Durch den Weg deines Herzes

Par Quzelkurt

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Ein Leben, das sie so nie führen wollte und nichts dagegen tun kann, außer zu warten. Ein Abend, an dem sie v... Plus

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67

Kapitel 41

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Par Quzelkurt

Die Tage vergehen erstaunlich gut für meine Verhältnisse. Azad besorgt täglich Bubblegum-Eis einer anderen Firma, weil er sein Versprechen aus Dubai halten will, das ich schon längst vergessen habe. Noch habe ich nicht den einen guten gefunden, aber Eis mit Keksstücken geht auch. Ich muss gestehen, dass wir uns noch nähergekommen sind. Als er am Arbeiten war, habe ich mich gewachst und da ich zu beschäftigt war und nicht auf seine Nachrichten antworten konnte, hat er mich im Haus gesucht. Ein Glück war ich schon fertig mit meinem Intimbereich. Als ich meinen Unterkörper dann um fast 180 Grad gedreht habe, um die Hinterseite meines Oberschenkels mit dem warmen Wachs einzustreichen, kam er ins Zimmer und kurze Zeit darauf, hat er es für mich übernommen. Und bald steht mein erster Ganzkörper-Lasertermin an. Ich freue mich und hoffe, es klappt. Dann muss ich mich nicht mehr wachsen, auch wenn es Spaß macht. Ich durfte seine Oberarme enthaaren, wo er kaum wirklich Haare besitzt. Unfair. Wieso wachsen mir dann dort solche Dinger? Was auch immer. Bald wird es hoffentlich enden. Eine gute Nachricht zu all den anderen positiven Ereignissen, die sich in der letzten Zeit abgespielt haben. Was ich aber ziemlich suspekt finde, ist die Tatsache, dass Azad vor mir aus dem Bett ist. Als ich aufwachte, lag ich alleine im Bett und ich war kurz davor, Jamal mitzuteilen, dass Azad entführt wurde - um 09:38 Uhr an einem Sonntag kann Azad rein biologisch nicht wach sein. Und wo sind die Katzen?

Wenn man vom Teufel spricht: Er klopft an der Tür und oh ... er hat Frühstück dabei. Ich setze mich langsam auf, kämpfe gegen meine zuckenden Mundwinkel, als Azad doch tatsächlich das Tablett vor mir abstellt und mir einen Kuss auf die Schläfe gibt. "Wie kommt es, dass du Riesenbaby vor mir wach bist?" Mein Blick senkt sich einen kleinen Augenblick auf seinen freien, tätowierten Oberkörper. "Wenn ich ehrlich bin, habe ich vom ganzen Eis Magenschmerzen bekommen und bin davon erwacht." "Opa." Azad seufzt, als er seinen Bauch aufmunternd tätschelt. Süß. Ich will ihm das Buttermesser gegen den Kopf deshalb werfen. "Ich hätte mir viel lieber gewünscht, dass sich meine schöne Frau um mich kümmert. Immerhin wird sie in naher Zukunft eine angehende Ärztin sein." Oh ... ich muss lächeln. Verdammt stark sogar. Mir wird warm. Stimmt. Ich darf bald Medizin studieren. Ich darf bald endlich meinen Traum antreten. Ich kann mich endlich zu der Person weiterentwickeln, die ich immer sein wollte. Wie oft ich die Augen bei den ignoranten Ärzten verdreht habe und mich fragte, wie sie es schaffen konnten und ich nicht, aber jetzt ist es vorbei. "Danke", erwidere ich verlegen, als ich auf das Frühstück schaue. "Für dich alles, Schneeflocke. Das ist nicht das gesamte Frühstück. Ich dachte mir, ich mache es wie ein Menü mit mehreren Gängen. Irgendwie hatte ich Spaß daran." Süß. Am liebsten würde ich ihm deshalb einen Kuss geben.

Ich rutsche auf unserem schon so großen Ehebett zur Seite, als er sich zu mir setzt, bemerke erst jetzt die Schmerztablette neben der kleinen Pfanne mit gebratenen Tomaten. "Ich wusste nicht, ob du immer noch Schmerzen hast." Seit drei Tagen haben meine Kopfschmerzen wieder angefangen. Mal waren sie weg, mal kamen sie wieder und mal brachten die Analgetika etwas und mal nicht. Am schlimmsten ist es, wenn ich aufstehe und die Schmerzen immer noch da sind - wie gestern. Ich lag mit Azad im Bett, habe mich im abgedunkelten Zimmer an seiner Brust weiter abgeschottet, bis ich irgendwann einschlafen konnte. Ich konnte nur einige Male vom Schmerz befreit werden, als ich Azad dazu zwingen konnte, die Sehnen an meinem Nacken so fest zu drücken, dass er dachte, er würde gleich ein Gefäß einquetschen. "Geht schon wieder." "Gut." Ich schließe bei seiner großen Hand, die mir über meinen Hinterkopf fährt, die Augen. "Ich hoffe, ich habe gut gewürzt." "Werde ich ja sehen." "Ich zittere jetzt schon." "Liegt am hohen Alter", erwidere ich, während ich ein Stück Fladenbrot abreiße und in die Tomatenpfanne tunke. Doch, es schmeckt. Hat er gut gemacht. Ich nicke anerkennend. "Ich darf leben?" "Heute schon", nuschele ich kauend. Dabei tunke ich ein neues Stück Brot in das Tomaten-Zwiebel-Gemisch und halte es vor seine schönen Lippen. Mir gefällt die offensichtliche Überraschung auf seinen Zügen. Ich mag es, für Reaktionen bei ihm zu sorgen.

Mit dem Ansetzen seines Lächelns entsteht eine Kettenreaktion. So sind es nicht nur seine Grübchen, die jetzt hervorstechen, sondern auch meine. Ich komme ihm mit meiner Hand nur ein kleines bisschen entgegen. Zu sehr genieße ich es, wie er sich zu mir hinunterbeugt, um das kleine Stück essen zu wollen. Seine Lippen steifen meine Finger und ich weiß ganz genau, dass er absichtlich meine Daumenkuppe umschließt, an der jetzt ein bisschen von der Tomate klebt. Ich schaue ihn erwartungsvoll an, während er noch kaut und bedrohlich süß dabei aussieht. Und schon wieder bereue ich es, meine Hand nicht auf seinen Hals gelegt zu haben, um sein Schlucken zu spüren. "Möchtest du etwas?" Er weiß ganz genau, dass er meinen Daumen beschmutzt hat. Ohne viel drum herumzureden, lege ich meine vier Finger unter sein Kinn und drücke meinen Daumen gegen seine geschmeidigen Lippen und auch wenn ich weiß, dass Azad gern unterwürfig ist, überrascht es mich jedes Mal aufs Neue, wenn er reagiert. So wie jetzt. Jetzt, wo er seine Lippen um meinen Daumen schließt und sanft zu saugen beginnt. Ich weiß nicht wieso, aber es fühlt sich gefährlich gut an. Es kribbelt. Nicht nur am Daumen, nicht nur im Arm. Es zieht durch meinen gesamten Körper und ich könnte ihn umbringen, als seine Zunge über die Kuppe leckt und ich deshalb scharf die Luft einziehe.

Genug! Ich zucke zurück und eigentlich will ich meinen Daumen damit aus der Wärme seines Mundes ziehen, wenn er mein Handgelenk nicht festhalten würde und neckend auf die Kuppe beißt. "Wohin?" "Weg von dir." "Ich will aber zu dir." Schon wieder fährt seine Zunge über meinen Daumen. Mein Unterleib zieht sich deshalb verräterisch zusammen. Ich schaffe es, meinen Daumen zurückzuziehen, aber sein Griff ist stärker als meiner. "Wäre das Frühstück nicht hier und meine Frau nicht einschüchternd streng, hätte ich eine andere Form des Frühstücks gewählt." Ich brauche einen Moment, weil ich nicht weiß, was genau er tun würde. Waffe, Messer, seine Zunge? Egal, was es ist, ich will ihn deshalb attackieren, würde dieser alte Mörder mir aber nicht ein Stück Brot in den Mund drücken! "Iss, Schneeflocke. Ich möchte nicht, dass du Atemprobleme kriegst." Ich bin positiv überrascht, dass Azad so gut würzen kann. Er hat sogar selbstgemachte Kartoffelecken gemacht und sie mit der Cocktailsoße serviert, die ich mir sonst mache. Jetzt bin ich für den ganzen Tag gesättigt und kann duschen gehen. Ich habe schon mit dem Erwachen gespürt, wie schwer sich mein Haar anfühlt. Jetzt bin ich wieder frisch, aber immer noch müde. Ich muss mich eincremen, aber ich habe keine Lust. Wozu habe ich einen Ehemann, der schon auf mich im Bett wartet? Ich schmeiße ihm meine Bodycream zu und lege mich auf den Bauch.

"Crem' mich ein", murmele ich. "Nur die Stellen, die nicht vom Handtuch bedeckt sind?" Zum Glück sieht er mein Schmunzeln nicht. "Ich überlege es mir. Fang an." "Was immer du dir wünschst, Schneeflocke." Ich sehe Azad zwar nicht, erschaudere dennoch, als ich ihn über mir wahrnehme. Wenigstens besänftigt mich das leichte Kribbeln, als er meine Haare zur Seite schiebt. "Das ist ein wirklich guter Duft." "Ist es." Ich spüre, wie er meine Haare anhebt. "Gibst du das Duschgel zufälligerweise in deine Haare?" "Hast du gerade an meinen Haaren gerochen?" "Wäre nicht das erste Mal." "Psycho." "Ich weiß, Schneeflocke." Das Problem mit Azad ist, dass man ihn nicht beleidigen kann. Entweder stimmt er zu, weil es der Wahrheit entspricht oder er macht mit. Wahrscheinlich turnt ihn das auch noch irgendwo in seinem komischen Gehirn an. Ich will ihn gerade anherrschen, weil er viel zu lange braucht, um mit dem Eincremen zu beginnen, als ich seine warmen Hände endlich an meinen Schultern spüre und oh Gott ... er macht es so gut. Er massiert mich, trifft wieder die Punkte, von denen ich dachte, dass sie nur Mediziner kennen. Das tut gut. Das habe ich nötig. Wehe, er hört auf! "Gut so?" "Wehe, du machst was falsch", murmele ich. Das fühlt sich perfekt an. Wenn er aufhört, halte ich ihm seine Waffe an die Schläfe.

Azad scheint ein wahrer Meister des Massierens zu sein. Noch nie hat es sich so gut angefühlt, die Oberarme durchgeknetet zu bekommen. Bei meinen Waden denke ich erst, dass ich mich winden und abbrechen muss, aber nein. Es fühlt sich so gut an. Zu gut. "So gut?" Ich brumme nur. Ich hätte nicht gedacht, dass ich an meinen kitzeligen Waden so viele Berührungen akzeptieren kann. Ich murre nur unzufrieden, als seine Hände tiefer wandern und schreie spitz auf. "Ich bin kitzelig! Fass die nicht an!" "Aber du hast trockene Haut." Ich ziehe meinen Fuß aus seinen Händen. Er soll sie nicht anfassen! "Mache ich selber", murre ich in seine Richtung. Ich war gerade so entspannt und dann muss dieser Perverse nach meinem Fuß grapschen. "Ich habe die Fußkettchen vermisst. Da dachte ich mir, das wäre ein prima Gelegenheit, sie zu betrachten." "Ich erwürge dich mit ihnen." Dieser alte Mörder wagt es tatsächlich verträumt zu seufzen, als hätte ich ihm seine Traumreise vorgeschlagen. "Du findest immer die perfekten Worte für mich." Plötzlich lässt er sich auf mich fallen. "Azad!", keuche ich. Seine 110 Kilo brauche ich nicht auf meinem Rücken. "Verzeihung." Er dreht uns ruckartig um, sodass ich auf seinem Bauch liege. "Schon viel besser, oder?" Ist das ... hat er etwa eine Erektion? "Wenn das eine Erektion ist, die du hast-," "Ist sie, Schneeflocke. Zweifele niemals an deiner Wirkung auf meinen Geist und Körper." "Du Ekel! Lass mich los!" "Ich will dich aber beißen." "Du wirst-, AH!" Er beißt mir wirklich in den Nacken!

"Und?", fragt er mich, als ich revidierend auf dem Eis herumkaue. "Geht. Am Anfang ist es gut, aber dann ist es zu süß." Ich weiß gar nicht, ob wir jemals das eine, gute Bubblegum-Eis finden werden. "Du hast einen sehr präzisen Geschmack, Schneeflocke. Ein Glück, dass ich gerade noch so reingepasst habe." Du passt rein optisch schon rein. Sei nicht so bescheiden, du alter, blauäugiger Mörder. "War großzügig mit dir." "Ich schätze es sehr. Du bist eine sehr kulante Geschäftsführerin." "Was sollen wir jetzt mit dem Eis machen? Wenn du es wieder aufisst, kriegst du wieder Bauchschmerzen." "Ich würde es von deinem Körper essen." Meine Augen verdrehen sich. "Das ist mein Ernst." Er meint es wirklich ernst. Azads Augen wandern meinen Körper seelenruhig hinab, während er das Eis in seiner Schüssel rührt. "Was sagst du, Schneeflocke? Eis auf Eis?" Ich ... ich weiß nicht. Wenn er so ruhig und sinnlich redet, habe ich das Gefühl, innerlich komplett zusammenzusacken. Er zieht mein Bein auf seinen Schoß, streichelt kreisend meinen Oberschenkel, wohl wissend, dass sich mein Unterleid deshalb zusammenzieht. "Bei dem warmen Wetter wäre das doch passend, nicht wahr?" Ich nicke, obwohl wir uns im klimatisierten Wohnzimmer befinden. Azad zieht den Stuhl näher zu sich, woraufhin ich den kalten Löffel nah an meiner Scham spüre und reagierend nach Luft japse. "Wie sollen wir beginnen?" Ich weiß es nicht. Ich fühle mich wie paralysiert, wenn er mich so gefasst ansieht, während seine Finger über die Spitze der lila Satinshorts fahren.

"Geh auf die Knie", wispere ich. Wie ich es geschafft habe, diese vier Worte zu sprechen, bleibt mir bei meiner Lage ein Rätsel. Ich könnte wimmern und stöhnen, als er anfängt, schief zu lächeln. "So herrisch, Schneeflocke. Genau, wie ich es liebe." Liebe. Es kribbelt in meiner Brust bei dem Begriff. Ich will ihn erwürgen, weil er mich plötzlich so emotional damit macht, kann es aber doch irgendwie überspielen, als ich animierend an seiner Hand ziehe. Er schiebt unsere Stühle zurück, kniet sich dann zwischen meine Beine, an denen ich schon das verlangende Pochen spüre. "Was kann ich für dich tun?" "Küss meine Beine." Ich will das Kribbeln an den Innenseiten meiner Schenkel spüren. Ich will sehen, wie sein Kopf zwischen meinen Beinen verschwindet, die er gerade auf seine breiten Schultern ablegt. "Lila ist auf deiner Haut verewigt. Du bist der Beweis der Natur, dass die Farbe einzig und allein dir gehört, Schneeflocke." Und ich nehme es so an, wenn er immer wieder solche hitzigen Küsse auf meine Dehnungsstreifen haucht. Aber warum noch mal macht mich das so emotional? Was stimmt nicht mit mir, dass ich deshalb weinen will? Ich lasse den Frust, der dabei entsteht, an seinem griffigen Haar aus, das er sich gewaschen hat und noch von der Feuchtigkeit wellig glänzt. Die Tat führt zu einem Szenario vor meinem geistigen Auge, indem er über mir im Bett liegt und ich seinen Nacken kraule. Irgendwas stimmt nicht mit mir.

Ich bin einerseits froh, aber auch genervt, als es plötzlich an der Tür klopft. Azad scheint es nicht geplant zu haben, denn er greift sofort nach seiner Waffe, als er sich mit strenger Miene erhebt und mir aufhilft. "Hast du jemanden eingeladen?", fragt er mich, als wir die Treppen ins Schlafzimmer aufsteigen und er mir ein Hauskleid überzieht. "Kann es nicht Jamal sein oder einer der anderen?" "Die würden mich anders kontaktieren und in einem gewissen Takt an der Tür klopfen." Er lädt die Waffe durch, zieht dann meine Glock aus dem Schrank hervor. Erst jetzt realisiere ich, dass es ernst ist - und ich bin absolut nicht bereit dafür. Auch nicht, als er mich zur Treppe zieht. "Bleib hier. Versuch auf die Köpfe zu zielen." Azad lässt mir ja nicht einmal die Wahl, zu reagieren, als er die Treppen runterstürmt und direkt nach der Klinke greift. Dieser Vollidiot soll doch durch den Spion schauen! Oder würden sie das sehen und ihn direkt erschießen? Meine Hände zucken sofort, als Azad die Tür öffnet, doch ich lasse mich fast weinend gegen das Geländer fallen, als es nur Aras und eine aufgebrachte Dilnia sind, die gerade ihren Bruder mit einer festen Umarmung überwältigt. "Oh mein Gott", murmele ich. Wäre das wirklich ein Überfall gewesen, dann wäre ich tot. "Was ist passiert?" Azad fährt beruhigend über Dilnias Hinterkopf. Warum weint die arme Maus? Ich lege die Waffe auf der Stufe ab und gehe sofort zu ihr, nicke Aras zu, damit er die Tür schließt, als ich Dilnias Hand auf Azads Rücken streichele. Erst jetzt sehe ich unsere namenlosen Babykatzen in der Ecke neugierig zu uns schauen.

"Suzan", beantwortet Aras Azads Frage seufzend. Was hat die Schlampe getan? "Ich will nicht mehr zurück! Sie soll endlich ausziehen!" Dilnia schnieft einmal und schaut mich seufzend an, drückt sich dann von ihrem Bruder weg, um mich fest in ihre zierlichen Arme zu ziehen. "Was hat sie gemacht?", frage ich. "Sie muss alles zerstören!" Dilnia fängt wieder an zu weinen, weshalb Azad und ich zu Aras schauen, der sich seufzend durch sein Haar fährt. "Dilnia hat von euren neuen Katzen erzählt und Bilder gezeigt und Suzan hatte wieder ein Problem damit." Ich sollte das Weib wirklich schlagen. Wie kann man wegen Katzenbabys verbittert werden? "Und was war ihr Problem?", schnauze ich. Aras hebt überfordert die Schultern an. Er scheint die Welt nicht mehr zu verstehen. "Ich weiß es nicht. Sie hat plötzlich davon angefangen, dass Azad wegen dir unnötig Geld ausgibt und alles machen muss und wahrscheinlich sich selbst um das Katzenklo und so kümmern muss." "Und selbst wenn, was juckt sie das?", fauche ich. Will mich diese Schlampe jetzt ernsthaft verarschen? Deshalb wird sie wütend? "Aber deshalb brauchst du nicht zu weinen, Dilnia." "Doch", schnieft sie. "Sie war gemein zu mir." Och, Dilnia. Ich drücke sie fester an mich. "Dilnia hat dich verteidigt und Suzan hat sie als Verräterin abgestempelt. Es wurde immer lauter, bis ich Dilnia genommen habe und wir jetzt bei euch sind. Suzan geht mir auf den Sack, also dachte ich, wir übernachten spontan hier." "Du schläfst neben dem Katzenklo." Mein Satz lässt Dilnia sanft kichern.

Azad streckt einladend den Arm Richtung Wohnzimmer. "Ich hole uns etwas zu trinken", seufzt er. Warum das plötzlich so attraktiv wirkt und mein Bauch kribbelt, weiß ich nicht, aber ich weiß, dass er es niemals wissen wird. Dilnia halte ich im Arm, bis wir auf dem Sofa sitzen. Das Eis und die zurückgeschobenen Stühle des Esstischs, ignoriere ich. "Wollt ihr Bubblegum-Eis?" So muss Azad nicht wieder Schmerzen erleiden, weil er das Eis schnell aufbrauchen will. "Ja", schnieft Dilnia. Sie wird sicherlich alles aufessen. Ich gehe in die Küche, lege das schmutzige Geschirr ab und hole zwei neue Schüsseln und Löffel hervor. "Ist alles in Ordnung?" Ich nicke. "War nur ein bisschen verschreckt. Wären das wirklich Mörder gewesen, wäre ich tot." "Das war mein Fehler. Ich hatte mein Handy nicht bei mir. Dilnia und Aras haben mich mehrfach angerufen und mir geschrieben, sowie die Sicherheitsleute, die dir auch schreiben." Und mein Handy liegt oben. Gut zu wissen. "Eigentlich reagiere ich gefasst und professionell. Schau, was du mit mir anstellst, Schneeflocke." Ich grinse, nur verstehe ich nicht, wieso ich rot dabei werde. Was ist heute nur los mit mir? Wieso finde ich seinen Satz heute so besonders gefühlvoll? Gleich knebele ich diesen blauäugigen Mörder! "Aber ich meine eigentlich wegen Suzan." Oh ... ach so. Ich verziehe angeekelt den Mund bei der Erwähnung dieser elendigen Schlampe. Ich will ihr so gern die Nase brechen. "Ranglos. Sie hat mir nichts zu sagen", spucke ich stumpf hervor. Er soll kein Mitleid mit mir haben. Wenn, dann will ich tatkräftige Unterstützung.

Wieder im Wohnzimmer hat Dilnia sich schon beruhigt. Ihre Augen und ihre Nase sind rot. Ihre Lippen wirken geschwollener durch das Weinen und sie hat es sich mit beiden Katzen auf dem Schoß gemütlich gemacht, die sich nicht aus ihren Griffen befreien können - das schaffe ja nicht einmal ich. "Wie heißen die?" "Ich habe immer noch keine Namen." "Dijan und Aras", grinst der Vollidiot neben Dilnia. "Das Katzenklo kann ich Aras nennen." "Schwägerin", erwidert er mit dramatischer Empörung. "Kannst du deine hübsche Freundin einladen? Ich vermisse sie." "Du kannst das Haus verlassen, wenn es dir nicht gefällt." "Aber du bist doch meine liebste-," "Iss das Eis", unterbreche ich ihn trocken. Dilnia kichert belustigt, lässt die armen Katzen endlich los und genehmigt sich eine große Menge an Eis, in das sie sofort verliebt ist. Hätten wir das vorher gewusst, hätten wir Azad eine Vielzahl an Magenschmerzen erspart. Ich spüre seine Anwesenheit schon hinter mir, erschaudere deshalb sanft und trete zur Seite. "Wir haben jemanden, der das Eis isst." Und wie es den Anschein hat, mag sie es sehr. Aras wirkt mit seinen kleinen Löffelspitzen ziemlich bescheiden und stiefmütterlich. Fast tut er mir schon leid. Nur zu blöd, dass er sich an meine Freundin heranmachen will. Daher überlege ich mir, das Katzenklo neben seinen heutigen Schlafplatz zu stellen, sobald er schläft.

Dilnia beruhigt sich Stück für Stück, wir spielen Skip-Bo, essen und sitzen dann an der - endlich - kühleren Luft um kurz vor 22:00 Uhr auf der Hollywoodschaukel im großen Garten. Es ist schon verrückt, wie sehr ich diesen Familienabend genieße. Das ist das erste Mal. "Liebste Schwägerin, ich hoffe, mein Schlafplatz ist kühl und gemütlich." "Badezimmerböden sind immer kühl." Er seufzt resigniert. "Was habe ich dir nur angetan?" "Deine Anwesenheit reicht mir." Dilnia kichert und Aras schmollt. "Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass mich deine süße Freundin herzlich empfängt und gut behandelt." Tut sie. Tut sie leider auch bei ihren schäbigen Familienmitgliedern. "Kann dich ja in einen Koffer verfrachten und dich vor ihrer Tür abliefern." Azad lacht in sich hinein und auch Dilnia lacht. Aras hingegen schüttelt schmunzelnd den Kopf und fährt sich über seine Stirn. "Du weckst unschöne Erinnerungen, Schwägerin." "Hat dich Azad in einen Koffer gepackt oder was?" "Ja", sagen alle drei blauäugigen Geschwister. Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen. Ich finde es zwar nicht verwerflich, Aras in einen Koffer zu stecken, aber warum hat mein Ehemann das getan? Ich schaue auffordernd zu ihm, will jedes Detail dazu wissen und kann anhand seines Schmunzelns schon erahnen, dass es sich wieder um eine kranke Geschichte aus ihrer kranken Welt handelt.

"Das war vor 4 Jahren. Wir waren mit Ayaz, Agir, meinem Vater und zwei unserer Onkel zu einer tschetschenischen Mafiaorganisation eingeladen worden. Problem war, dass wir nicht mit unserem Jet fliegen durften und Aras zu der Zeit keinen gültigen deutschen Pass hatte." "Wieso durftet ihr nicht mit euren?" "Jeder hat seine Prinzipien. Die Tschetschenen machen keine Witze und wollen nicht, dass wir schwere Waffen mit uns tragen, falls etwas passiert." Azad zuckt mit seinen Schultern, als würde es ihn nicht interessieren. Vielleicht zuckt er auch mit seinen Schultern, weil ihm klar war, dass er sie hätte ausschalten können. Keine Ahnung. "Wir wurden von ihnen mit einem Flugzeug abgeholt, als Aras auffiel, dass sein Pass abgelaufen ist. Jede Person in der Mafia ist von Misstrauen geprägt. So kurzfristig mitzuteilen, dass einer doch nicht mitkommt, war also nicht möglich. Daher hat eines der Mitglieder, die uns abgeholt haben, gesagt, dass wir Aras in einen Koffer packen sollen." Ich pruste los. "Wie hat er da reingepasst?" Seine Gelenke müssen über Stunden geschmerzt haben. "Das war ein XXL-Hartschalen Koffer. Die hatten den schon da. Wer weiß, wie oft die schon jemanden in den Koffer gesteckt haben", schmunzelt Azad. Aras scheint bei der Erinnerung nicht mehr so amüsiert zu sein. "Über den Flug konnte er noch bei uns sitzen, aber bei der Landung in St. Petersburg für die Kontrolle, haben die Stewardess und ich Aras in den Koffer gepackt." Was zur Hölle sehen die Stewardess immer, dass sie ohne Widerspruch einen lebenden Menschen in den Koffer packen?!

"Das war die schlimmste halbe Stunde meines Lebens. Die Bastarde haben gegen den Koffer getreten! Ich war kurz davor zu schreien, dass ich die gleich alle töte. Meine Waffe saß noch nie so unbequem an meiner Hüfte und ich hatte Paranoia, dass sie doch nicht mehr gesichert ist. Die haben mir auch erst Beruhigungsmittel angeboten, aber ich hatte Schiss. Außerdem habe ich schon gegessen und getrunken und wer weiß, was ich alles abgelassen hätte dann und wer sagt, dass sie mich nicht betäuben wollten, um eine Geisel zu haben?" Seine Augen sind weit aufgerissen und sein Zeigefinger an seiner Schläfe betont, wie leichtsinnig es doch wäre, hätte er das Angebot angenommen. "Ich hoffe, die Beine und Füße der Personen, die die ganze Zeit gegen den Koffer getreten haben, sind amputiert. Die haben mich gefickt! Von St. Petersburg bis Grosny habe ich mir doch was geben lassen. Ich war zwar nicht mehr im Koffer, aber ich bleibe nicht über einen Tag in einem Flugzeug. Ich hasse langes Fliegen. Hätte ich gewusst, dass wir so lange fliegen müssen, hätte ich lieber neben Toten gepennt, statt mitzugehen." Er schüttelt sich. Aras ist eine Dramaqueen, so viel steht fest. "Das Problem ist, dass ich auch nichts rauchen konnte, weil mein Vater-," "Du nimmst Drogen?", schnauze ich. Aras zuckt zurück, Azad hält mich an der Schulter fest. Ich will ihn nicht mehr sehen. "Er hat lange nicht mehr-," "Das ist mir scheißegal. Ein Kiffer hat nichts in meiner Nähe zu suchen und im Leben kommt ein kiffender Versager nicht an meine Freundin ran!" Mein Herz rast vor Aufregung.

Es wird still. Aras sagt kein Wort und Azad zieht mich an sich, um meine zitternden Hände zu drücken. Ich bin sauer, auch wenn es mich nur halb so sehr tangieren sollte. Immerhin ist Aras nicht mein Ehemann, aber er ist in meinem nahen Bekanntenkreis und ... argh! Ich will ihn nicht mehr ansehen. "Und wie ist die Ehe so?", fragt Dilnia nach einer Zeit zögernd. Meine Stimmung schwankt von verärgert zu verlegen. Ich habe das Gefühl, zu erröten. Heute stimmt etwas ganz gewaltig nicht mit mir, wenn es um Azad geht. Die letzten Tage sind im Gegensatz zu heute überhaupt nichts. Ich erschaudere jedes Mal sanft, wenn er spricht. Meine Haut reagiert jedes Mal mit einer Gänsehaut, wenn er lacht und mein Bauch kribbelt immer, wenn er mir näherkommt. Es soll aufhören! Mein rechtes Bein wippt zu oft. Mein Blick gleitet öfter zu ihm, als mir lieb ist. Es kommt mir so penetrant und aufdringlich vor, dass ich sofort zu ihm schaue, sobald er redet. Es ist mir zum Teil sogar unangenehm und ich zwinge mich, ihn weniger zu beachten, nur schenkt er mir dann immer Aufmerksamkeit, sobald ich mir diesen Vorsatz in den Kopf pflanze. "Nicht wahr, Schneeflocke?" Genau wie jetzt! Ich bin absolut planlos, schaue zu Dilnia, dem grinsenden Idioten neben ihr und dann zu Azad. "Was?" "Du hast hier doch das Sagen." Ach so ... keine Ahnung, wieso mir jetzt wieder so heiß bei seinem sanften Lächeln wird. Ich will seine Grübchen und die Lachfalten an seinen Augen nachfahren und die süßen, kleinen Wellen, die durch die Luftfeuchtigkeit an seiner Stirn kleben. Ich drehe gleich durch!

"Ich will auch heiraten", murrt Dilnia, woraufhin beide Brüder sie streng ansehen. Ich schmunzele. "Ich will!" "Dilnia", ermahnt Azad sie ruhig. Aras seufzt nur. "Du darfst, aber ich nicht?" "Bei mir war es Schicksal." Na ja ... und eine Abmachung. Wenn seine Drecksschwester das wüsste, dann wäre was los. "Und wieso darf Aras was von Avins Freundin?" "Darf er nicht", sagen Azad und ich im Chor. "Warum?", erwidert Aras wehleidig. Dass er das noch fragt, vor allem nach dieser Erkenntnis. "Ruhe." Dilnia kichert und Azad zieht mich amüsiert an sich ... zu viel Intimität in der Öffentlichkeit. In meinem Bauch kribbelt es wieder so stark. Ich würde ihn am liebsten in den Pool werfen, weil er so komische Dinge in mir auslöst, aber gerade kann ich nichts anderes, als mein Gesicht verlegen mit meiner Hand zu verdecken. Die Tage vergehen alle so schnell, aber so erschreckend schön. Wieso können sie nicht langsamer vergehen? Woher kommen diese angenehmen Gefühle so plötzlich? Wieso kann ich nicht aufhören, zu lächeln, sobald ich ihn ansehe? Und wieso passiert es wieder, als er die Tür unseres Schlafzimmers nur einen kleinen Spalt weit für die Katzen aufhält und mich ansieht? Ich will gar nicht lächeln! Er soll aufhören damit! "Du wirkst so glücklich heute, auch nach dem kleinen Zwischenfall." Und obwohl die Tatsache so klar und offensichtlich ist, fühle ich mich eiskalt erwischt und überrumpelt. Mir kommt kein Wort über die Lippen. Ich zucke nur stumm die Schultern.

"Es gefällt mir, dich so unbeschwert und frei zu sehen. Du warst zu oft und zu lange betrübt." Das war ich. Das war mir immer bewusst und doch trifft mich seine Aussage mit einer so unbeschreiblichen Stärke, dass sich mein Blick wortlos auf den Boden senkt. Wenn ich wieder emotional werde - ungewöhnlich oft heute -, dann soll er meine Tränen nicht sehen. "Ich gönne es dir vom Herzen, Avin. Es freut mich, endlich deine Grübchen sehen zu können." Wenn er so weiter macht, tue ich noch etwas Unüberlegtes. Noch toleriere ich es, dass er sich mir nähert und mein Gesicht anhebt und noch dulde ich es, wie sein Daumen über meine Wange streicht. "Du lachst zu selten. Ich vermisse es, obwohl ich dich täglich sehe." Ich kann gleich wirklich nicht mehr standhaft bleiben und so schön dieser Moment auch ist, muss ich ihn unterbrechen und ins Bett flüchten. Ob Azad das bemerkt hat und sich deshalb zu mir ins Bett legt, weiß ich nicht, aber weshalb auch immer er es tut, ich will ihn umarmen. Fest, lang, innig. Ich will kleine Küsse auf die Stirn bekommen. Ich will einfach nur gehalten und geliebt werden, so sehr ich mich auch davor fürchte. Jetzt, wo auch kein Licht mehr brennt, fühle ich mich ein wenig sicherer. Ich nehme jede seiner Bewegungen wahr, die er auf dem Weg ins Bett tätigt. Heute wirkt meine Haut besonders sensibel, sodass sie schon bei den kleinsten Regungen seinerseits kribbelt.

"Ich hoffe, Dilnia hat sich beruhigt." Ich summe, kann mich kaum auf das Gesagte konzentrieren, weil mein Körper wieder verrücktspielt bei seiner Nähe. Ich habe keine Geduld. Wirklich. Ich halte das heute nicht mehr aus, lege mich deshalb wortlos in seine Arme und drücke ihn fest an mich. Ich brauche das. Ich brauche es so sehr. Seine Erwiderung wirkt, als hätte er die ganze Zeit darauf gewartet und es entspricht auch der Wahrheit, denn sonst muss er den ersten Schritt machen. "So habe ich meine Abende im Bett am liebsten." Ich auch, Azad. Ich auch. Ich kann es mir nicht verkneifen, über seinen breiten Nacken und seine Schultern zu fahren. Es fühlt sich so gut an. Ich genieße es so sehr. Als ich dann seine Hände über meine Taille streicheln spüre, würde ich am liebsten meine Beine um ihn schlingen. Ich drücke Azads warmen Körper noch fester an mich, obwohl es keinen Platz mehr zwischen uns gibt, aber weil ich gerade auf ihn angewiesen bin, drehe ich seine 110 Kilo auf meinen Oberkörper, mir egal, wie schwer ich jetzt mit ihm auf meinem Brustkorb Luft kriege. "Das ist zu schwer für dich." "Passt schon", murmele ich gegen sein Schlüsselbein. Er soll still sein und sich nicht bewegen. Ich kann diese plötzliche Gier nach ihm nicht erklären. Meine Nägel graben sich langsam in seine Schultern und seine Kopfhaut und ich will am liebsten in seine Haut schlüpfen, um ganz nah an ihm zu sein.

"Habe ich irgendetwas gemacht?" Ich weiß es nicht. "Hast du was zu verheimlichen?" "Nein, aber ich weiß gerade nicht, ob das ein langsamer Würgegriff ist oder du deinem Ehemann ein bisschen Liebe schenken willst." Ein bisschen Liebe, hm. Ich weiß nicht, ob ich es so nennen soll. "Ein liebevoller Würgegriff." Seine Lippen verziehen sich an meinem Hals zu einem Lächeln. "Das gefällt mir." Mir auch, Azad. Mir auch. Ein bisschen zu sehr. Und weil ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll, beiße ich ihm sanft in die Halsbeuge. "War das ein Liebesbiss?" Ich glaube schon. Scheiße, mir steigen gerade deshalb wirklich die Tränen auf. Ich beiße noch einmal zu, ein wenig fester, in der Hoffnung, die Tränen würden versiegen. Was ist los mit mir?! Wieso macht mich das so sensibel? Ich war heute öfter den Tränen nahe als das gesamte letzte Jahr! Das Schlimmste ist, dass ich es nicht schaffe, die Tränen zurückzuhalten. Das ist nicht gut. Das ist gar nicht gut. "Avin?" "Sei still", flüstere ich, hoffe, dass er das kleine Zittern in meiner Stimme nicht gehört hat. Er will sich von mir lösen, aber ich weigere mich, drücke ihn immer fester an mich, nur habe ich keine Chance, als er meine Handgelenke gegen das Kissen drückt und sich so von mir abstützt. Ich will ihm nicht in die Augen schauen, wenn meine glasig und nass sind. Mein Blick weicht nach links zum Fenster, in der Hoffnung, das Mondlicht würde mich beruhigen und ablenken, aber genau das macht mich umso emotionaler, weil es sich noch schöner damit anfühlt!

"Du siehst schön aus, wenn du weinst." "Ich bringe dich gleich zum Weinen", flüstere ich. "Ich weine gern deinetwegen und für dich." Durchatmen. Ich muss tief durchatmen und schniefen und dann wird es mir schon gleich sicherlich besser gehen. Ich drehe mein Gesicht wieder zu ihm. Wie schön sein Gesicht im Mondschein leuchtet und die kleinen halben Löckchen an seiner Stirn hervorhebt. Die Luftfeuchtigkeit heute hat seinen Haaren sehr geschmeichelt. Ich fahre durch sie, ziehe einmal sanft daran. "Kannst du mir sagen, was passiert ist?" "Ich weiß es selbst nicht", erwidere ich wahrheitsgemäß. Ich weiß nur, dass meine Gefühle verrücktspielen. Ich weiß nur, dass ich alles anders wahrnehme. Ich fühle mich nach Jahren wieder belebt, so frisch. Ich fühle mich wie an einem Abend auf einer leeren Straße voller Schnee. Ich bemerke die Frische. Ich erkenne den Unterschied zur Monotonie meines Herzes. "Du fühlst, Avin." Ich fühle ... ich fühle. Ich fühle zu viel gerade. So viel, dass mich dieser kleine Satz schon wieder sensibel macht. "Ich will mehr fühlen." Jedes Wort, jeder Satz lässt neue Wogen an Gefühlen in mir emporsteigen. Es ist gefährlich, so unwissend in ein volles Meer an Emotionen zu steigen, aber ich kann gerade nicht anders. Ich will, dass er sich mir nähert. Ich will seine Nähe an meinen Lippen spüren. Ich will die Wärme seines Mundes an meiner Haut. Meine Hand gleitet über seinen Arm zu seinem Nacken, um ihn näher zu mir zu ziehen. Seine Lippen sind zu schön, um sie nicht zu berühren. "Bist du dir sicher?" Nein. Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.

Und anhand meines Zögerns zieht er sich doch ein Stück zurück, küsst statt meiner Lippen meine Nasenspitze und dann meine Stirn. "Wir haben Zeit, Schneeflocke. Und wenn ich dich erst an einen bestimmten Ort dieser Erde fahren oder fliegen muss, bis du dich sicher und wohl genug fühlst." Damit legt sich Azad wieder auf seine Betthälfte und zieht mich eng an seine Brust, küsst wieder meine Stirn und krault meinen freien Oberarm. "Ich dachte, ich hätte es mir die letzten Tage nur eingebildet, aber da ist doch wirklich etwas anders mit dir." "Kann auch eine Wahrnehmungsstörung sein. Bist alt." Er lacht leise. "Das kann es natürlich auch sein, Schneeflocke." Seine Finger hören mit dem Kraulen auf und umschlingen stattdessen meinen Arm. "Jedoch kann meine kleine, sture Ehefrau auch einfach nicht einsehen, dass ihr alter Ehemann doch etwas bemerkt. Immerhin riecht er Angst. Da sollten andere Emotionen nicht allzu schwer für ihn sein." Ich beiße ihm wieder in die Brust, die er neckend zucken lässt. "Fester, Schneeflocke. Du weißt doch, dass ich es brutal mag." "Du bist krank." "Wahrlich nach dir." "Alter Schleimer." Ich muss grinsen. Mir geht es heute echt nicht gut. "Du bist bald 24, Schneeflocke. Langsam mutierst du auch zu einer alten Geschäftsführerin." Stimmt. Mein Geburtstag kommt immer näher. "Du willst überhaupt keine Feier? Dilnia liebt Geburtstagspartys." "Ich weiß nicht, was ich da tun soll." "Sie liebt die Erinnerung und die ganzen Fotos, die sie dabei macht. Die Partys sind eigentlich ganz gut, wenn Dilnia sie plant." "Geht es auch nach meinem Geburtstag?" "Wann immer du willst, Schneeflocke."

Es wird still zwischen uns. Das Einzige, was ich bemerke, sind das Tapsen und Krallen der Katzen auf der Decke, die gerade zu uns ins Zimmer kommen. Jetzt liegen wir wie eine kleine Familie zusammen auf dem Bett. "Hast du die Tage etwas geplant?" Ich verneine es summend. "Gut", wispert er. "Nach deinem Geburtstag würde ich gern einen Waffen-Lernplan für dich erstellen." Ich murre. "Will nicht lernen." "Musst du, Schneeflocke. Im Studium kommst du nicht drumherum", tadelt er mich sanft und tätschelt meinen Arm. "Sieh es positiv. Es gibt auch Messerkunde." "Ist dein Körper mein Versuchsobjekt?" "Mein Körper steht seit unserem ersten Treffen als Versuchsobjekt für dich zur Verfügung", raunt Azad in mein Ohr. Ich will einen fiesen Spruch ansetzen, aber plötzlich ... spielen meine Gedanken verrückt. Statt Messer, die ich auf ihn werfen will, stelle ich mir all die fehlgeschlagenen Versuche vor, die wir beenden. Und wie wir inniger werden. Passionierter. Oh Gott. "Sei auf das Schlimmste gefasst", murmele ich. "Das Schlimmste ist das Beste. Mach mich nicht verrückt, wenn wir nicht allein sind." Dieser Mann ist unbeschreiblich! Er ist krank und derb und das Krankste und Derbste ist, dass ich genau das mag. Niemals hätte ich gedacht, dass es mir gefällt. Niemals hätte ich gedacht, dass ein moralisch fragwürdiger Mann so nah an mein Herz kommen kann.

Niemals hätte ich gedacht, dass ich mich nach der Wärme eines Mannes so innig sehnen kann.

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