krankenschwester seinem kleinen Bruder beim Fußball spielen zusieht.

Insgeheim hoffe ich, dass er schmollt. - Oder endlich einsieht, dass er manchmal ein absoluter Idiot ist. Der Idiot, der er noch war, als ich ihm das erste Mal begegnet bin. Ein Mensch wie jeder andere, zu unbekannt, um mir auch nur ansatzweise wichtig zu sein.

Ich starre mein Spiegelbild an, wobei eigentlich alles aussieht wie immer. Ein Mädchen in abgewetzten und schlabbrigen Klamotten, dem die langen, roten Haare auf die Schultern fallen. Grünbraune Augen, die mich nahezu misstrauisch anstarren und die Grübchen, die nur dann zum Vorschein kommen, wenn ich wirklich lache. - Also nicht sonderlich häufig.

Vielleicht hat Dylan sie ein oder zwei Male gesehen, aber auch nur, weil er so ziemlich der Einzige ist, der mich in letzter Zeit um Lachen gebracht hat.

Beinahe unbewusst wandern meine Gedanken wieder zu ihm zurück. Dylan, wie er nach Coras Tod neben mir hockt und ernsthaft versucht mich zu trösten. Dylan, wie er im Wohnzimmer steht und es ihn absolut nicht stört, dass er mir auf die Nerven geht. Stattdessen hat er all das lediglich mit einem Lächeln quittiert, nur um mich dann ins Kino zu schleppen.

Ich habe wirklich alles versucht, um ihn los zu werden und nun ist es ausgerechnet der Streit mit Don, der dafür gesorgt hat. Jedenfalls für kurze Zeit.

Im Flur neben der Halle sind Schritte zu hören, die blöderweise lauter werden anstatt leiser.

Es sollte mir eigentlich egal sein, dass ich mich mit Dylan zerstritten habe, aber ironischerweise ist es gerade das, was mich aufregt. Es ist mir nicht egal und das sollte es definitiv nicht sein. - Nicht, wenn ich plane diese Welt nach dem Ende dieser Woche zu verlassen.

Die Schritte kommen auf mich zu, ehe Dylan schließlich neben mir steht. Schweigend hockt er sich auf den freien Platz und starrt nun auch unser Spiegelbild an.

„Was willst du?", grummel ich und sehe zu ihm herüber.

Ich habe das Gefühl die Ringe unter seinen Augen sind in den letzten Minuten dunkler geworden als zuvor. - Falls er da überhaupt welche hatte. Seine Haare sind einmal mehr vorne hoch gegeelt, während er mich fast schon eindringlich mustert.

„Mit dir reden?" Es klingt wie eine Frage, was vielleicht auch daran liegt, dass der Grund, weshalb er überhaupt hier sitzt, offensichtlich ist.

„Haben wir das nicht vor fünf Minuten getan?", spotte ich und hoffe ihn damit aus der Reserve zu locken. Blöderweise scheint der alte Dylan - derjenige, der meine Sprüche für gewöhnlich gekonnt ignoriert - zurück zu sein.

Ich starre wieder in Richtung Spiegel.

Es ist lange her, als ich Cora beim Tanzen zugesehen habe. Es ist eine verdammte Probestunde gewesen und nachdem Steph den Tag über nicht zuhause gewesen ist, habe ich ihrer Bitte schließlich nachgegeben.

Sie hat sich das Tutu angezogen, das irgendwann einmal in einer dieser Kinderzeitschriften gewesen ist. Es hat Stunden gebraucht, bis wir den Schokoladenfleck, der die Rückseite geziert hat, heraus gewaschen hatten und ich habe das Gefühl, die billigen Geschenke darin sind der einzige Grund, weshalb man die überhaupt kaufen will.

Die Probestunde war gut verlaufen, Cora hatte scheinbar ausreichend Talent fürs Ballett - jedenfalls verhielt sie sich dabei eher wie eine Elfe, anstatt wie ein Elefant - und ich bin trotzdem diejenige gewesen, die ihr sagen musste, dass uns leider das Geld fehlte.

„Haben wir", bestätigt Dylan fast schon enttäuscht neben mir, ehe er in ein lang anhaltendes Schweigen verfällt.

Ich rolle mit den Augen.

Bitte. Soll er doch bis morgen hier sitzen und sein verfluchtes Spiegelbild anstarren. Alles was sich bis dahin geändert hat, ist der Lichteinfall durch die Deckenfenster und meine mögliche Abwesenheit.

Vielleicht ist das jetzt der Punkt an dem ich etwas sagen muss, aber irgendwie fühlt sich mein Kopf gerade so unheimlich leer an. Ich habe ihm alles gesagt, was ich ihm sagen wollte und ich werde mich garantiert nicht dafür entschuldigen die Wahrheit ausgesprochen zu haben. Als ob ich das jemals getan hätte.

Dennoch versuche ich wenigstens den letzten Rest an Sozialverhalten in mir hervor zu kratzen. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund kann ich es nämlich nicht leiden, dass er mich ausgerechnet jetzt anschweigt. Wenn er schon hier ist, kann er sich auch gleich nochmal mit mir streiten oder meinetwegen auch einen seiner blöden Sprüche loslassen. - Oder mich einfach mit seinem verdammten Grinsen aufziehen.

„Warum bist du wirklich hier?", bringe ich schließlich hervor und blicke zu ihm herüber.

„Ich weiß nicht." Er zuckt mit den Schultern. „Vielleicht hast du ja Recht. In einer Woche ist das hier vorbei. - Jedenfalls, wenn ich es nicht schaffen sollte, dich zu überzeugen."

„Du glaubst also immer noch daran." Meine Stimme klingt erstaunlich sachlich.

Dylan nickt.

„Ich will dich nicht verlieren, Grace", antwortet er und erwidert meinen Blick. „Wir haben beide unsere Probleme, aber ich kann nach dieser Zeit nicht einfach zu meinem Vater gehen und ihn fragen, ob alles wieder gut ist. Vielleicht hast du mit ihm gesprochen, aber glaubst du wirklich, dass die Enttäuschung damit einfach verschwindet? Es gibt Dinge, die bleiben, auch wenn man sie am liebsten ungeschehen machen will."

„Stimmt, aber du kannst es wenigstens versuchen."

„Was? Sie ungeschehen zu machen?", spottet Dylan.

„Nein, es wieder gut zu machen", erwidere ich. „Glaubst du ich habe Steph nach ihrem ersten Alkoholexzess als meine Mum aufgegeben? Dazu waren definitiv mehrere Fehler ihrerseits verantwortlich."

Stimmt. Und mir fallen Unzählige ein. Coras Armbruch, die Woche in der sie uns alleine gelassen hat, die handfeste Krise mit Coras Vater, die sie vor uns ausgetragen hat und die schließlich in einer Schlägerei mit noch einem Typen endete.

„Und weshalb sollte mein Dad das genauso sehen?" In Dylans Worten schwingt eine Mischung aus Spott und Misstrauen mit.

Ich würde sagen, dass ich ihn verstehe, aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Ich verstehe sowohl ihn, als auch seinen Vater.

„Weil ich ihn darauf hingewiesen habe", antworte ich. „Und weil er nicht unbedingt ein besserer Mensch ist, als du. Schließlich ist er es, der nicht einmal weiß, was du jeden Tag aufs Neue für deine Geschwister, für deine Familie tust."

Er weiß nicht, was Dylan tut, weil er arbeitet, um sich abzulenken und Dylan interessiert sich nicht mehr für ihn, weil er das Misstrauen nicht leiden kann.

Ich seufze. Es ist wirklich eines dieser Missverständnisse, die sich als erstklassiges Drama verkaufen lassen. Vielleicht sollte ich ein Buch darüber schreiben.

„Sprichst du aus Erfahrung?" Er sieht beinahe neckend zu mir herüber und für einen kurzen Moment sieht es sogar so aus, als würde er lächeln.

„Mehr oder weniger." Ich seufze und bin mit meinen Gedanken schon wieder bei Cora. „Du bringst Tyler Woche für Woche zum Fußballtraining. Ich habe dafür gesorgt, dass meine Schwester wenigstens für ein paar Stunden davon träumen konnte Profitänzerin zu werden."

Cora hat die ganze Nacht geweint, nachdem ich ihr unsere finanziellen Verhältnisse unter die Nase gerieben habe.

„Ich bin losgezogen, nur um den Ballettunterricht für sie bezahlen zu können. Manchmal habe ich Steph sogar Geld geklaut, aber ehrlich gesagt bereue ich das keine Sekunde. Es wäre sowieso nur für Alkohol draufgegangen. Die einzige Person, die mir damals wichtig war, ist Cora gewesen. Ist schon witzig, wo ich doch praktisch beziehungsunfähig bin, oder?"

Ich bin versucht darüber zu lachen, doch irgendwie ist der zweite Gedanke daran doch nicht so lustig, wie anfangs vermutet. Da passt Dylans ernste Miene schon eher zum Thema.

„Es...", Er zögert. „Es tut mir leid. Das mit deiner Mum, meine ich. Ich weiß, dass du nicht..."

„Vergiss es", unterbreche ich ihn. Irgendwie macht es mir bei ihm weniger aus, als bei den Anderen.

Dylan hält Inne. Irgendwie scheint er vorher weiter entfernt von mir gesessen zu haben, doch das ist in diesem Augenblick so ziemlich das Letzte, was mich stört. Ironischerweise ist es gerade diese Tatsache, die mich dazu bringt, auf seine vorherige Aussage zurückzukommen.

„Als du eben sagtest, dass du mich nicht verlieren willst...", beginne ich vorsichtig.

Dylan mustert mich geradezu eindringlich, als denkt er darüber nach, mir sein dunkelstes Geheimnis anzuvertrauen. Unsere Gesichter sind nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt.

„Es war genau so gemeint."

Seine Worte verhallen im Raum und wahrscheinlich ist das jetzt der beste Moment, um die Klappe zu halten und die Wirkung seiner Worte aufzunehmen, doch irgendwie habe ich den Drang etwas zu sagen.

„War nicht zu übersehen", erwidere ich unsensibel wie ich bin. Mein Sozialverhalten ist definitiv im Keller. „Aber ich will nicht, dass du dir irgendetwas in den Kopf setzt, was nie passieren wird. Alles was ich bin ist eine beziehungsunfähige Verrückte, die du zufällig davon abgehalten hast sich das Leben zu nehmen, also versuch es gar nicht erst."

Ich hatte nicht vorgehabt so ernst zu klingen und irgendwie tue ich es trotzdem. Ich sehe zu Dylan herüber und warte auf seine Reaktion. Vielleicht resigniert er ja, auch wenn ich mir da bei ihm inzwischen nicht mehr so sicher bin.

„Du bist nicht verrückt. Zumindest nicht auf die übliche Art und Weise", murmelt er und ich spüre, wie sein Blick auf meinem ruht. Er lächelt. „Und ich denke das mit dem Beziehungsunfähig kannst du auch vergessen. Schließlich wärst du sonst nicht hier."

Und obwohl seine Worte gerade so unglaublich ernst und kitschig klingen, kann ich nicht meinen Mund halten. Es ändert allerdings nichts daran, dass ich einmal mehr lächeln muss.

„Ich kann es nicht leiden, wenn du den Poeten heraushängen lässt, weißt du", entgegne ich neckend und sehe zu unserem gemeinsamen Spiegelbild herüber.

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