Das zwischen uns...

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Der Morgen graut bereits als der Regen endlich ein wenig nachlässt und in ein leises Tröpfeln übergeht. Doch trotz der schützenden Höhlendecke über meinen Kopf habe ich die gesamte Nacht über kein Auge mehr zugetan. Und das liegt nicht nur an meiner immer noch schmerzenden Wange.
Seufzend lehne ich mich zurück an die steinerne, unebene Wand hinter mir und beobachte im Licht der aufgehenden Sonne wie dicke Nebelschwaden über das nasse Gras ziehen und zwischen den dunkeln Bäumen verschwinden. Die Welt da draußen sieht so friedlich aus, so unberührt und so sanft, ganz im Gegenteil zu den Gefühlen in meinem Herzen. Denn dort tobt schon seit Stunden ein Kampf, der mir einfach keine Ruhe lassen will. Kaíyras allgegenwärtige Anwesenheit hilft da kein bisschen. Wann auch immer ich einen kurzen Blick in ihre Richtung riskiere, erwarten mich bereits bernsteinfarbene Augen und erwidern meinen Blick mit einem neutralen aber stets abschätzenden Ausdruck. Und jedes Mal sehe ich schnell zu Boden und wende meine Aufmerksamkeit wieder anderen Dingen zu. Trotzdem kann ich nicht verhindern, dass jeder Blick der Elfe, jede Berührung und sei sie auch noch so zufällig, mein Herz zum rasen und meine Hände zum zittern bringt. Ein Schaudern überläuft meinen Körper und ich unterdrücke das Bedürfnis aufzuspringen und hinaus in den Regen zu laufen. Und sei es nur um dieser unangenehmen Situation mit Kaíyra zu entkommen!
„Worüber denkst du nach?"
Die sanfte Stimme der Elfe schallt leise durch die kleine Höhle aber ich zucke dennoch zusammen. Und gleichzeitig fühle ich mich ertappt.
„Nichts...wichtiges", erwidere ich kurzangebunden und mache mir nicht einmal die Mühe mich nach meiner Begleitung umzusehen. Ich kann auch so ihren wachsamen Blick auf mir spüren.
„Raine, ich bin fast 152 Jahre alt. Ich weiß wenn mich jemand belügt."
Kaíyras Stimme ist weiterhin ruhig, doch ich höre deutlich einen Anflug von Ärger darin und so schließe ich nur ergeben die Augen und atme tief durch.
„Du würdest mich auslachen wenn ich es dir sage."
Dieses Mal drehe ich sogar den Kopf und sehe hinüber zu der Elfe, die im Schneidersitz anmutig auf dem trockenen Höhlenboden sitzt. Ihre schlanken Hände sind in ihrem Schoß gefaltet doch ihre aufmerksamen Augen mustern mich besorgt.
„Das glaube ich nicht", antwortet Kaíyra sanft und der Anflug eines Lächelns huscht über ihre vollen Lippen,"Gedanken die dich beschäftigen sind es immer wert ausgesprochen zu werden. Und wer dir wirklich zuhört, wird dich verstehen."
Stumm sehen wir uns an. Lange sagt niemand von uns beiden etwas. Schließlich breche ich die Stille.
„Warum bist du so?", flüstere ich und wage kaum zu atmen, als Kaíyra mir ein kleines aber ehrliches Lächeln schenkt. Und in meinem Bauch kribbelt es mal wieder.
„Hör auf zu träumen, Menschenkind", sagt Kaíyra leise, doch obwohl ich verstehe was sie mir damit sagen will, tut es nicht weh. Im Gegenteil. Es weckt etwas in mir. Etwas, was um die Gunst dieser Frau kämpfen möchte.
„Ich weiß nicht, ob ich das will", erwidere ich darum matt und suche den Blick ihrer beinahe goldenen Augen,"noch weniger, ob ich es kann."
Die Elfe sieht mich lange an, dann seufzt sie.
„Egal was du gerade fühlst, Raine, ich kann dich beruhigen. Es ist normal. All diese verwirrenden und widersprüchlichen Gefühle und Gedanken in dir sind nicht deine Schuld."
„Wie meinst du das?"
Verwundert sehe ich sie an und meine in dem hübschen Gesicht der Elfe sogar so etwas wie Verlegenheit zu erkennen.
„Menschen...Menschen reagieren anders auf uns Elfen. Sie fühlen sich zu uns hingezogen, alles an uns wirkt einladend und betörend auf sie. Und das nicht nur bei dem jeweils anderen Geschlecht."
Kaíyra wirft mir einen schuldbewussten Blick zu, während ich sie nur weiterhin fassungslos anstarren kann.
„Ich hätte es dir früher sagen sollen. Das tut mir leid. Ich hätte nicht zulassen sollen, dass du überhaupt erst in diese Situation kommst."
Ich schüttle nur stumm den Kopf und versuche einfach zu verarbeiten was Kaíyra mir soeben gesagt hat. Aber... ich werde nicht wirklich schlau aus ihren Worten.
„Also-", beginne ich nach einem Moment langsam, immer noch bemüht das Chaos in meinem Kopf und meinem Herzen zu ordnen,"diese Gefühle, die ich habe... ist das... ich meine...bin ich verliebt in dich?"
Unsere Blicke treffen sich erneut und diesmal sehe ich nicht weg. Auch Kaíyra macht keine Anstalten den Kontakt zu beenden. Stattdessen sieht sie mich ernst an.
„Nein. So schlimm ist es nicht. Es ist viel mehr eine starke Schwärmerei, die dich Dinge tun und denken lässt, obwohl du es gar nicht willst. Das ist auch der Grund weswegen sich Unseresgleichen vor einigen hundert Jahren wieder in die Wälder zurückgezogen haben. Das Chaos in den Städten war unermesslich."
Gebannt lausche ich Kaíyras Worten, doch obwohl sie mich eigentlich beruhigen und erleichtern sollten, verspüre ich nichts der gleichen. Meine Gefühle sind nicht echt... und dennoch. Ein kleiner Teil von mir wünschte sie wären es.
„Egal wo wir auch auftauchten, es verursachte nur Ärger. Männer verließen ihre Familien, Frauen klopften nachts an unsere Türen und baten um Einlass, selbst die Kinder hörten auf zu spielen, wenn wir vorbeiliefen. Um es kurz zu machen, das Zusammenleben von Mensch und Elf funktionierte nicht. Und so zogen wir uns wieder zurück, um den Erhalt der menschlichen Rasse und auch der unseren zu gewährleisten. Aber wie du siehst, selbst nach hunderten Jahren strikter Trennung wirkt diese Anziehungskraft noch immer."
„Befinden sich deswegen so gut wie nie Elfen unter uns Menschen?", frage ich nun doch neugierig dazwischen, aber Kaíyra schüttelt nur den Kopf.
„Mein Volk bewegt sich weit mehr unter euch, als ihr es für möglich haltet, allerdings bleiben wir nie lange an einem Ort. Denn selbst wenn ihr uns nicht als Elfen erkennt, euer biologischer Instinkt führt euch fast immer zu uns."
Ich nicke langsam und sehe hinab auf meine Hände, unsicher was ich als nächstes tun soll. Allerdings weiß ich genauso gut wie Kaíyra, dass eine letzte Frage noch unausgesprochen in der Luft hängt. Eine sehr wichtige Frage. Also stelle ich sie.
„Wann hört das wieder auf?"
Ich habe es nicht direkt formuliert, aber Kaíyra versteht mich auch so. Dennoch zögert sie kurz.
„Sobald du nicht mehr in meiner Nähe bist. Nur wenige Stunden und alles wird wieder normal sein."
Erneut nicke ich und sehe hinaus in die aufgehende Sonne. Inzwischen hat es aufgehört zu regnen und die Sonnenstrahlen lassen die Tropfen an den Gräsern und Sträuchern wie Millionen von Diamanten glitzern.
„Wir sollten aufbrechen."
Die Stimme der Elfe ist sanft.
Und ich stehe augenblicklich auf.
„Lass uns gehen."

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