Gefühle?

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„Unser Plan lautet wie folgt", beginnt Kaíyra, als wir uns am Abend in eine kleine Höhle am Rande der Felsenschlucht zurückgezogen haben. Die Trolle sind zwar noch mindestens eine Tagesreise entfernt, aber manchmal sind sie so laut dass der Schall von den steinernen Wänden zurückgeworfen wird und wir ihr Knurren und Grölen sogar noch in unserem Versteck hören können.
Mir jagt es immer wieder aufs neue einen Schauder über den Rücken, Kaíyra hingegen lässt sich absolut nichts anmerken.
„Ich habe während unserer Reise viel darüber nachgedacht und es erscheint mir als das Klügste.
Ursprünglich war mein Plan, mich in ihre Höhle zu schleichen und den Stein zu finden, möglichst unentdeckt. Ich fürchte aber das wird nicht so einfach sein, da Trolle uns Elfen sehr gut am Geruch erkennen können. Sie riechen äußerst differenziert, wenn man sich sonst einmal ihr grobes und unförmiges Äußeres ansieht, sogar Angst und Nervosität können sie wahrnehmen."
Gespannt lausche ich Kaíyras Worten, während ich nebenbei mein Abendessen verspeise. Es stammt noch aus dem Proviant des Ziegenmannes und ich gebe mir große Mühe, dieses Detail beim Essen auszublenden.
„Interessanterweise verhält es sich bei Menschen aber anders. Es scheint als wäre euer Geruch weniger intensiv als unserer, die Trolle tun sich schwer ihn wahrzunehmen und auch mit eurem Charakter wissen sie nicht umzugehen. Trolle und Menschen treffen so gut wie nie aufeinander, sie können dich und deine Handlungen also kaum einschätzen. Das alles, zusammen mit deinem Talent unerkannt zu stehlen, ist ein enormer Vorteil für uns, den wir nutzen werden."
Die Elfe macht erneut eine Pause und begutachtet ihre Pfeilspitze, die sie gerade geschärft hat. Denn je näher wir den Trollen kommen, desto akribischer bereitet sich auch Kaíyra auf unser Zusammentreffen vor.
„Wir werden also folgendermaßen vorgehen: Ich werde durch das große Tor in der Felsenschlucht die Höhle betreten. Natürlich werden mich so die Wachen bemerken und hoffentlich zu Gknau'z bringen. Das ist ihr Anführer", erklärt Kaíyra schnell auf meinen fragenden Blick hin, ich nicke verstehend.
„Ich werde versuchen ihm höflich und geduldig zu erklären, dass ich den Stein zurück brauche. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird Gknau'z sich nicht darauf einlassen und mich wieder fort schicken. Und dann wirst du ins Spiel kommen.
Während ich versuche die Trolle durch mein Anliegen so lange wie möglich abzulenken, wirst du durch eine kleine versteckte Öffnung im Felsen von oben in die Höhle gelangen. Und ab da musst du dir den Weg alleine zur Schatzkammer suchen, die meines Wissens in einer Art Verlies, tief unten im Gestein liegt."
Ich schlucke einmal heftig und sehe Kaíyra mit großen Augen an.
„Ich finde es ja toll, dass du so viel Vertrauen in mich hast, aber das klingt nicht gerade einfach. Um ehrlich zu sein ziemlich unmöglich. Ich bin in der Höhle gefangen, sobald ich sie einmal betreten habe. Wenn sie mich entdecken habe ich keine Möglichkeit mehr zu fliehen, da gibt es kein Fenster, aus dem ich mich fallen lassen oder einen Schrank, in dem ich mich verstecken kann. Nur rauer, nackter Fels."
Die Elfe nickt zustimmend, dann antwortet sie mir bedacht.
„Ich gebe zu, dass es eine schwierige Aufgabe ist, aber anders wird es nicht funktionieren.
Wenn du mit Gknau'z sprichst, könnte es sogar sein, dass er dich umbringt, während ich den Stein suche, außerdem hätte ich weit größere Schwierigkeiten mich auf Grund meines Geruchs unbemerkt zwischen den Trollen zu bewegen."
Nachdenklich falte ich die Hände in meinem Schoß zusammen. Kaíyra hat mal wieder Recht. Leider. Ihre Argumente sind hieb und stichfest.
„Aber wäre das nicht auch der Fall gewesen, wenn du ohne mich den Auftrag durchgeführt hättest?", frage ich trotzdem noch einmal nach, doch auch hier hat die Elfe eine plausible Antwort.
„Natürlich. Und ich hätte dabei den ein oder anderen Troll töten müssen, was wir jetzt mit großer Wahrscheinlichkeit verhindern können. Und das ist nicht nur wichtig für den Frieden zwischen Trollen und Elfen sondern auch für mich. Denn Elfen töten nur, wenn es absolut notwendig ist."
Eine Weile ist es still zwischen uns, während wir beide im Kopf noch einmal den Plan durchgehen und ihn auf Denkfehler überprüfen. Trotzdem wird mir mit Mal zu Mal klarer, dass ein großer Teil seines Erfolges an mir und an meinen Fähigkeiten liegt. Und das macht mich nervös.
„Woher kannst du dir so sicher sein, das Gknau'z dich nicht töten wird?", frage ich Kaíyra schließlich und wie aufs Stichwort hören wir das drohende Grollen eines Trolles durch die Schlucht hallen.
Kaíyra schmunzelt.
„Er kennt mich. Wir sind uns schon ein- zweimal begegnet und er war nach anfänglichen Schwierigkeiten eigentlich ein recht umgänglicher Kerl."
Überrascht ziehe ich die Augenbrauen hoch und mache eine auffordernde Handbewegung.
„Wirklich? Bitte erzähl mir davon. Wie und wo seid ihr euch schon einmal begegnet?"
Kaíyra schüttelt erst belustigt den Kopf über mein offenkundiges Interesse, doch dann erzählt sie bereitwillig.
„Es war auch hier im Gebirge, etwa vor 60 Jahren, ich war damals noch eine Jugendliche, etwa so wie du es jetzt bist."
Die Elfe zwinkert mir einmal schelmisch zu, doch ich rolle nur lächelnd die Augen, ihre Sticheleien machen mir mittlerweile nur noch wenig aus.
„Nun kurz gesagt, ich war zusammen mit Vendor und einigen anderen Krieger unseres Volkes zurück auf dem Weg nachhause, als wir Gknau'z damaligen Unterschlupf im Wald zu nahe kamen, und er uns ohne Vorwarnung angriff.
Wir lieferten uns mit den Trollen einen kurzen blutigen Kampf, bis es Vendor schließlich gelang ihm einen Deal anzubieten. Unser Leben gegen ein ansehnliches Vermögen aus Gold und Edelsteinen.
Gknau'z ließ sich schließlich darauf ein und man entsandte mich, um die versprochene Gegenleistung zu holen, die anderen Elfen blieben als Geiseln zurück.
Natürlich gab unsere Königin das Gold und die wertvollen Steine freiwillig heraus, auch wenn ich mir vorher einen  zornigen Vortrag anhören durfte, an den ich mich bis heute gut erinnere. Aber seit dem herrscht eine unausgesprochene Waffenruhe zwischen uns Elfen und den Trollen.
Und ich bin für Gknau'z eine Art guter Bote, der ihm zu enormen Reichtum verholfen hat.
Er wird mir also nichts tun. Auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, das er mir meine Waffen abnehmen wird, sobald ich seine Höhle betrete. Wundere dich als nicht darüber, solltest du es beobachten können."
Ich verziehe ein wenig das Gesicht, denn mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass Kaíyra ohne ihr Schwert und ihren Bogen den riesigen Trollen gegenübertreten muss, die sie wohl mit einem einzigen Faustschlag zerschmettern könnten.
„Worüber denkst du gerade nach", lächelt die Elfe, denn natürlich hat sie meinen Unmut längst registriert.
„Darüber, dass du mehr oder weniger schutzlos diesen Monstern ausgeliefert sein wirst und dass ich mir Sorgen um dich mache", eröffne ich ihr bereitwillig, worauf Kaíyra mich mit schief gelegten Kopf nachdenklich mustert.
„Du vergisst, dass ich eine Elfe bin, Raine", sagt sie sanft und das Lächeln kehrt auf ihre vollen, roten Lippen zurück,"sie mögen vielleicht groß und stark sein, aber ich bin schnell, wendig und ihnen auch intellektuell weit überlegen. Außerdem...habe ich gehört, dass ich ziemlich verführerisch sein soll?"
Bei diesen Worten der Elfe schießt mir augenblicklich das Blut in die Wangen und ich drehe verlegen den Kopf zur Seite, während ich Kaíyra amüsiert lachen höre. Doch nach wenigen Sekunden verstummt das Lachen und stattdessen spüre ich eine sanfte Hand an meinem Kinn, die mein Gesicht vorsichtig wieder zurück dreht.
Sofort begrüßen mich die warmen Augen der Elfe, in denen sich noch immer ein kleines Lächeln versteckt, doch ihre Worte sind ruhig und ehrlich.
„Bitte denke nicht zu viel über mich nach, Raine. Konzentriere dich auf deine Aufgabe, nicht auf mein Wohlergehen. Ich werde es ohne Probleme wieder hinausschaffen, du bist diejenige, um die wir uns beide Sorgen machen sollten.
Du hast Zeit solange ich mit Gknau'z spreche, aber wenn du danach nicht wieder wohlbehalten hier bist, dann werde ich kommen und dich suchen, das verspreche ich dir."
Die Stimme der Elfe ist weich und ihre Hand, die mittlerweile von meinem Kinn an meine linke Wange gewandert ist, streichelt sanft über meine Haut, während ihre beinahe goldenen Augen mich fest ansehen und mir ein stummes Versprechen geben.
Ich werde dich nicht im Stich lassen.
„Versprich mir, dass du dich nicht von deinen Gefühlen zu mir leiten lässt. Egal, was auch geschehen wird. Du musst unbeschadet wieder aus der Höhle hinausgelangen, wenn möglich mit dem Stein. Alles andere ist nebensächlich. Versprich es mir."
Ich schlucke einmal heftig, denn ich habe mittlerweile einen richtigen Kloß im Hals, mein Herz schlägt zu schnell und die unmittelbare Nähe der Elfe, führt dazu, dass ich nicht mehr klar denken kann...Denn sonst hätte ich den nächsten Satz vielleicht nicht gesagt.
„Ich verspreche es dir, aber es hört sich für mich so an, als müsstest du mir dieses Versprechen genauso zurückgeben."
Sofort beiße ich mir auf die Lippe, doch es ist zu spät. Was gesagt ist, ist gesagt. Und ich kann es nicht mehr ändern. Jetzt bleibt mir nur noch inständig zu hoffen, dass die Elfe mir diese anmaßende Forderung nicht allzu übel nimmt...
Kaíyra aber sieht mich nur unverändert an, ihr Blick allerdings wandert kurz von meinen Augen zu meinen Lippen und wieder zurück.
Für einen Moment sieht es so aus, als wollte sie selbst etwas sagen, doch dann schließen sich ihre vollen Lippen ohne einen Ton wieder und auch ihre Hand verschwindet von meiner Wange. Die Elfe steht auf.
„Du wirst etwa eine halbe Stunde Zeit haben, danach musst du wieder zurück an der Felsenöffnung sein. Wir werden uns dort treffen."
Und mit diesen gleichgültigen Worten entfernt sie sich schnell einige Schritte von mir, um ihr Nachtlager in einer dunklen Nische vorzubereiten.

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