XVI. erster brief.

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Ich kratzte mich unwohl am Hals und schaute auf den Block vor mir.

Ich hasste leere Blätter. Sie machten mir Angst mit ihrer erwartungsvollen Stille — als ob ich gleich irgendwas Magisches hervorzaubern würde.

Laut seufzend lehnte ich mich im quietschenden Stuhl zurück und fuhr durch meine dunklen Locken, verknotete sie dadurch nur noch mehr. »Scheiße...«

Ich hatte Elias versprochen, dass ich das hier tun würde. Ich hatte ihm versprochen, dass ich ihr endlich, endlich schreiben würde, nach eineinhalb Jahren. Er hatte mich zur Vernunft gebracht, der erste Mensch, der das geschafft hatte — mich zu entschuldigen, zu versuchen, es wieder gut zu machen.

Von Ava hatte ich seit vier Jahren nichts mehr gehört und ich würde nicht den gleichen Fehler wie sie machen. Sie konnte mich mal.

Charlotte war schon immer diejenige gewesen, die so unendlich anders gewesen war, und das im guten Sinne. Der Rest der Familie war verschroben, verrückt und still und sie... sie war ein Engel. Ein wunderschönes Lachen, sanfte Augen und Charisma, das jeden in die Flucht geschlagen hatte.

Hoffentlich hatte ich sie nicht zerstört. Ich betete so, so oft, dass sie noch immer die Gleiche war, noch immer so anders als alle. Ich wusste nicht, was ich machen würde, wäre sie nicht mehr meine kleine Schwester, die mir immer warmen Tee gebracht hatte, wenn ich eine Panikattacke gehabt hatte oder mir Kirschkuchen zum Geburtstag gebacken hatte.

Ich hasste meine Eltern, Ava, meine Verwandten, mich. Wir alle hatten die gleichen Makel, machten die gleichen Fehler, waren alle verseucht und zerfressen von unseren Gedanken. Nur sie nicht. Nicht Charlotte.

Nervös kaute ich am Daumennagel und blickte aus dem Fenster. Draußen nieselte es. Sie hatte in zwei Tagen Geburtstag, endlich sechzehn. Hoffentlich würde der Brief rechtzeitig ankommen.

Natürlich, eine SMS hätte wahrscheinlich auch gereicht, aber ich kannte meine Schwester. Sie würde sie nicht lesen.

Mit geschlossenen Augen zog ich meine Nase hoch, bevor ich wieder auf das Papier schaute und den abgekauten Kugelschreiber in die Hand nahm. Fuck, fuck, ich hatte schon so lange nicht mehr geschrieben. Ich hatte mein Talent in der Vergangenheit zurückgelassen, dort, wo Papa mich ausgelacht hat, wenn ich ihm meine Geschichten gezeigt.

Langsam setzte ich die ersten Buchstaben und fing an — malte bunte Wörter auf den Block, leerte meinen Kopf aus.

Weil Schreiben am Ende immer noch das einzige war, das ich wirklich konnte.

ZIGARETTENWhere stories live. Discover now