Schicksalsschlag

De alylad

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» Ich werde versuchen ihn so zu erziehen, wie Du es gemacht hättest. Das verspreche ich dir. « Wie nennt ma... Mais

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12. Teil

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De alylad



Die Tränen brannten meine Wangen entlang. Ich war stumm an seiner Brust angelehnt, welche mir irgendwie Schutz und Geborgenheit bat. Mein Kopf pochte, traumatisiert von den Geschehnissen des vergangenen Tages. Nach einer Unendlichkeit - so kam es mir jedenfalls vor - zog ich mich beruhigter von Caner weg. Ich sah ihn nicht an. Weshalb? Weil ich mich schämte. Schämen, für das Zeigen meiner Gefühle. Schämen dafür, in so einer Situation total hilflos gewesen zu sein. So hilflos, dass ich fremde Hilfe nutzen musste. Seine Hilfe genutzt zu haben. Ausgerechnet von ihm. Von Caner.

Auf einmal räusperte sich Caner laut und fasste das Lenkrad mit seinen beiden Händen.

,,Ich fahre dich zu meiner Wohnung. In Ordnung?"

Stumm nickte ich, um bloß nicht in seine Augen starren zu müssen. Um bloß nicht zu sprechen, weil mir momentan gar nicht danach war. Wir verließen den Rastplatz. Caner fuhr recht schnell, jedoch hatte er einen angenehmen Fahrstile.

Durchgehend spürte ich mehr Schmerzen. Überall irgendwie. Hauptsächlich am Kopf, am Bauch und überhaupt pochte mein ganzes Gesicht von den Ohrfeigen und Schlägen. Die Szenen spielten sich immer wieder in meinem Kopf ab. Ähnelnd einem endlosen Filmband. Wie mein Vater mich anschrie. Mit dieser ungemeinen röte in seinen Augen. Wie er mich an den Haaren zog und anschließend wie Blind vor Wut auf mich einschlug. Mein Vater.

Die Frage wie und wodurch mir Bulut "Disziplin" und "Respekt" beibringen wollte beschäftigte mich um so mehr. Eins stand fest. Nämlich dies, dass er zu allem im Stande gewesen wäre. Zu wirklich allem. Mittlerweile konnte ich diesem Mistkerl alles zu muten. Und was mir die meisten Sorgen machte? Kaan. Mein Bruder. Allein in diesem Haus mit diesen Monstern, verlassen von mir. Und das durch Zwang.

Plötzlich schalte seine rau männliche Stimme durch mein Gehör.

,,Kommst du?''

Ich sah in seine Grünen Augen und nickte. Meine Stimmbänder schienen immer noch verknotet. Er hielt mir die Autotür auf. Ohne ihn wirklich anzusehen versuchte ich mich aufzurichten. Als ich auf meinen Füßen stand spürte ich einen unglaublichen Schmerz durch mein Unterleib ziehen. Oder doch im Rücken? Ich konnte es nicht einmal zuordnen. Ohne Absicht hielt ich mich an seinem Oberteil fest. Nahe zu reflexhaft. Mein Herz klopfte unglaublich schnell. Es war mir unangenehm und peinlich!

,,Tut mir leid.'', sprach in beschämend, noch immer nicht in seine Augen sehend.

,,So wird das das nicht gehen.'', stellte er fest und hielt mich plötzlich an meiner Hüfte fest. Als mich seine Hand dort berührte war es als ob mich ein Stromschlag durchfuhr. Ein merkwürdiges Gefühl setzte sich in meinem inneren ab.

Er führte mich langsam und vorsichtig die kurzen Treppen hoch, stützend und hilfsbereit. Alles dies passte gar nicht zu ihm. Jedenfalls nicht zu dem
Caner, den ich kenngelernt hatte. Nachdem er den Schlüssel ins Schloss gedrückt hatte, führte er mich in sein Schlafzimmer, was mir ja nicht mehr fremd war. Die Tatsache war irgendwo sehr beunruhigend und absurd. Er half mir aufs Bett. Dabei waren seine Augen dauerhaft konzentriert. Nicht abgelenkt, nicht belustigt, nur konzentriert.

Nach dem er es mir mit einem großen Kissen für den Rücken angenehm
gemacht hatte, zog er die Rollläden runter, welche das Zimmer abdunkelten.

,,Das ist alles nicht nötig. Mir geht es gut.", log ich um bloß dieser unangenehmen Situation zu entfliehen. Ich hätte nicht in seine Wohnung kommen sollen. Ich war dumm.

Er jedoch ignorierte meine Aussage, als hätte ich nicht gesprochen.

,,Wo hast du Schmerzen?''

,,Es ist nicht-"

Doch bevor ich etwas richtig sagen konnte, verschwand er aus dem Zimmer und schaltete davor noch das Licht ein.

Mein Herz klopfte wie verrückt. War das alles ein Zufall oder gar Schicksal? Ich sah mich in dem großen Spiegel an, welcher an seinem Schrank hing.

Mein Gesicht war angeschwollen, gerötet und an manchen Stellen sogar bläulich. Als ich mein Oberteil an der Schulter etwas runter zog erkannte ich ebenfalls rot, bläuliche Flecken. Es war nicht einmal verwunderlich. Plötzlich sah ich Caner ins Zimmer kommen, schnell zog ich das Oberteil an der Schulter hoch. Doch ich war zu langsam, er hatte es bereits gesehen.

,,Hat dieser dreckige Hund dir das alles angetan?''

Er setzte sich vor mich aufs Bett.
Ich versuchte dem Blickkontakt aus zu weichen, was sich jedoch schwerer herausstellte als gedacht.

Wenn wir ehrlich waren, mochte weder er mich noch ich ihn. Alles hier war doch irgendwie völlig absurd.

,,Defne.'', sprach er rauer und deutlicher aus, auf eine Weise wie niemand diesen Namen aussprechen konnte.

Ich sah zu ihm. Seine Stirn lag in Falten. Er wirkte angespannt und ungeduldig. War er wirklich um mich besorgt? Oder steckte irgendetwas anderes dahinter?

,,Unwichtig.", gab ich auf seine Frage zurück. Ich wusste, dass meine Antwort ihn sicher nicht zufrieden stellen würde, doch das selbe hatte er mir heute auch im Aufzug geantwortet. Wieso sollte ich ihm etwas erzählen, wenn er es selber auch nicht tat?

,,Ist es nicht!'', sagte er lauter. Ich zuckte zusammen, als sein erhöhter Ton durch den Raum schallte.

Sein Gesicht war mit Kratzern versehen. Bulut hatte sich heute an uns beiden verewigt.

,,Du hast mir auch nicht verraten, was zwischen dir und Bulut ist.'', antwortete ich schon fast genervt und blickte weg.

Auf einmal packte er sich mein Kinn und richtete meine gesamte Aufmerksamkeit auf sich.

,,Aber das ist eine ganz andere Sache. Schau was er mit dir angerichtet hat. Hat er dir das vor seinen ganzen Freunde angetan?'', seine Blicke erforschten mein Gesicht.

,,Nein.''

,,Was wollte er dann da mit dir, in diesem Zustand?''

,,Bitte lassen wir das Thema. Ich habe keine Kraft mehr dafür."

Er setzte sich an den Rand des Bettes und sah nachdenklich durch den Raum. Auf einmal stand er auf und schlug gegen die Wand. Geschockt sah ich ihn an. Was war bloß in ihn gefahren?

,,Was sagen deine Eltern dazu?'', er sah mir in die Augen. In meinem Brustbereich bildete sich ein großer Druck. Ich wusste nicht, ob ich mich ihm öffnen sollte. Ohne kurz nach zu denken, stand ich auf und versuchte die Schmerzen zu verdrängen.

,,Danke, dass du mich vorher weggebracht hast.''

Ich lief langsam, um mich nicht zu überanstrengen, in Richtung Haustür. In mir drin verfluchte ich Baba, Ceylan und Bulut. Ich hatte noch nie so Schmerzen verspürt, jedenfalls physische. Doch weit kam ich nicht, Caner hielt mich fest.

,,Wo willst du hin?''

,,Weg.''

,,Wohin? Schau dich an, du kannst dich gar nicht bewegen.''

,,Woher willst du was wissen? Ich werde mich schon zu Recht finden.''

,,Wieso bist du so verdammt stur? Willst du etwa zurück zu deinem Bruder, zu Bulut?''

Ich spürte wie sich Wut in meinem Brustkorb anstaubte.

,,Er ist nicht mein Bruder! Uns verbindet nichts, verstehst du? Nichts außer meinem Vater.''

Er sah mich irritiert an.

,,Und deine Mutter-''

,,Sie ist Tod! Tod verstehst du? Schon fünf Jahre lang!'', schrie ich wütend und traurig zugleich. Ich hasste es mit diesem Mistkerl in Verbindung gesetzt zu werden. Ich hasste es unendlich!

Meine Augen waren gefüllt. Ich hasste es Emotionen zu zeigen. Schon gar nicht hier, vor Caner. In dem Moment war ich wieder im Stande vor meinen Vater zu treten und ihm das gleiche zu sagen. Ich drehte mich um und versuchte zur Tür weiter zu laufen, doch sinnlos. Ich musste mich an der Wand fest halten. Mein Atem war total unregelmäßig. In dem Moment war mir schlecht und übel. Mein Magen schmerzte.

,,Das wusste ich nicht.'', sprach er leiser, fast flüsternd.

Ich konnte kein Wort raus bringen. Die Luft in meiner Lunge blieb mir weg. Auf einmal spürte ich meine Augen schwerer werden. Ich versuchte diese immer wieder weit zu öffnen, doch nach mehreren malen schlossen sie sich einfach und ich fühlte mich erleichtert.

Am nächsten morgen weckten mich die Sonnenstrahlen, die durch die Rollädenspalten ins Zimmer schienen. Im ersten Moment dachte ich, ich wäre wie gewöhnlich in meinem Zimmer. Doch nein. Es war Caners, stellte ich fest als ich das Zimmer durchblickte. Vorsichtig richtete ich mich auf. Ich hörte Geräusche aus den Nebenräumen. Vor seinem großen Spiegel richtete ich meine zersausten Haare zu einem Dutt zusammen. Daraufhin lief ich ins Wohnzimmer. Was mir sofort auffiel war, dass ich wieder normal laufen konnte. Er lag auf der Couch und sah Fern. So locker wie immer. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. In meinem Hals bildete sich ein großer Klos. Mir war das alles peinlich und unangenehm. Bis ihm plötzlich die Fernbedienung auf den Boden fiel. Als er hoch sah, blickten seine grünen Augen überrascht zu mir.

,,Du bist wach?''

Ich nickte.

,,Was war gestern?''

Er stellte die Fernbedienung auf dem kleinen Couchtisch ab und stand auf.

,,Du bist auf einmal umgekippt, ich habe dich dann ins Bett getragen. Du bist sofort eingeschlafen.''

,,Tut mir leid wegen den Umständen.'', entgegnete ich leiser und spürte wie mir die Situation peinlich wurde.

,,Ist kein Problem.", sprach er und steckte seine Hände in die Taschen seiner grauen Jogginghose.

,,Wo ist das Bad?''

Er beschrieb mir den Weg. Dankend nickte ich und lief rein. Für eine Männerwohnung war alles sauber und geordnet. Ich duschte mit kaltem Wasser. Erst jetzt realisierte ich die vielen Blauen Flecken an meinem Körper. Auch wenn ich wieder in die alte Kleidung musste, fühlte ich mich sauberer. Meine langen, dunklen Haare ließ ich nass über meine Schulter fallen.

,,Fühlst du dich besser?'', fragte er als ich wieder im Wohnzimmer war.

Ich nickte. Es herrschte eine unangenehme Stille. Von mir aus konnten wir uns beleidigen, uns provozieren. Einfach alles, was nicht diese dumme Stille beinhaltete.

,,Defne?''

Ich sah zu ihm hoch, erleichtert das die bedrückende Stille gebrochen war.

,,Wieso hat dir dein Freund nicht geholfen, wieso hat er dich nicht vor Bulut beschützt?''

Freund? Er musste an Arsim denken.

,,Arsim?''

Er schien über seinen Namen wenig erfreut und schaltete den Fernseher aus.

,,Ja.''

,,Er konnte doch nicht wissen, was passieren wird."

,,Er ist doch dein Freund. Müsste er doch ahnen."

Blitzartig sah ich in seine Augen. So ein Mist! Ich hatte einmal extra betont, dass Arsim mein Freund sei, obwohl es nicht so war. Wieso hatte ich das bloß gesagt? Wieso war ich so kindisch?

,,Er ist ein guter Freund, nicht mein Freund."

Ein Grinsen zierte plötzlich seine Lippen.

,,Wieso hast du es damals dann gesagt?''

,,Habe ich gar nicht. Ich habe gesagt Freund. Dein Pech, wenn du es falsch verstehst."

Er lachte auf einmal. Und wie er lachte. Fast ohne Ende. Er legte sein Kopf zurück und schmunzelte vor sich hin. Doch dann setzte er sich wieder aufrecht hin und sah mich ernster an.

,,Wieso hast du gestern nach mir gerufen? Du konntest doch nach Arsim rufen.''

Er sah mich scharf an. Wieso stellte er denn diese dummen Fragen? Wieso ich ihn gerufen hatte? Weil ich dumm war!

,,Weil du in der Nähe warst. Sonst hätte ich dich sicherlich nicht gerufen.", ich verschränkte genervt die Arme.

Ich sah meine Jacke über dem Sessel. Schnell schnappte ich sie mir.

,,Das war das letzte Mal, dass ich deine Hilfe gewollt habe, kannst dir sicher sein."

Als ich Schritte auf die Tür machte, stellte er sich plötzlich vor mich.

,,Vergiss es.''

Irritiert sah ich ihn an. Sein Gesicht ohne jegliche Hautirritationen.

,,Du bist so zickig.''

,,Du kennst mich gar nicht. Du weißt nichts von mir.''

Ich wollte ihm rechts ausbiegen, doch er stellte sich erneut vor mich.

,,Er wird dich umbringen. Schon gar weil du mit mir weggerannt bist.''

,,Ich muss. Mein kleiner Bruder steckt da fest.''

Er seufzte laut.

,,Kannst du mir endlich mal alles erklären?'', sagte er lauter.

,,Wieso sollte ich? Was interessiert es dich. Wer bist du?''

Er kam mir näher, ich ging einen Schritt zurück. Und so ging es weiter, bis ich die kühle Wand an meinem Rücken spürte.

,, Ich helfe dir gestern und dann bist du so drauf?''

Er kam noch näher. Mein Herz wollte in diesem Moment aus meiner Brust springen. Wieso machte er mich so nervös? Wie schaffte er das? Auf einmal klingelte es Sturm. Er ging mehrere Schritte zurück. Ich konnte Innerlich aufatmen.

Als er bei der Sprechanlage nachfragte erstarrte er. Er legte den Hörer schnell weg.

,,Wir müssen dich verstecken!''

Fragend sah ich ihn an. Er zog mich am Arm in die Küche.

,,Bulut."

Mein Puls beschleunigte sich. Ich hatte Angst. Angst, dass Bulut nun zu allem im Stande war. Er würde Caner nicht verschonen.

,,Scheiße, scheiße.'', fluchte ich und blickte verängstigt zur Haustür.

,,Geh da rein.'', er zeigte auf eine kleine Tür, die hinter dem Esstisch war.

,,Was? Da rein?"

,,Das ist ein kleiner Aufbewahrungsraum.''

,,Ich pass da doch nie rein!''

,,Doch natürlich.'', er öffnete die Tür und deutete mir rein zu gehen.

Ich krabbelte widerwillig rein.

,,Ich werde jetzt die Haustür öffnen und sagen, dass du nicht hier bist.''

Ich nickte. Er sah mich noch einmal kurz an und schloss dann das die kleine Tür. Es war Stockdunkel. Die Luft roch alt und schäbig. Als ich hörte wie er den Tisch wegstellte, betete ich innerlich, dass alles gut ging.

,,Wo ist sie?'', hörte ich die Stimme meines Halbbruders.

,,Wen meinst du?''

,,Willst du mich verarschen? Du hast sie gestern mit genommen? Am Arbeitsplatz ist sie nicht.''

,,Sie ist gegangen.''

,,Wie kannst du es wagen, sie einfach mit zu nehmen? Willst du Sterben?''

,,Vor so einem Psychopathen musste ich sie retten."

,,Ich werde dich noch umbringen. Sie ist hier, lüg nicht. Wo ist die Schlampe?''

Ich hörte laute Schritte und spürte mein Herz vor Aufregung immer schneller schlagen. Er durchsuchte wohl alles.

,,Wo bist du kleine Hure? Ich bring dich um, das schwöre ich. Euch beide. Hat sie mit dir auch noch unsere Ehre beschmutzt?"

,,Du bist echt Kaputt. Ich hab mit deiner Schwester nichts.''

Bulut beleidigte ihn laut los und verschwand dann wohl, weil es total leise wurde. Unglaublich, er war weg. Ich konnte es kaum glauben.

Auf einmal hörte ich wie der Tisch erneut weg geschoben und die Tür geöffnet wurde.

Ich kletterte erleichtert raus und schnappte nach Luft, da es drinnen sehr stickig war.

,,Alles okay?'', fragte er wieder als ob er besorgt wäre. Doch da steckte etwas anderes dahinter, sicherlich.
Ich nickte.

,,Komm wir essen etwas.''

,,Nein. Danke. Ich weiß grade selber nicht was ich machen soll. Eigentlich sollte ich arbeiten und schon wieder fehle ich. Ohne diese Stelle bin ich aufgebracht.''

Verzweifelt fuhr ich mir durchs Haar.
Wir setzten uns an den Esstisch und das erste mal, das aller erste mal sprachen wir wie zwei normale Menschen miteinander. Ohne uns gegenseitig zu beleidigen, ohne jegliche Provokationen beiderseits.

,,Wieso hast du keine Ausbildung gemacht?'', fragte er und blickte tief in meine Augen.

,,Wenn die Mutter stirbt, denkst du an so etwas nicht mehr. Dein Leben erscheint sinnlos und sich für irgendetwas anstrengen ebenfalls. Ich wollte einfach arbeiten. Geld verdienen für meinen kleinen Bruder und mich.'', ich spielte mit meiner Haarspange, um ihm nicht in seine Grünen Augen zu blicken.

,,Sie ist bei der Geburt gestorben?''

Ich nickte. Um nicht erneut in meiner Trauer zu versinken lenkte ich vom Thema ab.

,,Und du? Was machst du beruflich?''

Meine Frage schien ihn zu überraschen. Er kratzte sich am Kopf und mied meinen Blick.

,,Ich habe eine Ausbildung zum Elektroniker gemacht.''

Sein stottern und zögern kam
für mich nicht überraschend. Ich wusste weshalb er so reagierte.

,,Als Elektroniker arbeitest du aber nicht, nicht wahr? Schnelles Geld bevorzugst du.''

Eine ertappte Mimik umzingelte seine Gesichtszüge. Er hatte die dunklen Augenbrauen runter gezogen.

,,Wechseln wir das Thema.''

Dass hieß, dass er wirklich dreckige Geschäfte machte.

,,Komisch. Wir sitzen hier an einem Tisch und wissen nicht einmal das Alter von einander.'', er fing an zu lachen. Seine weißen Zähne strahlten durch sein Lächeln.

,,Ja, sehr lustig.'', entgegnete ich ironisch und ernst.

,,Wie alt bist du eigentlich?''

,,Achtzehn.''

,,Willst du nicht wissen wie alt ich bin?'', er schmunzelte als er meinen uninteressierten Blick wahrnahm.

,,Ich sag's dir trotzdem. Zweiundzwanzig.''

,,Woher kennst du Aylin und Mehmet?'', fragte ich und nutzte die Gelegenheit.

,,Mehmet kenne ich schon länger, wir haben zusammen in einem Verein Fußball gespielt. Und Aylin nebenbei, durch ihren Bruder eben.''

,,Ihr scheint euch sehr gut zu verstehen.'', sprach ich und musste an meine Cousine denken.

,,Ja, er ist ein sehr guter Freund.''

Eigentlich meinte ich Aylin. Ich wollte nicht weiter ausfragen, damit er nicht auf den Gedanken käme, ich sei eifersüchtig.

,,Könntest du mir ein letzten Gefallen tun?'', fragte ich und blickte zu seinem belustigten Blick.

,,Stirbst du morgen oder was?'', er lachte und stützte seine Arme auf dem Tisch ab.

,,Schieß los.''

,,Mich zu meiner Tante bringen.''

,,Denkst du deine Familie ist nicht schon da und wartet auf dich?''

Ich musste nachdenken. Mein Vater war selten bei meiner Tante. Und er interessierte sich doch nicht einmal um mich. Er würde mich nicht suchen.

,,Glaube ich nicht.''

,,Na gut.'', antwortete er und trank einen Schluck seines Wassers.

,,Musst du heute nicht arbeiten?'', fragte ich absichtlich, um wieder auf das Thema zu lenken.

,,Nein, heute nicht.'', sagte er flüchtig
und stellte unsere Gläser ins Waschbecken.

Wir brachen auf. Während der Fahrt war es still. Ich musste gestehen, dass Caner ein merkwürdigen Eindruck auf mich machte. Einen Eindruck, der mich nachdenklich machte. Er hatte irgendetwas geheimes an sich, etwas reizvolles. Ich war kein neugieriger Mensch, ganz im Gegenteil. Doch mich interessierte vieles an ihm. Vielleicht hing es auch bloß damit zusammen, dass er Bulut kannte. Dass er in der letzten Zeit immer vor mir auftauchte. Es war merkwürdig. Sogar sehr.

,,Kann ich mitkommen?'', fragte er als er nach meiner Bitte vor der Hochhaussiedlung anhielt.

,,Was? Wieso?'', fragte ich verwundert.

,,Komm schon.'', entgegnete er und beugte sich zu mir vor.

,,Spinnst du?''

,,Ich verriegele sonst die Türen.'', er schmunzelte und provozierte gezielt.

,,Ja, das glaube ich dir. Hast du mir ja schon oft gezeigt.''

Er grinste. Wir stiegen zusammen aus. Ich wusste nicht, ob das eine gute Idee sei, ihn ernsthaft mitzuschleppen. Wieso wollte er überhaupt mit? Mir fehlte der Sinn seiner Handlungen.

Ich klingelte öfters, doch erst nach dem vierten Mal kamen wir ins Gebäude rein. Wir liefen die kleinen Treppen hoch. Ich sah meine besorgte Tante an der Tür stehen.

,,Defne!'', entfuhr es ihr geschockt. Sie strich über mein Gesicht mit ihren warmen Fingerspitzen.

,,Dein Gesicht, was ist-'', plötzlich hielt sie inne. Ihr Blick glitt zu Caner.

,,Wer ist das?'', fragte sie irritiert und zu Caner deutend.

Als ich antworten wollte sah ich plötzlich meinen Vater. Mein Puls stieg an. Die Szenen von gestern spielten sich in einer schnellen Geschwindigkeit in meinen Kopf ab. Der Hass wollte mir regelrecht aus den Augen springen.

,,Ich wusste es. Du hast unseren ganzen Stolz durch den Dreck gezogen!''

Er kam wütend und aggressiv auf mich zu, doch ehe er näher kommen konnte stellte sich Caner überraschend vor mich.

,,Beruhigen Sie sich erstmal.'', er hatte eine strenge Körperhaltung eingenommen.

,,Du Schlampe, ich wusste es doch!''

Die Wut stäubte sich in mir. Ich war kur vor einem Nervenzusammenbruch.

,,Wie kannst du von Stolz reden? Wie kannst du überhaupt vor mich treten, nach allem dem was du mir gestern angetan hast?"

Ich zeigte auf mein Gesicht und spürte glühende Tränen meine Wangen runter brennen.

,,Salih geh, lass deine Tochter.''
Meine Tante sah zu meinem Vater, welcher mich böse ansah.

,,Du wirst noch sehen.''

Er stampfte die Treppen runter und knallte die große Eingangstür zu.

,,Kommt erst mal rein.'', forderte meine Tante und ging vor.

Caner folgte mir ins Wohnzimmer, wo wir uns still hinsetzten. Wieso war er bloß mitgekommen? Ich verstand es nicht. Hatte er nichts Besseres zu tun?

Mein Onkel sah Caner mit hoch gezogenen Augenbrauen an. Meine Tante kam mit türkischem Schwarztee und setzte sich auf die Armlehne des Sessels, wo ihr Mann saß.

,,Dein Vater hat gesagt, du wärst weggerannt.''

Ich lachte ironisch auf und fasste mir an die Stirn.

,,Sag uns bitte was los war.'', bat mein Onkel.

Ich begann ihnen alles zu erzählen, dass erste Mal öffnete ich mich und teilte ihnen mit was sie mir zuhause körperlich und seelisch an taten.
Sie waren sichtlich geschockt.

,,Wäre er nicht gekommen, was hätte Bulut bloß getan?'', fragte mein Onkel kopfschüttelnd.

Ich zuckte ahnungslos mit den Schultern.

,,Ich kann es nicht glauben. Hat dieser Mann kein schlechtes Gewissen?''

Meine Tante sah verständnislos durch die Luft. Es herrschte kurze Stille.

,,Ist Kaan hier?'', fragte ich hoffnungsvoll.

Sie schüttelten den Kopf. Es wäre doch zu schön gewesen.

,,Danke, dass du unserer Nichte geholfen hast. Wie ist dein Name?'', fragte mein Onkel und sah zu Caner, der anständig neben mir saß.

,,Nicht der Rede wert. Ich heisse Caner, Caner Dogan.''

Meine Tante erstarrte, sie schluckte laut und drehte plötzlich ihr Kopf weg.

,,Danke, du kannst jetzt gehen.''

Geschockt sah ich meine Tante an. Sie sagte das mit einer abweisenden, unfreundlichen Art, die gar nicht zu ihr passte. Caner stand auf.

,,Glauben sie nicht, dass ihre Nichte und ich anderen Kontakt teilen. Es war aus reiner Nettigkeit. Keine Sorge.'', sprach Caner und sah dabei sehr ernst aus.

,,Defne, wieso weiß ich nicht wer in deinem Freundeskreis ist?''

Meine Tante sah mich mit einem wütenden Blick an.

Ich wusste nicht was mich mehr verstörte. Die merkwürdige Reaktion meiner Tante oder das Wort ,,Nettigkeit" aus Caners Mund.

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