Feuerknistern

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Ich bin in den ersten Sekunden wie erstarrt. Einzig mein Herz pocht laut, in der Stille um mich herum.
Ich spüre Kaíyras schlanke Hände auf meinem Rücken, die Wärme ihres Körpers so dicht an meinem, das Gefühl von Haut auf Haut, als sich ihre weiche Wange an meine schmiegt.
Und dieser unbeschreibliche Duft, den ich tief in meine Lungen ziehe.
Zuerst kann ich mich vor Erstaunen und Überraschung nicht einen Zentimeter bewegen, doch nach und nach realisiert mein Gehirn, was hier gerade vor sich geht und ich bin wieder halbwegs handlungsfähig.
Wie in Zeitlupe hebe ich langsam meine Arme und lege sie vorsichtig um die Taille der Elfe. So vorsichtig, als könnte sie schon von der kleinsten Berührung aufgeschreckt werden und diesen wunderschönen Moment für immer zerstören...
Ich kann nicht sagen, wie lange unsere Umarmung gedauert hat, aber irgendwann löst sich Kaíyra sanft von mir und sieht mich mit weichen Blick an.
„Wir müssen weiter, kannst du gehen?"
Ihre Stimme ist leise aber fest, ganz im Gegensatz zu meiner, die zittert, als ich der Elfe antworte.
„Ja.. aber wohin gehen wir?"
Noch immer merke ich die Auswirkungen des Gifts in mir, aber die Symptome sind bereits so gut wie verschwunden. Zurück bleibt nur eine große Erschöpfung.
„Noch etwas weiter weg. Weg von der Folise. Ich will verhindern, dass der Nachtwind noch irgendwelche Duftstoffe in deine Nähe bringt."
Kaíyra steht langsam auf und reicht mir die Hand, welche ich ohne zu zögern ergreife. Ihre starken Finger schließen sich um meine und ziehen mich ohne große Mühe auf die Beine. Auf sehr wackelige Beine.
Auch das entgeht dem scharfen Blick der Elfe natürlich nicht.
„Ich bin immer noch schockiert darüber, wie sehr dir der Baum zugesetzt hat", sagt sie nachdenklich und umfasst meinen Oberarm, um mich zu stützen, als wir uns langsam in Bewegung setzen. Ich sehe sie nur resigniert an.
„Wie meinst du das?"
Kaíyra legt den Kopf leicht schief, während sie geduldig neben mir her läuft, immer darauf bedacht, dass ich nicht stürze.
„Ich kenne die Folise schon seit ich ein kleines Kind bin. Sie wächst an so manchen, schattigen Stellen in meiner Heimat."
Es ist das erste Mal in unsere gemeinsamen Zeit, dass die Elfe ihre Heimat erwähnt. Doch ich beschließe sie erst einmal nicht zu unterbrechen und stattdessen weiter ihren leisen Worten zu lauschen.
„Natürlich habe auch ich schon einmal zu viel Zeit im Einflussbereich der Folise verbracht, aber das einzige, was sie in mir auslöste, war eine Intensivierung meiner Sinnesorgane...
Ich roch plötzlich viel mehr, sah alles gestochen scharf und die Farben meiner Umgebung waren so stark, dass sie mir Kopfschmerzen verursachten. Auch mein Gehör war plötzlich so empfindlich, dass ich das Trippeln einer Ameise in 50 Schritt Entfernung hören konnte."
„Und wie lange hast du dich dafür in der Nähe des Baumes aufgehalten?", frage ich interessiert nach und mache einen großen Schritt, damit ich nicht über eine herausstehende Wurzel stolpere.
„Das ist es ja", sagt Kaíyra seufzend," bestimmt einige Stunden. Und du warst nur ein paar Minuten dort."
Ich sehe sie entgeistert an.
„Das heißt du bist immun gegen das Gift?"
Die Elfe schüttelt schnell den Kopf.
„Nein, es kann auch uns Elfen umbringen, nur anscheinend deutlich langsamer als euch Menschen oder andere Lebewesen, wie wir vorhin festgestellt haben."
Ich rolle genervt die Augen, Kaíyra schenkt mir ein kleines Lächeln, doch dann wird sie wieder ernst.
„Einzelne aus unserem Volk benutzen das Harz gelegentlich auch als eine Art Droge. Obwohl mir schleierhaft ist, was daran so berauschend sein soll... jedenfalls-"
Kaíyra bleibt stehen und ich tue es ihr gleich, froh darüber endlich anhalten zu können.
„-Sind wir jetzt weit genug entfernt, denke ich. Wir sollten hier bleiben für die Nacht. Morgen werden wir wahrscheinlich schon die Felsenschlucht erreicht haben."
Ich nicke dankbar und als die Elfe mich loslässt, sinke ich hinab auf die Knie und stütze die Arme auf meinen Oberschenkeln ab, atme tief ein und aus.
Fast sofort spüre ich Kaíyras sanfte Hand auf meiner Schulter. Ich weiß, dass das bei ihr einer unausgesprochenen Frage gleichkommt: Alles in Ordnung?
Also nicke ich nur kurz und fast sofort verschwindet der Druck auf meiner Schulter.
Wage bekomme ich mit, wie die Elfe um mich herumläuft und unser Nachtlager vorbereitet. Dennoch bin ich verwirrt, als sie schließlich Holz zu einem kleinen Stapel aufschichtet.
„Ich dachte wir sollten kein Feuer machen, wegen den Soldaten in der Nähe?"
Kaíyra nickt nur gedankenverloren, dann bewegen sich lautlos ihre Lippen und das Feuer beginnt leise zu prasseln. Doch zu meiner Verwunderung steigt kein bisschen Rauch in die Höhe und auch die Flammen scheinen lange nicht so hell, wie sie es normalerweise tun.
„Hast du-?"
Meine Frage muss ich gar nicht mehr zu ende stellen, da zwinkert mir die Elfe auch schon zu.
Magie."
Und als sie das sagt, schießen kleine Flammen aus ihren Fingerspitzen hervor, bringen ihre Handflächen zum Glühen.
Ich sehe ihr mit offenem Mund zu.
„Das- das ist... beeindruckend!"
Kaíyra lächelt, dann kommt sie mit leichtfüßigen Schritten auf mich zu und mit einem kaum merklichen Plumps landet meine Tasche neben mir im Gras. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass die Elfe sie die ganze Zeit getragen hatte.
„Magie ist nur beeindruckend, wenn du sie beherrscht", sagt Kaíyra und lässt sich elegant im Schneidersitz neben mir nieder.
„Und zu deiner Frage vorhin, ich habe beschlossen, dass dein Wohlergehen wichtiger ist, als die Gefahr entdeckt zu werden. Du musst dich wärmen und das geht am einfachsten mit einem Feuer. Außerdem habe ich dafür gesorgt, dass kein Rauch uns verraten wird und auch das Licht verliert sich nach wenigen Metern Entfernung."
Ich sehe nach links, zu der schönen Elfe hinüber und schüttle nachdenklich aber tief beeindruckt den Kopf.
Kaíyras weiche Haare schimmern honigfarben im Schein des Feuers und auch ihre Augen, die sie auf die knisternde Glut gerichtet hat, haben nun einen warmen und golden Farbton.
Mein Blick gleitet an ihrem feinen Gesicht hinab, über die hohen Wangenknochen und die perfekt geschwungene Nase, bis er an ihren vollen, roten Lippen hängen bleibt.
Ich schlucke einmal hart und mein Magen macht einen Sprung, als würde ich von einem hohen Felsen hinab ins Wasser springen.
Nur mit Mühe kann ich meinen Blick lösen, mich zwingen, zurück in das Feuer zu sehen und nicht weiter darüber nachzudenken, was ich jetzt so gerne tun würde.
Wenn ich doch nur einmal...einmal diese Lippen küssen dürfte. Das wäre-
Die Stimme der Elfe durchbricht meine Gedanken, bevor sie noch intensiver werden können und ich bin fast ein bisschen froh darüber. Es würde mir im Endeffekt ja nur mehr weh tun...
„Erzähl mir etwas über dich, Raine."
Kaíyras Stimme ist leise und als ich überrascht zu ihr hinüberblicke, verharren ihre goldenen Augen weiterhin auf den züngelnden Flammen.
„Was willst du denn wissen?", frage ich ebenso leise und verschränke die Hände in meinem Schoß. Meine Vergangenheit ist nicht gerade ein Thema, über das ich gerne rede.
„Alles, das du mit mir teilen möchtest. Ich weiß nur von dir, dass du außergewöhnlich gut kämpfen kannst für einen Menschen und das du schlau genug bist, dich in die Schatzkammer von Malusk zu stehlen und auch wieder hinauszugelangen."
Erneut bin ich überrascht, fast etwas perplex.
„Malusk? Wer ist das, etwa der König?"
Die Elfe nickt und diesmal löst sie ihren Blick aus dem Feuer und sieht mir direkt in die Augen.
„Nicht viele Menschen kennen seinen Namen wie ich hörte. Aber fast alle Elfen tun es. Es nimmt dir die Angst vor Dingen, wenn du ihren Namen kennst. Nur das Unbekannte ist furchteinflößend."
Ich bin erstmal eine ganze Weile still, lasse das gesagte auf mich wirken. Malusk. Das ist also sein Name. Bis jetzt habe ich die Leute nur der König sagen hören. Niemand nannte ihn beim Namen. Ob aus Furcht oder Respekt weiß ich nicht...Oder aber Kaíyra hat Recht, und es kennt einfach niemand seinen richtigen Namen.
„Nun...? Erzählst du mir etwas von dir?"
Die sanfte Stimme der Elfe holt mich wieder einmal vorsichtig aus meinen Gedanken und nachdem ich tief durchgeatmet habe, beginne ich langsam zu reden.
„Ich bin in einem kleinen Dorf geboren, westlich der Hauptstadt. Meinen Vater habe ich nie kennengelernt, er starb vor meiner Geburt. Meine Mutter zog mich alleine groß, bis ich etwa zwölf Jahre alt war. Ich hatte es nicht immer leicht, als ich jung war. Ich war beinahe das einzige Mädchen im ganzen Dorf und ich musste mich immer gegen die Jungen behaupten. Ich schätze deswegen kann ich heute so gut kämpfen."
Ich werfe Kaíyra einen kurzen Blick zu, sie erwidert ihn mit einem bestärkenden Nicken. Also fahre ich fort.
„Mein Leben war bis dahin nicht einfach, Mutter und ich hatten nicht viel Geld, aber wir hatten uns. Und das war das wichtigste. Bis an einem Morgen..."
Ich breche ab. Denn ich spüre dass sich bereits wieder Tränen in meinen Augen sammeln und drohen über meine Wangen hinabzulaufen. Energisch wische ich mir über die Augen. Trotzdem bricht meine Stimme immer wieder weg, als ich die nächsten Worte ausspreche.
„Bis sie an einem Morgen einfach weg war. Und sie kam auch nicht wieder."
Ich spüre Kaíyras durchdringenden Blick auf mir und als ich zu ihr hinüber sehe, erkenne ich die Fassungslosigkeit in ihrem Blick.
„Deine Mutter hat dich mit zwölf Jahren alleine zurückgelassen? Ohne eine Erklärung, ohne einen Abschied?"
Ich nicke stumm, dann ziehe ich mein Amulett an der Kette unter meinem Hemd hervor.
„Nur das lag auf dem Küchentisch. Sonst nichts. Ich habe natürlich nach ihr gerufen und sie gesucht, aber niemand im Dorf hatte sie gesehen oder wusste, wohin sie gegangen war. Und nach ein paar Tagen waren alle unsere Vorräte im Haus aufgebraucht. Also blieb mir nichts anderes übrig als zu gehen. Ich schlug mich alleine durch, machte meine guten und schlechten Erfahrungen, schlief mal hier und mal da, aber ich blieb nie lange an einem Ort... im Grunde.... suche ich immer noch nach meiner Mutter. Ich will es mir nur nicht eingestehen."
Eine einsame Träne rollt meine Wange hinunter. Aber bevor ich meine Hand zu meinem Gesicht heben kann, hat Kaíyra die Träne schon zart davon gewischt.
„Ich danke dir für deine Offenheit, Raine. Und ich verstehe deinen Zorn und deine Frustration nun umso besser. Ich bin mir sicher, dass du eines Tage verstehen wirst, warum deine Mutter dich zurückgelassen hat. Es wird einen Grund dafür geben. Es gibt für alles einen Grund."
Ich sehen hinüber in die sanften und weichen Augen der Elfe, die mich sorgfältig mustern. Und irgendwie...-irgendwie trösten mich ihre Worte.
„Ich würde gerne noch erfahren, wie das Amulett in den Besitz von Malusk gekommen ist, aber dafür ist es heute zu spät. Du solltest schlafen gehen. Es ist viel geschehen diese Nacht."
Ich nicke nur ergeben, dankbar nicht weiterreden zu müssen. Kaíyra berührt kurz meine Schulter, dann steht sie auf und geht hinüber auf die andere Seite des Feuers um Wache zu halten.
Ich lege derweilen meine Tasche als Kopfkissen zurecht und rolle mich auf der Seite zusammen, schließe die Augen.
Das Feuer wärmt meine Vorderseite und ich versuche den kalten Wind an meinem Rücken möglichst zu ignorieren. Je näher wir dem Gebirge kommen, desto kühler werden eben die Nächte.
Ich bin schon fast eingeschlafen, da spüre ich plötzlich, wie sich ein warmer Umhang vorsichtig auf mich herabsenkt und mich sanft zudeckt. Und als ich tief einatme, weiß ich auch genau, von wem er stammt.

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