IX. abendstille.

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»Ich wusste gar nicht, dass du so nahe wohnst«, sagte Elias und ich zuckte mit den Schultern, meine kalten Hände in den Manteltasche vergraben.

Es war dunkel draußen und einzig die schummrigen Straßenlampen beleuchteten den Weg vor uns.

»Um ehrlich zu sein, ist das der einzige Grund, wieso ich immer ins Café gehe«, scherzte ich und beobachtete mit einem Seitenblick, wie er einen Stein wegkickte.

Seine blonden Haare waren vom Wind ganz zerzaust, der hellbraune Pullover hatte fast die gleiche Farbe wie seine Augen. Vielleicht ein wenig heller, fast schon cremefarben.

»Mhm. Kann ich verstehen. Es ist nicht unbedingt das Schönste«, er lächelte und schaute mich an. Ich wandte schnell meinen Blick ab. »Wieso arbeitest du dann dort?«

Stille hatte sich über die Straßen gelegt und obwohl es erst kurz nach sechs war, waren fast keine Leute mehr unterwegs.

»Ich brauch das Geld. Dieses Jahr ist mein erstes an der Uni und das war der beste Job, den ich so kurzfristig bekommen habe«, er seufzte tief und wir blieben vor meinem alten Wohnhaus mit dem schiefen Dach stehen.

»Ich komm vom Land, da gibt es nicht wirklich eine Möglichkeit, Arbeitserfahrungen — außer auf einem Traktor — zu sammeln, weißt du?«, scherzte er, während ich die schwere Tür aufsperrte und ich schaute ihn lange an.

Das Lächeln erreichte nicht ganz seine Augen, während die schwere Tür aufschwang.

»Kann ich verstehen. Ich arbeite bei der Zeitung um die Ecke. Auch nicht so supertoll.«

Elias beobachtete mich neugierig an, als wir das Stiegenhaus betraten. »Du schreibst?«

Ein bisschen unwohl kratzte ich mich am Nacken. Einmal ja. Einmal, vor ein paar Jahren, da habe ich geschrieben, lange Geschichten voller bunten Welten. Aber das war meine Vergangenheit und die hatte ich zurückgelassen, aus gutem Grund.

»Eigentlich nur für die Zeitung«, murmelte ich und sperrte die Tür zu meiner Wohnung auf, die im zweiten Stock lag.

»Aber dann kannst du ja sich—«

»Nein«, unterbrach ich ihn harscher als gewollt und kniff dann meine Augen für einen Moment zusammen. Ich vermasselte schon wieder alles.

»Oh«, Elias strich über den Türrahmen und schaute auf seine schmutzigen Converse, »sorry.«

Ich atmete tief ein. »Entschuldige dich bitte nicht, es ist einfach... kompliziert«, murmelte ich leise und warf einen Blick auf ihn, während ich die Wohnung betrat.

»Willkommen in meinem wunderschönen, riesigen zuhause«, versuchte ich die Stimmung ein wenig zu lockern und Elias lächelte schwach.

»Besser als nichts, würde ich mal sagen«, erwiderte er und streifte seine Schuhe ab. Ich ging schulterzuckend in den Raum.

»Kann man«, ich beobachtete, wie Elias sich neugierig überall umblickte. Er wirkte ein wenig verloren inmitten meiner Wohnung, schien nicht ganz hineinzupassen in die notbedürftige Küche und den schmalen Gang.

»Also, wo ist die Farbe«, unterbrach er Händeklatschend meine düsteren Gedanken und ich griff räuspernd nach dem Kübel. Er schaute ihn für einen Moment an und zog dann seine Brauen hoch.

»Ariste, wieviel willst du bitte streichen?«

Verwirrt schaute ich ihn an und dann die Wand. »Naja, die Wand mit dem Riss, wieso?«

Elias lachte leise und kam auf mich zu, deutete auf die Literanzahl.

»Danit könntest du deine ganze Wohnung ausfüllen. Plus Fußboden.«

Mein Gesicht wurde heiß und ich zuckte mit den Schultern. Scheiße, ich blamierte mich mal wieder. »Egal, ich... heb sie einfach auf.«

Elias schaute mich amüsiert an. Er stand vielleicht ein, zwei Schritte von mir entfernt, viel näher als sonst. Unsere Arme berührten sich fast.

»Uhm«, räuspernd ging ich einen Schritt nach hingen und stieß gegen den wackeligen Tisch. Er zog langsam eine Augenbraue in die Höhe.

»Ich geh mal die Pinsel holen... bau vielleicht einmal alles auf«, murmelte ich hastig und flüchtete so schnell wie möglich in das kleine Badezimmer.

Oh, fuck.

Meine dunkelblauen Augen starrten mich leer aus dem angelaufenen Spiegel heraus an. Seufzend stützte ich meine Hände auf dem Waschbecken ab.

Gott, ich hätte ihn nicht herbringen sollen. Mit Elster war alles immer so leicht gewesen, wir hatten sofort geklickt — wahrscheinlich auch, weil sie immer diejenige gewesen ist, die geredet hat.

Mit Elias... war es komplizierter.

Vielleicht hatte ich deswegen keine anderen Freunde. Einfach, weil ich so verkorkst war. So still und komisch und unheimlich.

Langsam betrat ich wieder mein Schlafzimmer und blieb sofort wieder blinzelnd stehen. Oh wow, was?

»Uhm«, Elias schaute überrascht auf, sein weiße Hemd aufgeknöpft, »was genau machst du?«

»Oh, ich kann nicht in meiner Uniform malen«, lachte er und zog sich den Stoff kurzfristig von den Schultern. Jetzt stand er nur noch in Unterhemd da. Ich blinzelte wieder. »Ah... okay.«

Ein kleines Tattoo hatte er am rechten Arm, etwas, das ich nicht ganz entziffern konnte. Mit roten Wangen versuchte ich, überall hinzuschauen, außer zu ihm.

»Ich würd dir auch raten, was anderes anzuziehen«, meinte er mit einem Nicken zu meinem Rollkragenpullover hin und verlegen ging ich zu der alten Kommode vor uns.

»Willst du? Ist vielleicht alt, aber es kann immerhin schmutzig werden«, murmelte ich und reichte ihm ein T-shirt von mir. Lächelnd zog er es sich über die zerzausten Haare. »Danke.«

Ich schmunzelte, als ich bemerkte, wie groß es an ihm ausschaute und holte selber etwas für mich heraus. Was gab es wohl besseres, als über Anstreichen komische Freundschaften zu schließen? Ha.

Elias griff ächzend nach dem Farbeimer und ich nutzte den Moment, um mich ungestört umziehen zu können.

»Woher kommt eigentlich dieser Riss?«, fragte er plötzlich und ich hielt inne. »Keine Ahnung. Der ist schon da gewesen, als ich eingezogen bin.«

»Ah. Und wie lang lebst du hier schon?«, ich war froh, dass er so ungestört smalltalk machen konnte und nahm den Pinsel in die Hand. Er machte mir das hier alles ein Stück leichter. »Eineinhalb Jahre. Ist jetzt mein zweites Jahr an der Uni.«

»Oh, keine Ahnung, ich dachte du bist in meinem Jahr«, schmunzelte er und machte den ersten dunkelroten Strich. Ich seufzte.

»Ja, die meisten Leute schätzten mich ein wenig jünger, als ich es eigentlich bin. War schon immer so. Kommt wahrscheinlich davon, dass ich so dünn bin.«

»Ich finde nicht, dass du dünn bist.«

Verlegen fuhr ich mit dem Pinsel über die Wand und zuckte zusammen, als Farbtropfen auf mich hinunterrieselten. »Danke, aber es stimmt.«

Elias lehnte sich für einen Moment gegen die Hausmauer und schaute zu, wie ich über den weißen Verputz strich, hinauf und hinab. »Was ist?«, fragte ich unwohl und er zuckte mit den Schultern. Sein Blick war ganz warm auf meiner Haut.

Langsam begann er zu lächeln, ganz breit war es. Ich entspannte mich ein wenig.

»Weißt du, Ariste, ich glaube, wir werden noch ganz gute Freunde.«

Hm. Ich grinste.

ZIGARETTENWhere stories live. Discover now