III. nebelschwaden.

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Die Luft war geschwängert vom Regen der letzten Tage, die Flüsse angeschwollen.

Ein bisschen müde vergrub ich meine kalten Hände in den Manteltaschen und setzte mich wieder in Bewegung. Der Kies knirschte unter meinen Füßen.

»Ariste!«

Elster kam auf mich zugerannt, ihre Stiefeln spritzten das Wasser in den Laken in die Höhe.

»Mamma mia«, lachte ich atemlos, als sie sich in meine Arme warf und umarmte sie zurück. Elster war gut einen halben Kopf kleiner als ich und roch nach warmer Vanille.

»Du bist pünktlich«, sie löste sich mit zusammengekniffenen Augen von mir, ihr breiter Mund wie immer kirschrot angemalt, »was ist los mit dir?«

Entschuldigend hob ich meine Hände in die Höhe. »Sorry, dass ich dir eine Freude machen wollte, ich geh wieder und komm in einer halben Stunde zurück. Passt das besser?«

Sie trat noch einen Schritt zurück und musterte mich misstrauisch, ihre Haare waren heute glatt und nicht so schön lockig wie sonst. »Ich glaube dir nicht.«

Ich lächelte schief und ein frischer Windzug erfasste uns, ließ die Blätter in den Bäumen rascheln.

»Ist schon gut, ich war am Weg zur Bücherei, weil ich vergessen hab, dass wir uns gleich treffen und dann bin ich gleich hierher gekommen, als mein Wecker geläutet hat«, gab ich zu und sie verschränkte triumphierend die Arme vor der Brust.

»Ich hab's doch gesagt.«

»Ach, halt die Klappe«, schmunzelnd hielt ich ihr meinen Arm hin und sie hakte sich ein. Es waren nicht viele Leute in dem großen Park, der Regen und das traurige Wetter trieb die meisten nachhause.

Nur ein Pärchen kam uns entgegen und nickte uns zu. Wahrscheinlich dachten sie, wir wären auch eins. Aber um ehrlich zu sein sahen wir meistens mehr wie Geschwister mit den dunklen Haaren und der dürren Gestalt aus, als wie ein liebenswertes Großstadtspaar.

»Ich hab dich jetzt seit dem Wochenende nicht mehr gesehen«, fing meine Freundin an und ich kickte schmunzelnd einen Stein auf die Seite.

»Ich weiß. Ich hab dich in Literatur vermisst.«

Sie schaute zu mir hoch, die Nase noch immer ganz rot von der Erkältung, die sie die letzten Tage geplagt hatte.

»Man kann dich nie alleine lassen — wahrscheinlich bist du wie ein getretener Hund zu Anne gerannt, um eine Beschäftigung zu haben«, beschuldigte sie mich und ich zog die Nase hoch. »Als ob ich dich je so hintergehen würde, Schatzi.«

Ich bekam einen schwachen Schlag auf den Arm ab.

»Hast du schon den Schreibauftrag über Napoleon fertig?«, sie kramte die Zigarettenschachtel aus meiner Manteltasche und steckte sich zwinkernd eine zwischen die Lippen. Ich seufzte.

»Hab's vorgestern im Café fertiggeschrieben«, murmelte ich und hielt ihr wortlos mein Feuerzeug hin. Sie legte schützend ihre Hände um den Filter, ohne mich loszulassen.

»Toll, ich hab noch nicht einmal angefangen«, nuschelte sie beleidigt und blies den Rauch in die kalte Luft. Ein paar Vögel schwärmten über den grauen Himmel, die Bäume färbten sich langsam braun und rot und gelb.

Ich und Elster hatten uns letztes Jahr im Literaturkurs an der Uni kennengelernt. Sie studierte Psychologie und ich Geschichte und seit dem ersten Du stehst mir im Weg sind wir irgendwie unzertrennlich gewesen.

Wir gingen für eine Weile schweigend nebeneinander her und sie rauchte ihre — meine — Zigarette fertig.

»Willst du jetzt mal endlich den Riss in deiner Wand streichen?«, fragte sie mich dann und ich zuckte mit den Achseln, vergrub meine Hände wieder in den Taschen. »Ich muss noch Farbe kaufen, aber ich schätzte mal, ich werd's nächste Woche irgendwann machen.«

Mein Blick fiel auf Elster, wie sie den Rauch ausblies. »Wieso?«

»Weil er hässlich ist und stört«, gab sie nur zurück und ich zog meine dunklen Brauen in die Höhe, schnappte ihr die Zigarette aus den Fingern. »Ey.«

»Wenn du schon meine Wand beleidigst, bekomm ich wieder die Chick zurück«, meinte ich nur zufrieden und steckte sie mir zwischen die Lippen. »Aber ich muss mir noch überlegen, welche Farbe ich sie streichen will.«

»Dunkelrot wäre cool. Oder so olivgrün.«

»Olivgrün ist hässlich.«

»Sag nichts gegen meine Lieblingsfarbe, Arschloch«, sie fladderte sich wieder die Zigarette zurück.

Es fing an zu nieseln und Elster trat den Stummel am Kiesweg aus. Nebel breitete sich langsam über die großen Grünflächen aus; wir waren komplett alleine im Park.

Stillschweigend stellten wir uns unter einen Baum und schauten dem Regen zu.

»Wie geht es eigentlich deinen Alpträumen?«, fragte sie plötzlich und ich zog den schweren Mantel enger um mich. Ich mochte das Thema nicht, aber Elster schien nie locker zu lassen.

»Sie sind... kreativ.«

»Und wie geht es ihren Besitzer?«, sie blinzelte zu mir hinauf, ihre dunklen Augen bohrten sich fragend in meine. Der Regen wurde stärker.

»Mhm. Es geht.«

ZIGARETTENWhere stories live. Discover now