Auf das, was war

By ClaryTecker

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,,Bist du hier, um zu springen?" ,,Nein, ich will mir bloß den Sonnenuntergang ansehen. So ganz alleine ist e... More

Vorwort
Bungee-Jumping ohne Seil
Ginger
Die Sache mit der Raucherlunge
Das Sarkasmus-Problem
Ein Typ vom Mars
Am Ende der Welt
Alles, was wir tun
Hör zu
Home sweet home
Verdammt perfekte Welt
Allison
Dream a little Dream
Das Frage-und-Antwort-Spiel
Nicht so wie es aussieht
Unter vier Augen
Festgehaltene Erinnerungen
Die Schweige-Verpflichtung
Was wäre, wenn...
Sag einfach nein
Der Freundschafts-Kodex
Zwischen Kakao und Toastbrot
Keiner ist so kaputt wie ich
Anti
Schere, Stein, Papier
Dinner for two
Tritte unter dem Tisch
Vereinbarungen der anderen Art
Der Nirvana-Komplex
Rauchen kann tödlich sein
Operation "Dylan"
Langzeitstrategie
Beziehungsunfähig
Der Suizid, der ins Wasser fiel
Gegen die Zeit
Versprochen ist versprochen
Seelensplitter
Der sicherste Ort des Sonnensystems
Die inoffizielle Untermieterin
Kurze Zeit später
22 Sekunden
Wo die Typen Röcke tragen
Böser alter Jeep
Plan B
Freitag der 13.
Der grauenhafte Poet
Geständnisse
Wendepunkte
Der Geschichtenerzähler
Am Ende sind wir alle alleine
Ein Kaputzensweatshirt für alle Fälle
Auf das, was war
Fünf vor Zwölf
Kalte Füße
Ungenannte Schulden
Ende
Stille
Getrennte Wege
Wie alles begann
Danksagung

Ausgebrannt

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By ClaryTecker

Dylan:

„Was ironischerweise nicht an der Tatsache liegt, dass du hier deine Sozialstunden ableistest", stellt Ginger spöttisch fest, aber dieses Mal hält sie ihr Grinsen nicht zurück. Für einen kurzen Moment glaube ich ihre Grübchen zu erkennen, doch als ich erneut zu ihr herüberblicke, sind sowohl ihre Grübchen, als auch ihr Grinsen verschwunden.

„Nein."

„Aber an deiner Familie."

„Ich kann es nicht ausstehen, wenn jemand nicht nur sarkastisch, sondern auch noch scharfsinnig ist", gebe ich Grace zu verstehen, was sie jedoch weitgehend unbeeindruckt lässt.

„Menschen, die Sarkasmus verstehen sind laut einer Studie klüger als diejenigen, die es nicht tun", bemerkt sie neben mir, obwohl sie wahrscheinlich weiß, dass der Begriff Studie nicht immer die Realität widerspiegelt. „Solltest du auch mal versuchen."

Immerhin hat Ginger aufgehört ihre Füße gegen die Fassade zu stemmen, was heißt, dass sie erst einmal nicht vor hat zu springen. Wäre auch zu schade gewesen ihre Überreste vom Pflaster kehren zu müssen, denn ehrlich gesagt hat die Welt ihren Tod nicht verdient. Selbst wenn sie glaubt, dass es besser ist zu sterben, weil sie der Welt überdrüssig ist, wäre es eine Lüge, denn ohne Menschen wie Grace würde sie in geradezu Übelkeit erregender Perfektion versinken.

Du bist ein grauenhafter Poet, Dylan.

Ich verdränge den Gedanken daran, kann aber nicht leugnen, dass ich ihren Sarkasmus auf jeden Fall vermissen würde.

„Bin dabei", erwidere ich schließlich in Grace Richtung. „Zumindest, wenn ich nicht gerade versuche dich zu verstehen."

„Der besorgte Psychologe steht dir nicht."

„Als ob die mich jemals als Psychologen einstellen würden." Möglicherweise noch als Kinderpsychologen, weil ich es immerhin schaffe regelmäßig auf Allison und Tyler aufzupassen, ohne dass die Wohnung in die Luft fliegt, aber selbst der Job im Krankenhaus scheint meinen Vorgesetzten weniger Spaß zu machen, seit ich ihnen dabei helfe Rentnern den Katheder zu wechseln oder das Filmprogramm in der Kinderecke auszuwählen. Ich meine, was ist bitte so schlimm daran, wenn sie sich bereits frühzeitig an Chucky, Pennywise oder Michael Myers gewöhnen? Tyler war gerade einmal acht Jahre alt gewesen, als Freddie Krueger sein bester Freund wurde.

„Entweder hast du keine Ahnung, wie du dich selbst einschätzen sollst oder", Merida sieht mich beinahe erwartungsvoll an, während sie fortfährt. „Oder du bist noch durchgeknallter, als du vorgibst zu sein."

„Wie war das nochmal mit dem Psychologen?"

Ginger hat in ihrem Leben sicherlich schon mehr als nur einen Psychologen gesehen. Zumindest lässt ihre Vorahnung über solche Dinge, gemischt mit ihren sonstigen Verhaltensweisen darauf schließen. Ihre Mutter hat diese Kosten allerdings sicher nicht übernommen, weshalb es wahrscheinlich das Jugendamt war, dass auf die Idee gekommen ist, dass sie nicht ganz dicht sein könnte.

„Was ist mit deiner Familie passiert?" Ich kann es nicht leiden, wenn Grace mir diese Frage stellt. Stattdessen wandert mein Blick über ihre Converse sechs Stockwerke tiefer, wo sich noch immer etwas abspielt, was mich an eine Szene aus einem schweren Verkehrsunfall erinnert. Ironischerweise ist dieser Unfall direkt vor dem Krankenhaus geschehen, sodass es der Krankenwagen nicht allzu weit haben sollte, um die Opfer zu versorgen. Bei genauerem Hinsehen kann ich die einzelnen Sanitäter wie Ameisen herumlaufen sehen, mit dem Ziel die Verwundeten schnellstmöglich zu versorgen.

„Meine Mum ist tot." Es ist nicht einmal eine Tatsache, auf das Grace nicht auch selbst hätte kommen können. ,,Sie hat sich aus dem Küchenfenster gestürzt, als ich 12 Jahre alt war."

Ginger schweigt, was mich innerlich triumphieren lässt, auch wenn mir der Umstand, dass ich ihr gerade ausgerechnet von Mum's Suizid erzählt habe, nicht sonderlich gefällt. Bisher wussten es lediglich unsere nächsten Verwandten und nachdem wir aus der alten Wohnung ausgezogen waren, hörten die Besuche irgendwelcher besorgter Nachbarn ebenfalls auf.

Selbst wenn Ginger noch so oft behauptete, dass ich nicht die geringste Ahnung von ihrem Leben hatte, so weiß ich immerhin wie es ist sich für das Mitleid der Anderen zu schämen.

„Na wenigstens hat sich deine nicht vorher volllaufen lassen." Grace mustert mich, wartet auf meine Reaktion, weil sie genauso gut wie ich weiß, dass ihre Worte alles andere als höflich waren. Ich weigere mich dennoch ihr die Genugtuung zu verpassen, mich ihr geschlagen zu geben.

„Deine hat dir vermutlich auch niemals Gutenachtgeschichten vorgelesen."

„Sie hatte eine Leserechtschreibschwäche", erwidert sie, wobei der Sarkasmus in ihren Worten unüberhörbar ist.

Sicher hatte sie das. Wahrscheinlich hat sie ihr eher etwas vorgesungen, obwohl das unter Alkoholeinfluss meistens ja eher in melodischen Lallen endet.

„Sag jetzt nicht, dass du sie dir mit zwölf Jahren immer noch angehört hast."

„Notgedrungen", bringe ich hervor, während ich mich ernsthaft frage, wie wir es geschafft haben vom potenziellen Suizid zu den Gutenachtgeschichten meiner Mum zu kommen. „Ich musste mir ein Zimmer mit meinen Geschwistern teilen und sie saß da und hat ihnen etwas vorgelesen."

„Hast du zugehört?"

„Manchmal."

Das entspricht der Wahrheit. Ich habe Mum oft genug zugehört, sogar an ihrem letzten Abend.

„Was ist dann passiert?"

„Ist nicht wichtig", murmele ich. Gleichzeitig wundere ich mich über Gingers Interesse.

„Keine Sorge, meine Leiche wird es ihnen wohl kaum verraten", spottet sie und ich merke, wie sie ihre Jacke fester zuzieht. Die Sonne geht langsam unter und der Wind wird auch nicht unbedingt schwächer. Eigentlich müsste ich ihr jetzt meine Jacke reichen, - zumindest wenn das hier ein kitschiger Liebesfilm wäre - aber mir ist selbst nicht sonderlich warm. Außerdem bezweifle ich, dass Ginger auf mein Angebot eingehen würde.

„Sie hat uns eine Geschichte vorgelesen, wie jeden Abend", breche ich nach einer gefühlten Ewigkeit mein Schweigen. „Dad war wegen seiner Spätschicht schon am schlafen, als sie auch in unserem Zimmer das Licht ausgemacht hat. Schließlich ist sie in die Küche gegangen, hat das Fenster aufgemacht und ist gesprungen. Die Nachbarn fanden sie noch in derselben Nacht fünf Stockwerke tiefer auf dem Bürgersteig."

Ich hasse es ihr die Wahrheit auf diese Weise zu erzählen, obgleich sie sowieso nicht mehr lange leben wird. Vielleicht ist sie irgendeine Fremde, die ich noch nie zuvor getroffen habe, aber ironischerweise auch diejenige, die mich dazu gebracht hat, ihr trotz ihres ständigen Sarkasmus' Dinge zu berichten, die niemanden etwas anzugehen schienen.

Das klingt gerade verdammt kitschig. Als nächstes klammerst du dich noch an sie, damit sie nicht springen kann.

Ich verdränge meine Gedanken daran und widme mich wieder Ginger, die beinahe erwartungsvoll nach unten blickt, als würde sie die Unfallstelle nach einer freien Fläche absuchen. Einer Fläche, auf der sie aufschlagen könnte, ohne das Dach irgendeines Rettungsfahrzeugs zu streifen.

„Sie ist ausgebrannt", flüstert Grace schließlich und sieht wieder zu mir. Ihr Sarkasmus und ihr Spott sind vollständig verschwunden, sodass nur noch Ernsthaftigkeit zurückbleibt. Ernsthaftigkeit und die Melancholie, die sich in ihren Augen widerspiegelt. „Das verstehst du doch, Dylan."

Ich nicke.

„Bist du es auch?"

„Kann man so sagen", Grace lächelt beinahe. „Weißt du wie es ist keinen Sinn mehr in all dem hier zu sehen? Sich zu fragen, was man jemals erreichen wird nach allem, was man alles schon ruiniert hat und zu wissen, dass es praktisch niemanden gibt, der dich vermissen wird?"

Hat Mum das ebenfalls so gesehen? Hat sie uns verschwiegen, dass sie nicht mehr weiterleben wollte, weil sie ihrem Leben überdrüssig geworden ist? Weil sie sich gedacht hat, dass es besser sei auf diese Weise zu gehen, anstatt eines Tages alt und verschrumpelt im Grab zu liegen und von allen anderen vergessen zu werden?

„War es das, was du wissen wolltest?", fragt Grace nach und löst sich von mir.

Ich nicke. Wieder einmal. Obwohl ich weiß, was sie vorhat.

Sie steht auf, zieht den Reißverschluss ihrer Jacke bis zum Kinn und schaut beinahe reglos zum Horizont. Kurz darauf wandert ihr Blick nach unten.

Wir wissen beide was sie vorhat, während sie sich ein letztes Mal die Haare hinter dir Ohren streicht. Den Weg zum Dach hat sie weitgehend unbehelligt überstanden, nur um sich jetzt möglichst spektakulär zu verabschieden.

Bevor sie sich jedoch abdrücken kann, fällt mir eine letzte Frage an sie ein.

„Weshalb hasst du es, wenn dich jemand anderes als Cora Merida nennt?"

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