Tu es nicht...

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Die Sonne ist bereits hinter den weit entfernten Hügeln untergegangen, als Kaíyra und ich stumm nebeneinander an unserem Nachtlager arbeiten. Während ich Feuerholz sammle und zu einer kleinen Pyramide aufstaple, geht die Elfe von Strauch zu Strauch und pflückt mit geschickten Händen hunderte von lilafarbenen Beeren ab, welche sie in einem großen Blatt auf dem Boden sammelt.
Seitdem wir die Nymphen verlassen haben, reden wir kaum ein Wort miteinander. Ich nehme es Kaíyra immer noch ein wenig übel, dass sie mich dort hin mitgenommen hat, wo doch meine Gefühle im Moment sowieso schon verrückt spielen. Auch wenn ich zugeben muss, dass meine Befürchtungen weitaus schlimmer waren als die Realität. Denn es stimmt zwar, dass ich mich seltsam leicht und sorglos, fast schon glücklich in der Anwesenheit der Nymphen gefühlt habe, doch gegen meine Gefühle zu Kaíyra hatten diese Einflüsse keine Sekunde eine Chance. Im Gegenteil, meine Gefühle wurden von Moment zu Moment nur noch stärker, mächtiger, ja fast erdrückend...
Aber das ist nicht der einzige Grund, weswegen ich verärgert über die Elfe bin. Denn trotz der höflichen Gastfreundschaft der Nymphen und ihrer offensichtlichen Zurückhaltung mir gegenüber, ist mir nicht der allgegenwärtige Hunger in ihren aufmerksamen Augen entgangen.
Und die menschlichen Knochen im knietiefen Wasser...
„Bist du fertig mit dem Feuerholz?"
Kaíyras Stimme durchbricht meine Gedanken wie ein Donnerschlag und ich zucke erschrocken zusammen.
„Ja, fertig.", gebe ich nur kurz angebunden zurück und entferne mich ein kleines Stück von der fertigen Feuerstelle.
Ich sehen nur, wie die Elfe lautlos die Lippen bewegt und schon schießt eine Stichflamme aus dem aufgeschichteten Holz hervor und das Feuer beginnt lichterloh zu brennen.
Wortlos wende ich mich ab und will mich an einen nahe gelegenen Baum setzen, doch Kaíyras sanfte Hand auf meiner Schulter hält mich zurück.
„Wir müssen noch trainieren."
Genervt schließe ich die Augen und versuche die Hand der Elfe abzuschütteln, doch Kaíyra dreht mich mit eisernen Griff zu ihr um, sieht mir fest in die Augen.
„Ich bin heute nicht wirklich in Stimmung", gebe ich brüsk zurück und halte ihrem durchdringenden Blick ohne Mühe stand.
Die Elfe zieht die perfekt geschwungenen Augenbrauen zusammen und legt den Kopf schief.
„Es geht nicht darum, ob du Lust dazu hast oder nicht. Es geht um deine Sicherheit und dein Überleben. Auf deine Stimmung nehme ich deswegen absolut keine Rücksicht."
Ihre Stimme ist ruhig, aber dennoch hart und bestimmt. Und mir bleibt gar nichts anderes übrig, als mich zu fügen.
Genau wie bei all den voran gegangenen Trainingseinheiten stelle ich mich der Elfe gegenüber und balle die Hände zu Fäusten.
„Nur ausweichen?", frage ich sicherheitshalber noch einmal nach, doch Kaíyra schüttelt den Kopf.
„Diesmal wirst du zurückschlagen, sobald du die Möglichkeit dazu siehst. Und sei nicht zu vorsichtig. Du kannst mich nicht verletzen."
Ich lächle ironisch und begebe mich ebenfalls in meine Ausgangsposition. Das werden wir ja sehen...
Zu Beginn ist es nicht besonders schwierig den Schlägen der Elfe auszuweichen, doch ich sehe kaum eine Möglichkeit für mich, ihre Deckung zu durchbrechen, geschweige denn einen Treffer zu landen. Und mit steigendem Tempo, trifft sie mich natürlich früher oder später.
„Verdammte Sch-!", fluche ich, als ich mich nun zum sechsten Mal vom feuchten Waldboden aufrapple und den blutigen Schnitt über meinem linken Auge vorsichtig betaste. Natürlich weiß ich, dass Kaíyra mich nach unserem Training sofort heilen wird, aber das macht meine Verletzungen nicht weniger schmerzhaft. Weder die Wunde an meiner Stirn, noch meine Blutergüsse am ganzen Körper und die definitiv angebrochenen Rippen auf der rechten Seite meines Brustkorbes, die mir das Atmen zunehmend schwerer machen.
„Suche einen Weg meine Deckung zu umgehen, aber konzentriere dich währenddessen trotzdem auf deine eigene Verteidigung und vergiss deine Beinarbeit nicht! Mein letzter Schlag hätte dich nie erreicht, wärst du einen Schritt zurückgegangen", weist Kaíyra mich nachdrücklich an und wischt sich mit dem Ärmel ihres Hemdes über die Stirn. Auch sie ist in der letzten halben Stunde leicht ins Schwitzen geraten. Ob vor Anstrengung oder vor Frustration über mich, kann ich nicht sagen, auch wenn ich eine Tendenz habe...
„Deine Deckung zu durchbrechen ist quasi unmöglich", knurre ich verärgert und klopfe mir den Schmutz von den Kleidern.
„Es ist nicht einfach, aber unmöglich ist es nicht", antwortet die Elfe bemüht ruhig und gibt mir mit einem kurzen Kopfnicken zu verstehen, dass es weiter geht,"du musst dich nur mehr bemühen, Menschenkind!"
Ich weiß nicht warum, aber ihre kühle und unnahbar Antwort in diesem Moment, lässt die ganze unterdrückte Wut in meinem Bauch mit einem Mal siedend heiß hochkochen und die Kraft schießt zurück in meine ermüdeten Muskeln.
Ich greife Kaíyra ohne Vorwarnung an, doch sie kann meine Schläge mühelos parieren, weicht mir aus und schlägt zurück.
„Du bist seltsam abweisend, seit unserem Besuch in den Sümpfen", ist ihr einziger Kommentar, während sie sich unter meiner linken Faust hinweg duckt, nur um mich ihrerseits erneut anzugreifen.
„Ach, wundert dich das", gebe ich kalt zurück, bin aber doch verwundert, dass die Elfe genau jetzt ein Gespräch anfängt. Normalerweise reden wir kaum, wenn wir gemeinsam trainieren. Will sie mich etwa provozieren?
„Ein wenig, ja", antwortet Kaíyra und dreht sich geschickt um die eigene Achse, um mich an der rechten Seite zu treffen, doch ich regiere blitzschnell und kann ihren Hieb parieren,"ich dachte eigentlich, du hättest dich gut amüsiert."
Das Blut schießt mir ins Gesicht, ohne dass ich es verhindern kann und ich starre Kaíyra nur mit zusammengepressten Lippen an, während die nur ausdruckslos zurück blickt.
„Glaubst du wirklich ich würde mich mit-... mit Wesen amüsieren, die mich am liebsten töten und verspeisen würden!!"
Meine Worte sind zu einem wütenden Knurren geworden und die Wucht in meinem darauffolgenden Schlag überrascht nicht nur mich.
Erst in letzter Sekunde kann Kaíyra ihm ausweichen und macht sicherheitshalber eine paar Schritte rückwärts, ihre Miene ist ehrlich verwirrt.
„Woher weißt du davon?", fragt sie, während sie mir immer wieder ausweicht und sich weiter zurückzieht.
„Weil ich den Hunger in ihren Augen gesehen habe!"
Meine Schläge sind nun unerbittlich.
„Und die Knochen auf dem Boden!!"
Meine Stimme ist zu einem Schrei angeschwollen und die Wut in mir, kennt nun keine Grenzen mehr.
„Sie fressen Menschen, Kaíyra! Und du hast mich dorthin gebracht, obwohl du wusstest, dass sie das tun!!"
Ich bin außer mir vor Wut.
Die Elfe starrt mich nur entgeistert an.
„Sie hätten dir nie etwas getan, Raine! Du warst zu keiner Zeit in Gefahr!"
Und damit packt sie mein Handgelenk, hält es fest und sieht mir gleichzeitig tief in die Augen.
„Du wusstest es. Und du hast es trotzdem getan.", flüstere ich verletzt.
Sekundenlang stehen wir nun schwer atmend voreinander. Keiner sagt ein Wort. Mein Handgelenk ist gefesselt im eisernen Griff der Elfe, während sie mich aus großen, bernsteinfarbenen Augen ansieht, welche jetzt beinahe etwas schuldig aussehen.
Und dann legt sich ein Schalter in meinem Kopf um.
Mit einem kräftigen Schlag stoße ich Kaíyra mit meiner freien Hand gegen die Schulter, während ich gleichzeitig einen Fuß hinter ihre Beine stelle.
Der Stoß trifft die Elfe unvorbereitet, sie verliert das Gleichgewicht und fällt vor mir auf den kühlen Waldboden. Keine Sekunde später sitze ich auf ihrer Hüfte, habe ihre Hände über ihrem Kopf auf den Boden gepresst und halte die Elfe mit meinem ganzen Gewicht in dieser Position fest. Kaíyra sieht mich fassungslos an.
„Das war dir egal, oder?", flüstere ich, die erste Träne läuft meine Wange hinunter. Denn jetzt endlich begreife ich, warum mich ihr Verhalten so unglaublich wütend gemacht hat,"ich bedeute dir nicht das geringste."
Das ist es. Es ist die Gewissheit, dass ich der Elfe nie das bedeuten werde, was sie für mich ist. All die pochenden Gefühle in meiner Brust, all die Schmetterlinge, die Wärme in meinem Herzen.
Denn nach meinem Besuch bei den Nymphen glaube ich nicht mehr an Kaíyras Worte. Ich glaube nicht mehr daran, dass meine Gefühle für sie nicht echt sind. Denn sonst hätten mich die bezaubernden Nymphen wohl kaum so kalt gelassen. Sie hätten mich genauso gefangen genommen mit ihrer Schönheit wie jeden anderen Menschen, der ihnen ins Netz ging.
Ich weiß jetzt, dass ich mich aufrichtig in Kaíyra verliebt habe.
„Du bist mir nicht egal", flüstert die Elfe nun ihrerseits und ich lasse sie gewähren, als sie sanft ihre Hände aus meinem festen Griff befreit und mit den Daumen vorsichtig die Tränen von meinen Wangen wischt.
Und als ich hinunter in ihre weich gewordenen, beinahe goldenen Augen sehe, hält nichts mehr das Chaos auf, das nun in mir tobt.
Nur einem plötzlichen Instinkt folgend, beuge ich mich zu Kaíyra hinab, bis meine Lippen beinahe ihre berühren. Ich blicke ein letztes Mal in Kaíyras geweiteten Augen und suche nach ihrer wortlosen Zustimmung, doch etwas anderes passiert.
Die schöne Elfe legt ihre Hände auf meine Brust und drückt sanft dagegen.
Ihre Stimme ist kaum mehr als ein Wispern.
„Bitte... tu es nicht."

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