XXII. traumland.

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Ich zuckte zusammen und wurde brutal aus meinem Traum gerissen.

Es ist nicht real, es ist nicht real, versuchte ich mir mit klopfendem Herzen einzureden.

Zittrig fuhr ich mir über meine angeschwollenen Augen, noch immer nicht ganz wach, noch halb in meinem Kopf.
Fuck, ich hasste diese Alpträume noch immer so wie als kleines Kind.

»Ariste?«, ich blinzelte müde und Elias schlang ächzend einen Arm um mich, brachte mich ruckartig zurück in meine Wohnung. »Hm?«

»Bist du wach?«, nuschelte er in den Polster und ich seufzte leise, kroch näher an ihn heran. Er war so warm und weich, viel besser als mein eigener kalter, verschwitzter Körper. »Mhm.«

Elias rieb seine geschlossenen Augen und ich versuchte wach zu bleiben. Ich wollte nicht zurück in meinen Traum, nie wieder. Nicht, wenn die Realität gerade viel schöner war.

»Hattest du einen Alptraum?«, flüsterte er in die Stille des Raumes und ich nickte, vergrub mein Gesicht in seinem kratzigen Pullover. Ich mochte seinen Geruch, er war einfach warm.

Ich hatte eigentlich noch immer keine Ahnung, wieso er hier war. Wieso ausgerechnet er mich wollte, wieso er mich mochte, wieso er mich mit all meinen Kanten und Ecken akzeptierte. Vielleicht sah er ja etwas in mir, was ich noch nicht entdeckt hatte.

»Oh«, sein Griff verfestigte sich um meinen Oberkörper und ich zog meine Nase hoch, lächelte, als seine Finger träge Kreise auf meinen Rücken malten. Ich liebte es, wenn er das machte. Genau wie in der Bücherei damals.

»Willst du...«, seine Nase streifte meine zerzausten Locken und ich spürte sein Zögern, »willst du mir davon erzählen?«

Für einen Moment herrschte Stille. Ich leckte ich mir seufzend über die Zähne, wollte ihn nie mehr loslassen. Ja, ich war größer als Elias, aber in diesem Moment... in diesem Moment erschien er mir unendlich gigantisch, als könnte er mich allein mit seinen warmen Armen vor dem Rest der Welt beschützten.

»Mhm«, murmelte ich leise und er stupste mich sanft mit der Nase am Kopf an, vergrub sie in meinen Locken. Süßer Gott, so konnte ich sterben.

Leise räusperte ich mich und versuchte den Schlaf aus meiner Stimme zu vertreiben.

»Also...«, ich zog meine Brauen zusammen, überlegte, wie ich den verschwommenen Traum in Worte fassen konnte, bevor er mir ganz entglitt. »Du warst da. Und ich... ich konnte nichts machen, nur zuschauen, weißt du, was ich meine?«, murmelte ich in seine Brust, atmete seinen warmen Geruch ein.

»Mama hat mich angeschaut. Und sie hat gesagt, dass ich dich nicht verdient habe, dass ich nichts wert bin und...«, meine Stimme verlor sich in der Dunkelheit. »Du bist, uhm, du hast jemanden geküsst, irgendjemanden. Und Mama hat begonnen zu lachen und dann auch plötzlich Charlotte, sie haben nicht mehr aufgehört und ich wollte zu dir rennen, aber...«

Meine Wangen brannten vor Scham. Elias hatte aufgehört, Kreise auf meinen Rücken zu malen.

»Oh«, ich nickte langsam und starrte in die Dunkelheit. »Ich würde so etwas nie machen, okay?«, flüsterte er dann in meine Haare und ich nickte wieder, grub meine Hände in seinen Pullover, brauchte Halt, irgendetwas.

»Wirklich«, er stützte sich vorsichtig auf einen Ellbogen auf und schaute zu mir hinab. Seine Haare waren zerzaust, der Pullover ein wenig verrutscht. »Du verdienst alles, alles in der Welt, Ariste«, seine rauen Finger fuhren über meine Wange und ich schluckte schwer.

»Danke«, flüsterte ich so leise, dass ich nicht ganz sicher war, ob er mich hörte.

Elias war zum richtigen Zeitpunkt in mein Leben gekommen, plötzlich einfach da mit seiner Schürze und den bemalten Händen. Ich wusste nicht, wie ich es sonst beschreiben sollte, aber es war, als hätte ihn jemand für mich persönlich geschickt, genau dann, wann ich ihn am meisten gebraucht hatte. Mein kleines, wunderschönes Wunder.

Sanft fuhr ich die Knochen in seinem Unterarm nach, alles war nur noch warme Berührungen, Gliedmaßen und Locken überall, wir hatten keinen Anfang und kein Ende mehr.

Ich hielt bei dem kleinen Tattoo über seiner Ellbeuge inne.

»Was bedeutet das?«, murmelte ich müde in die Stille und spürte, wie er den Kopf drehte, selber über die alte Tinte fuhr.

»Mhm. Das ist Anakin, der Star Wars Typ«, ich begann zu lächeln, »und er hält so ein Lichtschwert in der Hand.«

Ein Gähnen übermannte mich und seine Finger fanden meine, verschränkten unsere Hände miteinander. Ich wollte nie wieder von hier weg, nie mehr raus aus dieser warmen Blase.

»Nicht, dass ich Star Wars so gern mag... aber es erinnert mich an Anakin. Wir sind zusammen aufgewachsen. Vielleicht will ich später einmal wieder einen Hund, keine Ahnung«, erzählte er in mein Ohr, seine Stimme ließ meine Haut vibrieren.

»Mhm«, ich fuhr mit dem Daumen über seinen Handrücken, meine Finger kalt wie immer. »Es ist süß, wirklich.«

Elias lachte leise gegen meine Locken, aber ich löste mich schon von ihm und griff ächzend nach der Zigarettenpackung am Nachtkästchen. »Was machst du?«

»Nikotinschub«, seufzte ich, rieb mir über die Augen, bevor ich mich mühsam aufsetzte. Sein Arm war noch immer um meine Hüfte geschlungen, aber er brummte missmutig.

»Ich mag das nicht.«

»Was?«, amüsiert hielt ich beim Anzünden inne und schaute zu ihm hinunter. Ich konnte im dunklen Zimmer gerade einmal seine blonden Haare sehen, wunderschöne sandfarbene Locken im schwachen Mondschein.

»Ich mag's nicht, wenn du immer nach Rauch riechst«, grummelte er in den Polster hinein und ich zog meine Mundwinkel belustigt hoch, legte die Zigarette langsam wieder auf das Kästchen. Gottverdammt, ich würde das hier bereuen.

»Mhm, okay«, sanft drückte ich einen Kuss auf seinen Kiefer, seinen Hals, entlockte ihm einen kleinen Laut.

»Ich werd's versuchen«, belustigt lächelte ich gegen seinen warmen Nacken, das Bett bewegte sich, als er sich wieder auf den Rücken drehte. Die Augen dunkel, seine Gesichtszüge weich und verschwommen.

»Was meinst du?«

Unsere Nasenspitzen streiften sich, seine Finger berührten die Locken in meinem Nacken. Im Dunklen war alles so leicht. »Ich werde versuchen mit dem Rauchen aufzuhören. Ich kann wirklich, wirklich nichts versprechen, aber —«

Elias küsste mich, stürmisch und müde, und zog mich hinunter in die Dunkelheit der Polster. Alles war so schön warm und weich, Kanten passten sich einander an, als ich ihn in die Matratze drückte.

Vielleicht war es doch keine so schlechte Idee gewesen, ihn damals mit ihn die Bücherei zu nehmen. Keine schlechte Idee gewesen, ihn gestern im Schnee zu küssen.

Wenn, dann würde so mein Tod aussehen. Hier in diesem Bett mit Elias zwischen den Beinen, seinen Händen in meinem Nacken.

Ich konnte nichts versprechen, wollte nichts versprechen, aber... ich würde es versuchen. Versuchen mich zu bessern. Mich ein bisschen selbst zu lieben.

Für ihn.

Weil Elias verdammt noch mal jeden Schmerz, jeden Moment und jede Berührung wert war.

ZIGARETTENWhere stories live. Discover now