Eine Nacht unter den Sternen

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Ich weiß nicht, was der Rat in den kommenden Tagen untereinander zu verhandeln hat. Ich weiß nur, dass es wichtig sein muss. Denn Kaíyra verlässt jeden Tag im Morgengrauen das Haus und kehrt meistens erst am frühen Abend zurück.
Ich frage sie nicht nach dem Grund der täglichen Sitzungen und sie erzählt es mir auch nicht. Denn seit unserem kleinen Streit reden wir nur noch über weniger belanglose Themen. Und ich fürchte wir beginnen beide unsere Herzen voreinander zu verschließen.
Um einander zu schützen?
Wahrscheinlich. Aber auch um uns selbst zu schützen.
Die Zeit in Kaíyras Abwesenheit nutze ich für ausgedehnte Spaziergänge und zum Nachdenken. Und je weiter ich gehe, desto sicherer bin ich mir. Mein Plan steht fest.
Ich werde zu den Menschen zurückkehren und König Malusk aufsuchen. Er ist meine einzige Hoffnung mein Leben zu verlängern und somit auch das von Kaíyra.
Je mehr ich nämlich in Fernīrs Bibliothek zu diesem Thema laß, desto bewusster wurde mir die Einzigartigkeit von Malusk' langer Lebensdauer. Denn weder vor ihm geschweige denn nach ihm gab es einen anderen Menschen, der so ungewöhnlich lange lebte.
Und die dunkle Magie?
Sie sollte mir Angst machen, ich weiß, aber sie tut es nicht. Jedenfalls nicht so sehr wie die Vorstellung Kaíyra ihres Lebens zu berauben.
Mein Entschluss zu gehen, ist also gefasst.
Trotzdem bleibt da ein Problem.
Wenn ich Kaíyra verlasse, wird sie das nicht lange überleben. Dafür ist die Zeit, welche wir bereits zusammen verbracht haben einfach zu kurz. Also wird sie mir folgen müssen.
Und bis sie mich gefunden hat, und ich weiß das wird sie, muss ich Malusk in seiner Burg aufgespürt haben.
Der Plan ist tollkühn und riskant.
Aber er ist die einzige Möglichkeit.
Schritte nähern sich aus dem Unterholz.
Ich spitze die Ohren und lausche in die laue Abendluft hinein.
Der Baum, auf dem ich sitze bewegt sich sanft im Wind. So tief im Wald ist sonst niemand außer mir. Und das ist auch gut so.
„Es ist gefährlich ganz alleine so weit entfernt von Fernīr zu sein, solange die Soldaten hier sind", höre ich Kaíyras Stimme zu mir heraufdringen. Und als ich nach unten sehe, steht dort die hübsche Elfe mit verschränkten Armen. Um ihre Schulter hängt ihr hölzerner Bogen.
„Ich kann mich verteidigen", antworte ich ruhig und lege eine Hand auf den Knauf meines Schwertes, das an meinem Gürtel baumelt. Die Elfe seufzt.
„Das weiß ich. Aber mir wäre es lieber dich in Sicherheit zu wissen", sagt sie und beginnt damit ebenfalls den starken Stamm empor zu klettern. Ich lasse ihre Worte stumm im Wind verwehen.
Wenn sie nur wüsste...
Die Sonne versinkt langsam hinter den Baumwipfeln von Fernīr, während Kaíyra und ich im Schutze der Astgabel still den Geräuschen um uns herum lauschen.
Dem Zirpen der Grillen. Dem abendlichen Gesang der Vögel. Und ab und zu dem Schnüffeln eines Tieres.
Es ist schließlich Kaíyra, die dieses Schweigen bricht.
„Ich vermisse dich."
Ihre Stimme ist leise, fast unhörbar und als ich ihr einen überraschten Blick zuwerfe, sieht die junge Elfe mich nicht an.
„Wie meinst du das? Ich bin doch hier?", erwidere ich verwirrt und widerstehe dem Drang eine Hand an Kaíyras Kinn zu legen, damit sie mich ansieht.
„Körperlich, ja. Aber du entfernst dich immer mehr von mir und ich weiß nicht, was ich dagegen tun kann", sagt Kaíyra verzweifelt, ihre goldenen Augen blicken jedoch weiterhin dem Sonnenuntergang entgegen.
Ein dicker Kloß beginnt sich in meinem Hals zu bilden.
„Vielleicht... vielleicht kannst du nichts dagegen tun", erwidere ich stockend und in meiner Brust sticht es schmerzhaft. Denn ich weiß, dass es so ist. Es ist meine Entscheidung zu gehen, nicht Kaíyras.
Die Elfe blickt auf und nun sehen ihre goldenen Augen direkt in meine. Ein undefinierbarer Schmerz liegt dran.
„Kannst du es?"
Ihre Worte treffen mich. Schon wieder.
„Möglicherweise", sage ich traurig und wende mein Gesicht ab. Diesmal ist es die Elfe, die meine Hand in ihre nimmt und mich so dazu bringt, sie erneut anzusehen.
„Warum tust du es dann nicht?", flüstert sie verständnislos. Ich schüttle nur stumm den Kopf.
Ich kann es ihr nicht sagen!
„Ist da... ist da jemand anderes?"
Nun, wenn ich auf eines nicht vorbereitet war, dann wohl auf das. Ich sehe Kaíyra entsetzt an.
„Was? Nein! Wie kommst du darauf?!"
Die Elfe sieht mich nun ihrerseits verletzt an.
„Glaubst du etwa, ich wüsste nicht, dass irgendetwas oder irgendjemand deine Gedanken komplett für sich einnimmt?", entgegnet sie vorwurfsvoll und ihre goldenen Augen bohren sich in meine, „dass du nachts oft stundenlang wachliegst, dass du mich mit anderen Augen ansiehst und selbst deine Küsse die Leidenschaft verloren haben?"
Ich starre die Elfe sprachlos an.
„Ich für meinen Teil werde dich immer lieben, Raine, so will es die Natur von uns Elfen und so fühle ich auch. Was dich wiederum angeht, bin ich mir nicht mehr so sicher!"
Ein ärgerlicher Unterton hat sich in die Stimme der Elfe geschlichen und sie lässt meine Hand los.
„Komm nachhause, wenn die Sonne untergegangen ist. Nachts ist es zu gefährlich im Wald", sind ihre kühlen Worte, dann springt Kaíyra elegant zu Boden und läuft davon.
„Kaíyra! Warte!"
Ich springe ebenfalls von der Astgabel herunter und folge der Elfe im Laufschritt. Kaíyra jedoch reagiert nicht auf mein Rufen.
„Hey! Bleib stehen!"
Ich erwische sie am Arm und halte sie fest. Kaíyra wirbelt herum und sieht mich kalt an. In meinem Herz sticht es erneut.
„Ich liebe dich. Bitte glaub mir", sage ich geknickt und lasse ihren Arm los.
So viel mehr als dir bewusst ist...
Und dann mache ich einen letzten Schritt auf Kaíyra zu und küsse sie. Sehnsüchtig. Fordernd. Leidenschaftlich...
Zuerst habe ich den Eindruck, die Elfe könnte mir jede Sekunde eine scheuern.
Doch dann löst sie sich aus ihrer Starre und erwidert meinen Kuss. Ihre Hände ziehen mich noch näher an sie heran und auch ich umfasse ihre Hüften und dränge sie sanft rückwärts, bis uns der raue Stamm einer Eiche stoppt.
„Bitte, bitte zweifle nie wieder daran, wie viel ich für dich empfinde", flehe ich, als meine Lippen zärtlich die Haut ihres Halses hinunter bis zu ihrem Schlüsselbein küssen. Die Elfe hebt schwer atmend ihr Kinn, sodass sie mir noch besseren Zugang gewähren kann. Ihre schlanken Hände wühlen sich in meine Haare.
„Vielleicht solltest du dabei auf Nummer sicher gehen", sagt sie mit gedämpfter Stimme und als ich in ihre dunkel gewordenen Augen sehe, bildet sich ein wissendes Lächeln auf meinen Lippen.
„Hier im Wald?", frage ich trotzdem skeptisch und beiße vorsichtig in die Haut knapp über ihrer Brust. Kaíyras gesamter Körper erzittert.
„Hier im Wald. Es wird sowieso bald dunkel", ist ihre glasklare, wenn auch etwas atemlose Antwort und ich weiß, dass widersprechen jetzt sinnlos wäre.
Und deswegen lege ich erneut meine Lippen auf die der Elfe und in einem leidenschaftlichen Kuss gefangen, zieht sie mich sanft mit sich auf den weichen Waldboden hinunter.
Das Moos unter meinen Händen fühlt sich beinahe seidig an, während die Dämmerung über unseren Köpfen hereinbricht.
Und im Schutze der Dunkelheit beginnt die wohl schönste Nacht meines Lebens...

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