II. napoleon.

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Müde sank ich in den wackeligen Stuhl.

»So sehen wir uns also wieder, Karl«, murmelte ich erschöpft und starrte die ausgetrocknete Pflanze an, die mich wortlos musterte. Wohl, verächtlich wäre ein besseres Adjektiv. Missachtend. Böse. Vielleicht sollte ich ihn doch mal wieder gießen, bevor er mich noch im Schlaf umbrachte.

Das Fenster war gekippt und es fing leise an zu Nieseln, während ich mein Geschichtsbuch öffnete.

»320...321... nein... 325, wo ist der Scheiß?«, fluchte ich und rieb mir über die Stirn, meine Schläfen pochte nach dem anstrengenden Tag heute.

Meine Universitätsprofessoren fingen wieder wegen den Semesterprüfungen in ein paar Monaten an, so viel Stress wie möglich zu machen und ich konnte mich jetzt schön mit der Französischen Kolonisierung und der Psyche Napoleons beschäftigen.

Vielleicht sollte ich aufhören, zu studieren. Hm. Aber dann erinnerte ich mich immer an Früher. Daran, dass Mama gesagt hat, ich würde es zu nichts schaffen. Genauso wie Papa. Und nur deswegen kämpfte ich mich dann weiter durch die ganzen Wälzer und Aufgaben, Semester für Semester. Einfach, um ihnen zu zeigen, dass ich es doch draufhatte, auch wenn sie es nie sehen würden.

Abwesend öffnete ich den Collegeblock und begann Notizen aus dem Buch aufzuschreiben. Einen Satz nach dem anderen. Regen prasselte gegen das Fenster. Im Gegensatz zum Wochenende schüttete es heute schon den ganzen Tag.

In dem Text über Napoleons Familie versunken, fischte ich die Zigarettenschachtel aus meiner Hosentasche heraus und zog die Nase hoch.

»Liebenswert?«, murmelte ich verwirrt vor mich hin und krempelte die Ärmel meines dunklen Pullovers auf, bevor ich die Zigarette zwischen meine Lippen steckte und sie anzündetet.

Allein die kleine Lampe am Tisch war an und draußen wurde es langsam dunkel, graue Wolken brauten sich über der Stadt zusammen.

Irritiert zog ich meine dunklen Brauen zusammen und kratzte mich am Kinn. Nach einem Moment klappte ich das Buch seufzend zu und lehnte mich erschöpft am Stuhl zurück, machte einen tiefen Zug von der Zigarette. Der ganze Text ergab einfach keinen Sinn.

»Scheiße«, zischte ich leise in die Stille des Raumes, einzig der trommelnde Regen war zu hören, gleichmäßig und beruhigend.

Der Rauch löste sich in wunderschönen Kringel in der Luft auf und ich kniff meine Augen zusammen, versuchte meine Gedanken in Griff zu bekommen.

»Komm schon, Ariste«, ich tippte mir mit der Hand, in der ich den Filter hielt, gegen die Schläfe, »da ist was drinnen, ich weiß es. Es muss sein.«

Als ich nach ein paar Sekunden noch immer keine Antwort von meinem überanstrengten Gehirn zurückbekommen hatte, atmetet ich genervt aus.

»Fuck you.«

Und bevor ich es mir anders überlegen konnte, steckte ich mir die qualmende Zigarette zwischen die Lippen und schnappte mir meinen dunklen Mantel und die ganzen Bücher. Ich brauchte einen Szenenwechsel.

»Wir sehen uns«, ich nickte der Pflanze schmallippig zu und schlüpfte in die schmutzigen Boots, die neben der Haustüre bereitstanden.

»Irgendwann werde ich auch noch verrückt«, murmelte ich dann kopfschüttelnd und öffnete die weiße Tür, trampelte das Stiegenhaus hinunter. Aber vielleicht war Karl dann nicht mehr so mordsüchtig, wenn ich mich immer von ihm verabschiedete.

Auf dem Weg zum Café rauchte ich die Zigarette fertig und bereute es, keinen Regenschirm mitgenommen zu haben — der Collegeblock über meinem Kopf musste wohl oder übel hinreichen.

ZIGARETTENWhere stories live. Discover now